In unserer Vision einer nationalen Gesundheitsplattform geht es vor allem um Vertrauen. Das umfasst, dass die Nutzerinnen und Nutzer sich auf die Qualität der angebotenen Inhalte und Dienste absolut verlassen können. Aber wie kann diesem Anspruch in Zeiten von Desinformation und Verschwörungsmythen Rechnung getragen werden? In einem Teilprojekt mit dem Titel „InfoCure“ gehen wir der Frage nach, wie gute Informationsqualität sichtbar gemacht und Desinformation eingedämmt werden kann.
Immer mehr Menschen informieren sich im Internet zu gesundheitsrelevanten Fragen und nutzen dabei die großen Social-Media-Pattformen wie YouTube, TikTok, Facebook oder Telegram. Fehl- und Falschinformationen können sich über diese Netzwerke schneller verbreiten als jemals zuvor. Gleichzeitig bieten die Algorithmen der Plattformbetreiber immer wieder Inhalte an, die auf früheren Suchmustern aufbauen und die Annahmen und Einstellungen der Nutzerinnen und Nutzer bestätigen. Verstärkt werden diese „Reinforcement Loops“ durch den sozialen Raum des digitalen Netzwerks, der nicht selten die eigene Meinung spiegelt und so einen Nährboden für Desinformation und Verschwörungsmythen liefert.
“Die rasante Ausbreitung von Desinformation über digitale Plattformen hat sich weltweit zu einer ernsten Bedrohung für die öffentliche Gesundheit entwickelt.“
Andy Pattison, WHO (2021)
Informationsqualität als Markenkern
Vertrauen entsteht in digitalen Welten zum Beispiel durch den verantwortungsvollen Umgang mit personenbezogenen Daten oder durch geeignete Maßnahmen zur Erhöhung der Datensicherheit. Daneben bilden aber die Qualität und Verlässlichkeit der angebotenen Informationen und Dienstleistungen eine Grundbedingung dafür, dass Vertrauen in digitale Infrastrukturen entsteht. Die sozialen Netzwerke liefern bislang praktisch keine Anhaltspunkte für die Vertrauenswürdigkeit und Seriosität einer Informationsquelle, sodass die methodische Güte der Informationen kaum nachzuvollziehen ist. Ähnliches gilt für digitale Dienstleistungen. Eine nationale Gesundheitsplattform müsste hier einen klaren Unterschied machen.
Strategien zur Qualitätssicherung von Gesundheitsinformationen fokussieren bislang meist auf die Prüfung einzelner Informationselemente wie Texte oder Videos. Dieser Ansatz geht jedoch mit erheblichen personellen und finanziellen Aufwänden einher und kostet vor allem eins: Zeit. Digitale Ökosysteme und ihre Plattformansätze sind aber gerade deshalb so erfolgreich, weil sie ihre Leistungen weitgehend digital erbringen und so innerhalb sehr kurzer Zeit sehr schnell wachsen können.
Zertifizierung von Anbietern
Um mit dieser Geschwindigkeit mithalten zu können, kommt für Plattformbetreiber nur ein Qualitätssicherungsansatz in Frage, der sich nicht auf einzelne Informationen konzentriert, sondern auf die Prüfung der Anbieter von Informationen. Zur Beurteilung könnten dabei strukturelle Aspekte (z. B. Expertise) und Kriterien der Prozessqualität (z. B. Einsatz bestimmter Methoden) herangezogen werden. Um ausreichend Sicherheit für die Nutzerinnen und Nutzer der Plattform zu schaffen, dürfte eine Selbstverpflichtung zur Qualitätssicherung jedoch nicht genügen. Stattdessen wäre eine externe Prüfung durch eine unabhängige Stelle im Sinne eines Zertifizierungsverfahrens erforderlich. Um dabei die Strukturen und Prozesse eines Anbieters belastbar erfassen zu können, bietet sich ein gestuftes, auditbasiertes Verfahren an.
Über eine derart qualitätsorientierte Auswahl vertrauenswürdiger Informationsanbieter könnte das Risiko von Fehl- und Falschinformationen auf ein Minimum begrenzt werden. In Kombination mit anderen Instrumenten wie Nutzerrückmeldungen und digitalen Review-Verfahren ließe sich auch für die Informations- und Servicequalität der Plattform ein Vertrauensraum schaffen, der die Nutzerinnen und Nutzer bei der Suche nach vertrauenswürdigen Informationen unterstützt und spürbar entlastet.
Vielseitige Einsatzmöglichkeiten
Anbieter von Gesundheitsinformationen und Services könnten sich über eine Zertifizierung für die Teilnahme am digitalen Ökosystem der nationalen Gesundheitsplattform qualifizieren. Bei dieser Verwendung des Zertifikats im Sinne einer Zugangsvoraussetzung müsste es jedoch nicht bleiben: Ist eine Zertifizierung einmal erfolgt, ließe sich ein digitales Zertifikat für viele weitere Zwecke einsetzen.
Betreiber großer Suchmaschinen könnten darüber erstmalig seriöse Anbieter erkennen und dieses neue Wissen in die Relevanzberechnungen der Trefferlisten einfließen lassen. Vertrauenswürdige Informationsanbieter könnten auf Plattformen und Suchmaschinen entsprechend gekennzeichnet werden, und Hintergrundinformationen zum Anbieter wären für Nutzerinnen und Nutzer einsehbar. So würden all jene Anbieter belohnt, die einen großen Aufwand betreiben, um die Qualität ihrer Angebote zu sichern.
