Im Zentrum unserer Vision stehen die Patientinnen und Patienten und all jene, die das Gesundheitssystem nutzen. Im Zuge der digitalen Transformation und des biotechnologischen Fortschritts werden sie mit immer mehr Behandlungsoptionen, einem wachsenden Informationsangebot und einer großen Akteursvielfalt konfrontiert. Auch global agierende Tech-Unternehmen drängen mit neuen Gesundheitsplattformen in den Gesundheitsmarkt. Die Zahl der Entscheidungsnotwendigkeiten wächst mit der Komplexität des Systems und neben den Möglichkeiten der Mitwirkung nimmt auch die Eigenverantwortung weiter zu. Das stellt viele Menschen in Zeiten von Social Media und Fake News vor große Herausforderungen, denn gute Entscheidungen erfordern immer auch gute Informationen.
Zur Förderung der gesundheitlichen Teilhabe entwickeln wir deshalb eine Plattformstrategie für das Gesundheitswesen von morgen. Über die Selektion und Bündelung von Informations- und Serviceangeboten soll die nationale Gesundheitsplattform den Zugang zu vertrauenswürdigen Angeboten erleichtern. Sie soll Patientinnen und Patienten dabei unterstützen, zu informierten Entscheidungen zu gelangen und im Behandlungsgeschehen aktiv und koproduktiv zu handeln. Und sie soll einen digitalen Vertrauensraum schaffen, der Datenschutz, Datensicherheit und die informationelle Selbstbestimmung garantiert und gleichzeitig die Datensolidarität fördert, um die gesundheitliche Versorgung zu verbessern.
Unsere Vision fußt auf diesen 10 Prämissen und Eckpunkten:
Das Vertrauen in digitale Systeme und die damit betrauten Institutionen im Gesundheitswesen ist begrenzt. Und das nicht ohne Grund, denn unsere Gesundheitsdaten sind besonders sensibel. Viele Menschen sorgen sich, dass ihre Daten in falsche Hände geraten könnten. Das digitale Ökosystem soll deshalb einen Vertrauensraum schaffen, der in puncto Datensouveränität, Datenschutz und -sicherheit keine Kompromisse macht. Darüber hinaus gilt es, auch den Einsatz algorithmischer Systeme so transparent wie möglich zu gestalten und klare Verantwortlichkeiten für die Auswirkungen dieser Systeme festzulegen.
Ein zentrales Alleinstellungsmerkmal des hier skizzierten Ökosystems bildet die qualitätsbasierte Auswahl von Informations- und Serviceanbietern und die damit angestrebte Vermeidung von Fehl- und Falschinformationen. Die Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit der über die Plattform vermittelten Informationen und Dienste ist somit Teil des Markenkerns und neben der Sicherstellung von Datensouveränität eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau von Vertrauen.
Der Kernservice des neuen Ökosystems reagiert auf die empirische Befundlage zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Europa. Den Erhebungen zufolge hat über die Hälfte der Menschen erhebliche Schwierigkeiten, relevante Informationen zur eigenen Gesundheit zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und in Gesundheitsverhalten oder Entscheidungen einfließen zu lassen. Die nationale Gesundheitsplattform soll ihre Nutzerinnen und Nutzer effektiv dabei unterstützen, relevante, qualitätsgesicherte und leicht verständliche Informationen zu identifizieren.
Das Ökosystem soll mit Hilfe von Datenanalysen personalisiert werden, regionale Bezüge herstellen und situative Unterstützungs- und Informationsbedarfe der Nutzerinnen und Nutzer antizipieren. Dabei sollen sich die vorgehaltenen Informationen und Dienste nicht nur auf medizinische Aspekte beziehen, sondern dem ganzen Spektrum an Anforderungen entsprechen, die die Krankheitsbewältigung im Alltag, in der Familie, in Schule, Ausbildung und Arbeitswelt, im Sozial- und Freizeitleben aufwirft.
