Informationsvermittlung als Prozess begreifen

Dr. Sebastian Schmidt-Kaehler
Dr. Inga Münch

Viele Anbieter von Gesundheitsinformationen verfolgen gute Absichten. Sie möchten das Gesundheitsverhalten ihrer Adressaten positiv beeinflussen, Hilfestellung bei der Krankheitsbewältigung leisten oder Behandlungsentscheidungen unterstützen. Im digitalen Zeitalter verfehlen viele dieser Informationen jedoch das Nadelöhr der Aufmerksamkeit und verhallen wirkungslos in der ständig wachsenden Informationsflut. Kontextsensitive Informationspfade könnten Abhilfe schaffen und Streuverluste verringern.

Die Produktion und Bereitstellung von Gesundheitsinformationen folgen nicht selten der Vorstellung, dass Informationen von einem Sender über einen Kanal an einen Empfänger übermittelt werden, der diese dann versteht und in neues Wissen überführt. Ist eine Nachricht einmal übermittelt, kann sie ihre Wirkung entfalten, Entscheidungen prägen oder das Verhalten beeinflussen. Diese Vorstellung des sogenannten Sender-Empfänger-Modells aus den 1940er Jahren wird der Wirklichkeit jedoch kaum gerecht, denn die Aneignung von Informationen ist kein punktuelles Ereignis, sondern ein hochkomplexer Lernprozess mit vielen Einflussfaktoren.

Eine wissenschaftliche Disziplin, die sich dieser Komplexität des Wissens- und Kompetenzerwerbs seit jeher widmet, sind die Erziehungswissenschaften: Die pädagogische Didaktik hat das einfache Sender-Empfänger-Modell schon immer in Frage gestellt und wendet sich gegen vermeintliche „Eintrichterungstheorien“. Sie begreift Lernen stattdessen als einen individuellen Prozess der Selbstorganisation von Wissen. Der Erwerb von Wissen und Kompetenzen wird dabei niemals als Momentaufnahme, sondern als fortlaufender und planbarer Prozess verstanden, der sich auf der kognitiven wie emotionalen Ebene gleichermaßen ereignet. Dieser Vermittlungsprozess ließe sich bildhaft als Lern- oder Informationspfad beschreiben, der auch Hinweise darauf liefert, welche Informationen zu welchem Zeitpunkt benötigt werden.

„Wissen kann nie als solches von einer Person zur anderen übermittelt werden. Die einzige Art und Weise, in der ein Organismus Wissen erwerben kann, besteht darin, es selbst aufzubauen oder für sich selbst zu konstruieren.“

Ernst von Glasersfeld (1987)

Selektive Informationsverarbeitung

Die menschlichen Aufmerksamkeitsressourcen sind begrenzt und so werden längst nicht alle Informationen, die auf uns einströmen, bewusst wahrgenommen und verarbeitet. Damit Menschen auf Informationen aufmerksam werden, müssen diese situativ von Bedeutung sein und in den jeweiligen Kontext passen. Das gilt auch und insbesondere für Gesundheitsinformationen, denn Patientinnen und Patienten durchlaufen mit der Zeit unterschiedliche Krankheitsstadien, die mit einem sich ständig wandelnden Informationsbedarf einhergehen.

Solche Stadien lassen sich etwa im Hinblick auf den individuellen Behandlungspfad beschreiben. Dieser beginnt häufig mit der Akutversorgung und einer ersten Diagnosestellung, die bei Patientinnen und Patienten zunächst den Bedarf nach grundlegenden Informationen zur jeweiligen Erkrankung wecken dürfte. In der nächsten Phase geht es um Therapieentscheidungen und möglicherweise auch die Auswahl einer spezialisierten Einrichtung für die weitere Behandlung. Während der Rehabilitation oder Nachsorge interessieren sich die Betroffenen weniger für Informationen zu Diagnose- und Behandlungsverfahren als vielmehr für Informationen und Unterstützung beim Umgang mit der jeweiligen Erkrankung.

Die Erkenntnisse zum Einfluss unterschiedlicher Stadien auf die selektive Aufmerksamkeit kann auch mit dem klassischen Modell der Krankheitsbewältigung in Beziehung gesetzt werden. Demnach folgt der Diagnose einer schweren Erkrankung zunächst eine von Angst und Unruhe geprägte Phase, in der die Diagnose nicht selten verleugnet wird. Häufig folgt dem ersten Schock eine Phase der Wut und anschließend eine der Verzweiflung und persönlichen Verletzlichkeit. Nach einem inneren Aushandlungsprozess wird schließlich auf der letzten Stufe die Erkrankung akzeptiert und angenommen. Die beschriebenen Phasen sowie die damit verbundenen Affekte können die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen maßgeblich beeinflussen.

Gesundheitsinformation werden oft auch mit dem Ziel erstellt, das individuelle Gesundheitsverhalten positiv zu beeinflussen oder ein Risikoverhalten zu minimieren. Hinweise auf die Frage, welche Informationen hier zu welchem Zeitpunkt von Bedeutung sind, liefern die gesundheitswissenschaftlichen Stadien- und Stufenmodelle des Gesundheitsverhaltens. Auch diese Modelle postulieren, dass Menschen auf dem Weg zu einer Verhaltensänderung immer eine Entwicklung mit verschiedenen Stufen durchlaufen.

