Ein wesentlicher Erfolgsfaktor digitaler Plattformen liegt in dem Nutzen, den sie für die teilnehmenden Anbieter auf der einen und die Konsumentinnen und Konsumenten auf der anderen Seite erzeugen. Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) und der Konzeptagentur Bittner & Thranberend haben wir ein Nutzenmodell für die nationale Gesundheitsplattform erarbeitet, das für alle Beteiligten Vorteile schafft.
Anbieter von Waren und Dienstleistungen erhalten über digitale Plattformen meist Zugang zu einem großen Kundenkreis, während die Kundinnen und Kunden dort eine enorme Auswahl an Angeboten und Leistungen vorfinden (vgl. Ökosystemdesign: Nutzen für alle). Folglich wäre die Aufgabe einer nationalen Gesundheitsplattform, gesundheitsrelevante Informationen und Services zwischen Anbietern und den potenziellen Nutzerinnen und Nutzern zu vermitteln.
Warum aber sollten Informations- und Softwareanbieter sich den Regeln und Qualitätsanforderungen einer Plattform unterwerfen? Aus welchem Grund sollten sich die traditionellen Akteure des Gesundheitssystems aktiv in das Ökosystem einbringen? Und weshalb sollten sich Patientinnen und Patienten überhaupt dafür entscheiden, eine Gesundheitsplattform zu nutzen?
Die Antwort ist simpel: Alle müssen etwas davon haben und einen spürbaren Mehrwert erfahren. Den Ausgangspunkt aller Überlegungen zur nationalen Gesundheitsplattform bildet die Zielsetzung, den Umgang mit Gesundheitsinformationen und einschlägigen digitalen Angeboten über ein Plattformmodell zu erleichtern und qualitätsgeprüfte Angebote zu bündeln (vgl. Entdecken statt suchen: Prototyp für eine nationale Gesundheitsplattform). Die Herausforderung der Nutzenmodellierung besteht nun darin, für möglichst viele Akteure einen möglichst großen Vorteil zu erzeugen und gleichzeitig Nachteile für Dritte zu vermeiden oder zu kompensieren.
Akteursanalyse und Nutzenmodellierung
Für das hier skizzierte Nutzenmodell wurden in mehreren Workshops konkrete Fallkonstellationen (Use Cases) aus Patientensicht formuliert und die damit assoziierten Informations- und Unterstützungsbedarfe herausgearbeitet. Anhand dieser Fallstudien wurden jene Akteursgruppen identifiziert, die neben den Nutzerinnen und Nutzern auf der Anbieterseite für den Erfolg der Plattform von Bedeutung sind. Hierzu zählen beispielsweise die Anbieter von Gesundheitsinformationen und digitalen Services. Darüber hinaus können sich auch die traditionellen Akteure des Gesundheitssystems, der Bildungssektor, Kommunen und viele weitere Player in das digitale Ökosystem einbringen und damit zu einem reichhaltigen und hochwertigen Informationsangebot beitragen.
Mit einer Akteursanalyse wurden Interessen, Bedürfnisse und auch mögliche Abwehrhaltungen der identifizierten Gruppen erfasst und eingeordnet. Im Sinne eines möglichst ausgewogenen Nutzenmodells wurden auch die Beziehungen und Interaktionen der Akteure untereinander berücksichtigt. Dafür sind Publikationen und Presseberichte ausgewertet sowie Hintergrundgespräche und Interviews mit Repräsentantinnen und Repräsentanten der betreffenden Institutionen geführt worden. Auf dem Fundament dieser Analysen und unter Einbeziehung von Experteneinschätzungen wurden für jede einzelne Gruppe mögliche Vorteile formuliert und in einem vorläufigen Nutzenkatalog zusammengeführt.
Das Nutzenmodell
Im Idealfall ist das digitale Ökosystem mit der nationalen Gesundheitsplattform geeignet, für alle Beteiligten vielfältige Nutzen zu erzeugen, die sich von Akteur zu Akteur unterscheiden können. Dennoch lassen sich übergeordnete Mehrwerte beschreiben, die allen beteiligten Akteuren zugutekommen und sich in der Dreiecksbeziehung zwischen den Anbietern, den Nutzerinnen und Nutzern sowie dem Plattformbetreiber verorten lassen.
Die traditionellen Akteure des Gesundheitssystems denken und agieren nicht wie multinationale Plattformbetreiber, da sie ganz andere Rollen und Aufgaben wahrnehmen. Vermutlich wäre keiner der Akteure allein in der Lage, ein Angebot zu etablieren, das auf dem neuen Markt der Meta-Plattformen Bestand haben kann. Das digitale Ökosystem bietet nun die strategische Option, sich gemeinschaftlich über eine bestehende technische Infrastruktur am neuen Markt der Gesundheitsplattformen zu positionieren.
Durch die Größe der Community und die Vielzahl von Schnittstellen mit anderen Plattformen könnte auch jenseits schutzwürdiger personenbezogener Patientendaten ein einzigartiger Datenfundus entstehen, den die teilnehmenden Akteure für unterschiedliche Zwecke nutzen könnten, etwa zur Weiterentwicklung des eigenen (Informations-)Angebots, zur Versorgungsforschung oder zur Therapiesteuerung. Hier bietet insbesondere das Zusammenspiel von Daten aus vielen unterschiedlichen Quellen die Möglichkeit, neues Wissen zu generieren und für eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung unseres Gesundheitssystems zu nutzen.