Der Erfolg oder Misserfolg einer Plattform ist eng mit der Größe der Community und ihrer Wachstumsgeschwindigkeit verknüpft. Folglich gilt es, Hürden für eine Beteiligung abzubauen und einen möglichst großen Nutzen für Patientinnen und Patienten zu stiften. Das kann nur gelingen, wenn diese von Beginn an in den Fokus der Produktentwicklung gerückt werden.
Gleichzeitig muss auch auf Seiten der Anbieter von Informationen und digitalen Services Akzeptanz für das digitale Ökosystem geschaffen werden. Deshalb muss die Plattform auch hier Nutzen und Anreize generieren und dabei die Eigenständigkeit der teilnehmenden Akteure respektieren. Die Herausforderung des Ökosystem-Designs liegt folglich darin, einen für alle Seiten spürbaren Mehrwert zu schaffen.
Durch den Betrieb der Plattform entstehen neue Daten, Datenflüsse und Schnittstellen, die nicht nur der Optimierung des eigentlichen Angebots dienen, sondern gleichzeitig wichtige Informationen zur Steuerung der gesundheitlichen Versorgung liefern können. Eine effektive Nutzung dieser Daten kann einen relevanten Beitrag leisten, um die Versorgung zu verbessern und das Gesundheitswesen zu einem lernenden System weiterzuentwickeln.
Derartige Analysen setzten eine hohe Datendurchlässigkeit zwischen der Versorgungslandschaft, der Forschung und der Systementwicklung voraus. Die nationale Gesundheitsplattform soll an dieser Stelle neue Optionen eröffnen und Einwilligungslösungen bereithalten, um Daten zu teilen und Datensolidarität Wirklichkeit werden zu lassen.
Das Plattformkonzept fokussiert auf die übergeordnete Zielgruppe der Patientinnen und Patienten bzw. auf all jene, die das Gesundheitssystem nutzen. Der Aufbau der Plattform soll sich aber am Zielbild der gesundheitlichen Teilhabe orientieren. Deshalb gilt es, der hohen Diversität der unterschiedlichen Zielgruppen gerecht zu werden und dabei vor allem die vulnerablen Gruppen zu berücksichtigen, die häufig von Krankheit betroffen oder bedroht sind. Hierzu zählen etwa Menschen mit geringen sozio-kulturellen und ökonomischen Ressourcen, Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch Menschen mit chronischer Erkrankung oder Behinderung.
Um den sehr unterschiedlichen Bedürfnissen dieser Gruppen gerecht werden zu können, bedarf es neben der Bereitstellung mehrsprachiger Informationszugänge auch des Angebots kultur- und diversitätssensibler Inhalte. Gleichzeitig sollten über personalisierte Angebote Möglichkeiten geschaffen werden, Informationen und Services an individuelle Präferenzen und Kompetenzen anzupassen.
Die Produktentwicklung und -gestaltung soll die Nutzerbedürfnisse in den Mittelpunkt rücken, um eine optimale Nutzererfahrung (engl. User Experience, UX) zu erzeugen. Dies bedingt die systematische Erfassung von Bedürfnissen, Fähigkeiten und Wünschen der unterschiedlichen Zielgruppen, etwa über Interviews, Befragungen, Fokusgruppen und Studien. Doch auch im Prozess einer partizipativen Produktentwicklung können potenzielle Nutzerinnen und Nutzer mitwirken und wichtige Impulse für die Gestaltung liefern. Ebenso notwendig sind regelmäßige Nutzertestungen, auf deren Basis beständig Optimierungen vorgenommen werden können.
Bei der Einbeziehung unterschiedlicher Nutzergruppen ist der jungen Generation ein besonderer Stellenwert beizumessen, denn junge Menschen sind die Nutzer eines digitalen Gesundheitswesens der Zukunft und sollten nicht nur in den Entwicklungsprozess einbezogen werden, sondern Gelegenheit erhalten, auf Augenhöhe aktiv mitzugestalten (Meaningful Youth Engagement).