Zwischen Anspruch und Realität

Die Stadien- und Stufenmodelle aus den Gesundheitswissenschaften machen deutlich, wie wichtig eine strukturierte und prozesshaft angelegte Informationsvermittlung ist, um informierte Entscheidungen zu ermöglichen und die individuelle Gesundheitskompetenz zu fördern. Sie legen nahe, dass immer nur solche Informationen angeboten werden sollten, die in der jeweiligen Krankheits-, Bewältigungs- und Versorgungsphase auch tatsächlich relevant sind.

Die Realität ist jedoch eine andere: Meist werden Patientinnen und Patienten aus ganz unterschiedlichen Quellen mit Informationen unterschiedlicher Qualität überflutet. Sie führen Aufklärungsgespräche, erhalten Informationen über die Trefferlisten der Suchmaschinen, geraten in die Informationsblasen und Echokammern der sozialen Netzwerke, lesen Informationsbroschüren von Krankenversicherungen und erhalten engagierte Ratschläge aus dem Bekannten- und Verwandtenkreis. All das passiert in der Regel parallel und unkoordiniert.

„Wer im Internet nach Informationen sucht, dem geht es so wie jemandem, der um ein Glas Wasser bittet und aus einem Feuerwehrschlauch bedient wird und dabei nicht weiß, wo das Wasser herkommt.“

Michael Scholz (WHO) 2003

Die bislang praktizierte, unkoordinierte Bereitstellung und Verbreitung von Gesundheitsinformationen ist angesichts der Informationsflut im digitalen Zeitalter keine erfolgversprechende Strategie, um den Menschen gesunde Entscheidungen zu ermöglichen. Im Jahr 2019 forderte auch der Nationale Aktionsplan Gesundheitskompetenz die „Schaffung eines systematischen Informationsmanagements, das sich über den gesamten Krankheitsverlauf erstreckt“. Diesem Gedanken folgend, sollte die Informationsvermittlung in einen strukturierten Lernpfad eingebettet werden, der jeweils dem situativen Informations- und Unterstützungsbedarf sowie dem individuellen Kontext gerecht wird (vgl. Entdecken statt suchen: Prototyp für eine nationale Gesundheitsplattform).

Literatur

Ajzen I, Fishbein M (1980). Understanding Attitudes and Predicting Social Behavior Englewood Cliffs, NJ.

Bandura A (1977). Self-efficacy: Toward a Unifying Theory of Behavioral Change. Psychological Review 84 (2). 191–215.

Becker M H (1974). The Health Belief Model and Personal Health Behavior. Thorofare, NJ.

Betsch T, Funke J, Plasser H (2011). Denken – Urteilen, Entscheiden, Problemlösen. Berlin.

Broadbent D E (1958). Perception and Communication. London, New York.

Kreuter M W, Strecher V J, Glassman B (1999). One size does not fit all. The case for tailoring print materials. Annals of Behavioral Medicine 21. 276–283.

Noar S M, Benad C N, Harris M S (2007). Does tailoring matter? Meta-analytic review of tailored print health behavior change interventions. Psychol Bull. 133 (4). 673–693.

Rogers R W (1975). A Protection Motivation Theory of Fear Appeals and Attitude Change. Journal of Psychology 91 (1). 93–114.

Rosenstock I M (1966). Why people use health services. Milbank Memorial Fund Quarterly 44. 94–127.

Schaeffer D, Moers M (2009). Schwerpunkt: Bewältigung chronischer Krankheit. Überlebensstrategien – ein Phasenmodell zum Charakter des Bewältigungshandelns chronisch Erkrankter. Pflege & Gesellschaft 13 (1).

Schaeffer D, Hurrelmann K, Bauer U, Kolpatzik K (Hrsg.) (2018). Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz. Die Gesundheitskompetenz in Deutschland stärken. Berlin.

Shannon C E, Weaver W (1949). The Mathematical Theory of Communication. Urbana, IL.

Autor/Autorin

Dr. Sebastian Schmidt-Kaehler ist als Co-Director mitverantwortlich für das Gesundheitsprogramm der Bertelsmann Stiftung. Zuvor arbeitete er als geschäftsführender Gesellschafter der Patientenprojekte GmbH, einer auf den Bereich der Patientenkommunikation spezialisierten Organisations- und Unternehmensberatung. Von 2011 bis 2015 war Schmidt-Kaehler Bundesgeschäftsführer der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD). Er ist Mitglied im Expertenrat des Nationalen Aktionsplans Gesundheitskompetenz.

Dr. Inga Münch verantwortet das Projekt „Trusted Health Ecosystems“ der Bertelsmann Stiftung. Zuletzt hat sie in verschiedenen Projekten an den Schnittstellen Patientenzentrierung und digitale Gesundheit gearbeitet. Sie ist Gesundheitswissenschaftlerin und hat zum Konzept gesundheitskompetenter Organisationen promoviert. Zuvor hat sie in der Forschung an wissenschaftlichen Projekten im Bereich Gesundheitsbildung, Patientenorientierung und Gesundheitssystemforschung gearbeitet.

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