Die prozesshaft angelegten Informationspfade (vgl. Entdecken statt suchen: Prototyp für eine nationale Gesundheitsplattform), das hohe Maß an Personalisierung und die direkte Anbindung an die unterschiedlichen Instanzen des Gesundheitssystems lassen eine neue Informations- und Kommunikationsarchitektur entstehen, die Struktur und Orientierung schafft. In der Folge entwickelt sich ein signifikanter Nutzen für die Angehörigen der Gesundheitsberufe, denn die Plattform eröffnet die Chance, das Informations- und Kommunikationsmanagement zu optimieren sowie die Qualität und Effizienz des Informationshandelns zu erhöhen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, den Versorgungsprozess gezielt mit digitalen Informationen und Unterstützungsangeboten zu verknüpfen.
Mit der explosionsartigen Ausweitung digital verfügbarer Gesundheitsinformationen wird es aus Patientensicht immer schwieriger, die passende Information zu finden. Das Bild der Nadel im Heuhaufen beschreibt dieses Dilemma der Umwege und Irrwege von Informationssuchenden sehr gut. Die nationale Gesundheitsplattform hat mit ihrem marktoffenen und inklusiven Vermittlungsansatz (vgl. Staatliches Informationshandeln: Was darf der Staat?) das Potenzial, zum Dreh- und Angelpunkt der Informationsarchitektur im Gesundheitswesen zu werden und alle wichtigen Angebote an einem Ort zu bündeln. Dieser Ansatz folgt der Idee des „One-Stop-Shops“, der einen großen Mehrwert stiftet, indem er Nutzerinnen und Nutzer dabei unterstützt, sich im Dschungel der digitalen Informations- und Serviceangebote zurechtzufinden.
Zahlreiche Studien zeigen, dass es den Menschen in Zeiten von Desinformation und Verschwörungsmythen immer schwerer fällt, den Wahrheitsgehalt von Informationen oder die Glaubwürdigkeit von Quellen zu bewerten. Das Konzept der nationalen Gesundheitsplattform sieht für die Anbieter strenge Zugangsregeln vor, die hier wie ein Filter wirken: Anbieter müssen über eine auditbasierte Zertifizierung in regelmäßigen Abständen nachweisen, dass sie bestimmte Qualitätsanforderungen erfüllen (vgl. InfoCure: Qualität sichtbar machen). Auf diese Weise werden unseriöse Anbieter vom Ökosystem ausgeschlossen. Diese qualitätsbasierte Selektion der Anbieter ist ein zentraler Kernnutzen für Patientinnen und Patienten und schafft die Grundlage für ein unbezahlbares Gut: Vertrauen.
Eine wichtige Strategie im Umgang mit der täglichen Informationsflut ist, sie zu filtern und die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche zu konzentrieren. Als „wesentlich“ können solche Informationen bezeichnet werden, die sich auf den individuellen Kontext beziehen und dem situativen Informationsbedarf entsprechen. Mithilfe algorithmischer Systeme lassen sich Inhalte und Serviceangebote auf der nationalen Gesundheitsplattform personalisiert und kontextsensitiv ausspielen. Durch die so entstehende individuell zugeschnittene Auswahl und Präsentation von Informationen und digitalen Dienstleistungen werden Patientinnen und Patienten – zeitlich wie kognitiv – signifikant entlastet.
Neben diesen eher generischen Vorteilen lassen sich mit Blick auf einzelne Akteure und Akteursgruppen viele weitere nutzenstiftende Effekte beschreiben. So übernehmen gut informierte Patientinnen und Patienten mehr Verantwortung für ihre eigene Gesundheit, sie zeigen eine höhere Therapietreue, können sich sicherer im Versorgungssystem bewegen und treffen im Alltag gesündere Entscheidungen. Die Versorgungsforschung kann von neuen Einblicken und Auswertungsmöglichkeiten profitieren. Informations- und Serviceanbieter haben die Möglichkeit, sich durch ihre Präsenz auf der Plattform mit hochwertigen Angeboten zu profilieren, können Streuverluste reduzieren und Transaktionskosten senken.
Bei der Nutzenmodellierung ist auch zu berücksichtigen, den am Ökosystem teilnehmenden Akteuren keine Nachteile entstehen zu lassen. Unser Konzept für eine nationale Gesundheitsplattform sieht daher vor, dass der Plattformbetreiber keine eigenen Informationen und Services anbietet, sondern sich strikt auf die Rolle des Vermittlers beschränkt. Die Plattform darf die Angebote der teilnehmenden Unternehmen und Organisationen nicht abwerten oder Zugriffszahlen negativ beeinflussen. In aller Regel werden Informationen und Leistungen daher nicht auf der Plattform selbst angeboten, sodass Nutzerinnen und Nutzer die externen Seiten der Anbieter besuchen (vgl. Entdecken statt suchen: Prototyp für eine nationale Gesundheitsplattform). Klare Zugangskriterien, Fairness und Transparenz sollten das Verhältnis zwischen dem Plattformbetreiber und den Anbietern bestimmen, damit in der Gesamtschau ein Netz aus Vorteilen und Mehrwerten für alle teilnehmenden Akteure entsteht.