Natürlich gelten nicht für alle Informationstypen dieselben Regeln. So kann beispielsweise ein Erfahrungsbericht aus Patientensicht wertvolle Informationen transportieren, die eher psychosoziale Themen der Krankheitsbewältigung betreffen. Bei der Qualitätsbewertung solcher Angebote sind daher besondere Kriterien zu berücksichtigen. Ähnliches gilt für sozialrechtliche Informationen, die ganz andere Qualitätsanforderungen erfüllen müssen als medizinische Inhalte.
Schließlich ist zu bedenken, dass neben den reinen Informationsangeboten auch digitale Dienste wie Online-Terminvereinbarungen, Datenbanken, Videosprechstunden oder Zweitmeinungsservices existieren, die wiederum einer gesonderten Betrachtung bedürfen. Mittel- bis langfristig kann und sollte das ursprüngliche Zertifikat für medizinische Patienteninformationen modular um zusätzliche Einsatzbereiche erweitert werden.
Internationaler Ansatz
Die Qualitätssicherung von Gesundheitsinformationen ist im digitalen Zeitalter eine Herausforderung, die sich nicht auf nationaler Ebene bewältigen lässt. Deshalb sind internationale Standards zu berücksichtigen und im Interesse der Interoperabilität strikt einzuhalten. Darüber hinaus sollte die Entwicklung neuer Qualitätsstandards in eine internationale Fachdiskussion eingebettet werden, um über nationale Grenzen hinaus Wirksamkeit zu entfalten.
Bei der Suche nach einschlägigen Standards und Projekten sind wir auf eine Initiative der US-amerikanischen National Academy of Medicine (NAM) aufmerksam geworden: Diese hat im Jahr 2021 mit einer unabhängigen Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern grundlegende Prinzipien und Erkennungsmerkmale für glaubwürdige Quellen von Gesundheitsinformationen entwickelt und international publiziert. Das Ziel der Initiative bestand vor allem darin, sozialen Netzwerken und Plattformen Kriterien an die Hand zu geben, um Anbieter vertrauenswürdiger Gesundheitsinformationen zu erkennen.
Die Prinzipien orientieren sich an Aspekten wie wissenschaftliche Fundierung, Objektivität, Transparenz oder Verantwortungsbewusstsein und liefern eine gute Basis für die Bewertung von Informationsanbietern. Um sie als Grundlage eines Zertifizierungsverfahrens heranziehen zu können, bedarf es jedoch einer weitergehenden Operationalisierung. Im Dialog mit internationalen Fachorganisationen und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Idee entstanden, die Prinzipien in ein konkretes Indikatorensystem zu überführen, das die Grundlage eines auditbasierten Zertifizierungsverfahrens für Anbieter von Gesundheitsinformationen liefern könnte. Die Idee folgt dabei einer klaren und keineswegs ungewöhnlichen Aufgabenteilung: Die Definition von Rahmenvorgaben und Standards wird auf internationaler Ebene konsentiert, während die eigentliche Zertifizierung durch nationale Institutionen oder Organisationen erfolgt.
Arbeitsgruppe hat ihre Arbeit aufgenommen
In der Vergangenheit haben sich bereits viele Initiativen formiert, die mit der Erfassung, Beschreibung und Entwicklung von Informationsqualität im Gesundheitswesen befasst sind und eine sehr gute Ausgangsbasis für die Entwicklung eines solchen Indikatorensets liefern. Der Unterschied zu diesen bestehenden Initiativen liegt in der klaren Fokussierung auf Anbieter, der internationalen Standardisierung und dem wachsenden Druck auf die großen Tech-Unternehmen beim Umgang mit Desinformation: Der geschilderte Ansatz eröffnet die große Chance, qualitativ hochwertige Informationen für Patientinnen und Patienten leichter zugänglich zu machen, gesunde Entscheidungen durch gute Informationen zu unterstützen und damit signifikant zur Förderung der Gesundheitskompetenz beizutragen.
„Digitale Plattformen haben die einzigartige Kraft, den Zugang zu hochwertigen Gesundheitsinformationen weltweit zu ermöglichen.“
Victor J. Dzau, NAM (2021)
Im Jahr 2023 hat die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit dem Deutschen Netzwerk evidenzbasierte Medizin e. V. und dem Deutschen Netzwerk Gesundheitskompetenz e. V. eine internationale Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die die Aufgabenstellung im Rahmen eines wissenschaftlichen Diskussionsbeitrags präzisieren und erste Vorschläge für die Entwicklung eines Indikatorensystems erarbeiten wird. Mittelfristig soll mit InfoCure ein internationales Zertifizierungssystem für glaubwürdige Anbieter von Gesundheitsinformationen und -services entstehen, das zunächst in Deutschland implementiert und im nächsten Schritt international skaliert werden soll.
Patientenbeauftragter übernimmt Schirmherrschaft
Im Sommer 2024 hat der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze, die Schirmherrschaft für InfoCure übernommen. Schwartze bedankt sich ausdrücklich „für die Initiative und das Engagement, gute und gesicherte gesundheitliche Informationen besser auffindbar und individuell anwendbar zu machen.“ Er ist überzeugt, dass InfoCure „das Potential hat, Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu gewinnen und dabei hilft, Fehl- und Falschinformationen zu bekämpfen.“
Literatur
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