Trotz aller Bemühungen um ein möglichst nutzerfreundliches und niedrigschwelliges digitales Angebot gilt es, Menschen mit einer geringen Digitalkompetenz oder einem eingeschränkten Zugang zu digitalen Systemen einzuschließen und einer Verstärkung oder gar Entstehung von Ungleichheit (Digital Health Divide) entgegenzuwirken.
Dies kann nur gelingen, wenn die Grenzen zwischen digitaler und analoger Welt fließend verlaufen: So müssen die Vorteile und Möglichkeiten der nationalen Gesundheitsplattform über eine Einbindung in persönliche Beratungs- und Informationsangebote auch auf anderen Wegen zugänglich gemacht werden – etwa im medizinischen Behandlungskontext, über Patientenlotsen oder institutionelle Angebote wie die Unabhängige Patientenberatung.
Eine nachhaltige Finanzierung und institutionelle Verankerung liefern die Basis für die Implementierung eines digitalen Ökosystems und die damit verbundene Neuordnung der Informationsarchitektur im Gesundheitswesen. Deshalb wird das Ökosystem-Design in ein Modell für eine rechtssichere, handlungsfähige und unabhängige Trägerstruktur eingebettet. Dieses Modell soll unterschiedliche Finanzierungsperspektiven aufzeigen und ein institutionelles Gerüst für den Aufbau, den laufenden Betrieb und die Weiterentwicklung des digitalen Ökosystems entwerfen.
Die Trägerinstitution sollte bei allen teilnehmenden Akteuren des Ökosystems auf Akzeptanz stoßen und sich gleichzeitig den Interessen der Patientinnen und Patienten verpflichtet fühlen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass staatliche Informationstätigkeit besonderen rechtlichen Anforderungen unterliegt. Gegebenenfalls ist es zudem zweckmäßig, bestimmte Aufgaben innerhalb des Ökosystems durch unterschiedliche Gesellschaften bzw. Organe wahrnehmen zu lassen und das Ökosystem als Dachorganisation auszurichten.
In dem hier skizzierten digitalen Ökosystem sollte es nicht zu den Aufgaben des Plattformbetreibers gehören, Informationen und Services selbst zu entwickeln und anzubieten. Stattdessen sollte die Plattform Informations- und Serviceanbietern die Gelegenheit geben, sich in das Ökosystem einzubringen. Dabei ist darauf hinzuwirken, die am Markt tätigen Unternehmen nicht auszuschließen oder zu benachteiligen. Im Gegenteil sollte es erklärtes Ziel sein, die Innovationskraft der europäischen Health-Tech-Wirtschaft für die Plattform zu erschließen.
Auch in Bezug auf die Datenstrategie soll die nationale Gesundheitsplattform einen entscheidenden Unterschied zu den kommerziellen Anbietern machen, denn sie soll kein exklusives Datenmonopol anstreben. Im Gegenteil könnten Datengrundlagen und Schnittstellen von öffentlich-rechtlichen Institutionen im Rahmen einer Open-Data-Strategie bereitgestellt werden, um einem Verdrängungswettbewerb vorzubeugen.
Unser Konzept für eine nationale Gesundheitsplattform entwickeln wir prototypisch für das deutsche Gesundheitssystem. Digitale Transformation ist jedoch kein nationales Phänomen und kennt keine Grenzen. Im Gegenteil: Sie führt nationale Gesundheitssysteme in einen globalen Gesundheitsmarkt mit neuen Herausforderungen, die internationale Lösungsstrategien und Zusammenarbeit erfordern.
Deshalb stimmen wir unsere Plattformstrategie mit internationalen Partnerorganisationen ab, orientieren uns an europäischen Interoperabilitätsstandards und denken die internationale Skalierung unserer Plattformstrategie von Anfang an mit. Langfristig eröffnet sich so die Perspektive einer Verschmelzung nationaler Gesundheitsplattformen zu einem föderierten Plattformökosystem in Europa.
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