Die digitale Transformation durchdringt und gestaltet unser Leben in ungeahnter Weise und mit wachsender Geschwindigkeit. Eben dieses Tempo wie auch die disruptive Schlagkraft der damit verbundenen Veränderungen fordert unserer Gesellschaft große Anpassungsleistungen ab. Digitale Plattformen spielen dabei eine Schlüsselrolle, denn sie stellen die Infrastruktur und die Dienstleistungen bereit, die diesen Wandel vorantreiben.
Digitale Ökosysteme haben mit ihren Plattformen ganze Wirtschaftssektoren grundlegend verändert. Das gilt für die Art und Weise, wie Menschen miteinander interagieren und kommunizieren ebenso wie für die Vermarktung von Waren und Dienstleistungen oder den Zugang zu Bildungs- und Informationsangeboten. Plattformen beeinflussen die Arbeitswelt, haben die Medienlandschaft auf den Kopf gestellt und die Machtverhältnisse in der Mobilitätsbranche neu geordnet. Warum also sollte es dem Gesundheitswesen anders ergehen?
Neue Machtverhältnisse
Global agierende Tech-Unternehmen drängen mit ihren Plattformen auch in den Gesundheitsbereich vor – mit großen Potenzialen für ein modernes, patientenzentriertes und ständig lernendes Gesundheitssystem. Netzwerk- und Skaleneffekte sorgen dabei für beeindruckende Möglichkeiten des Wachstums, bergen jedoch auch Gefahren für unsere solidarisch finanzierte Gesundheitsversorgung. Eines ist sicher: Die digitalen Plattformen werden die Machtverhältnisse in den Gesundheitssystemen fundamental verändern – und es liegt in unserer Verantwortung, ihre innovative und steuernde Kraft im Sinne des Gemeinwohls zu nutzen und zu lenken (vgl. Video: Die Kraft der Plattformökonomie im Gesundheitswesen).
Plattformstrategien für nationale Gesundheitssysteme
Für öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteure ist es an der Zeit, eigene Plattformen zu etablieren und die digitale Infrastruktur aktiv mitzugestalten, um so wertebasierte Leitplanken für das digitale Gesundheitswesen der Zukunft zu setzen. Nationale Gesundheitssysteme benötigen eigene Plattformstrategien, um sich auf dem neuen Gesundheitsmarkt zu positionieren. Im Projekt „Trusted Health Ecosystems“ zeichnen wir diesen Weg vor und entwickeln ein ganz konkretes Bild einer nationalen Gesundheitsplattform der Zukunft. Damit möchten wir zeigen, welcher Nutzen im konzertierten Zusammenspiel von Staat, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft entstehen könnte (vgl. Unser Konzept in der Gesamtschau).
Gesundheitskompetenz fördern
Im Mittelpunkt unserer Produktidee steht die Vermittlung personalisierter Informationen und Services für Patientinnen und Patienten. Damit greifen wir die Befundlage zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung auf: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung berichtet demzufolge von erheblichen Schwierigkeiten, gesundheitsrelevante Informationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden (vgl. Gesundheitskompetenz: Herausforderung der Zukunft). Ohne diese Grundvoraussetzung ist es Patientinnen und Patienten jedoch kaum möglich, informierte Entscheidungen zu treffen und aktiv am Behandlungsprozess mitzuwirken. Durch die Bündelung und intelligente Vermittlung kuratierter Informationen könnte die Plattform den Umgang mit Informationen spürbar erleichtern – und die Informationsarchitektur im Gesundheitswesen verändern.
Inspiration
Die Bertelsmann Stiftung kann und wird diese Plattform nicht selbst umsetzen und betreiben, denn die bloße Bereitstellung einer digitalen Infrastruktur würde hier viel zu kurz greifen. Um ein digitales Ökosystem wachsen zu lassen, das für alle Beteiligten Nutzen stiftet, bedarf es nicht nur einer gesetzlichen Grundlage, sondern vor allem auch der Einsicht und des gemeinsamen Willens aller relevanten Akteure des Gesundheitssystems. Unsere Aufgabe als Stiftung sehen wir deshalb darin, all jene zu inspirieren, die diese Vision gemeinsam verwirklichen könnten.
Internationaler Kontext
Digitale Ökosysteme haben die Welt enger vernetzt als jemals zuvor. Ihre Plattformen passen sich zwar an nationale Gegebenheiten an, werden aber meist grenzüberschreitend angeboten. So entstehen Herausforderungen, die sich auf nationaler Ebene oft nicht mehr bewältigen lassen. Internationale Zusammenarbeit und Koordination sind daher entscheidend, um Risiken abzuwehren und die Chancen zu nutzen, die diese Transformation mit sich bringt. Vor diesem Hintergrund haben wir unsere Vision einer nationalen Gesundheitsplattform von Anfang an in einen internationalen Kontext gesetzt und mit internationalen Organisationen aus Europa und darüber hinaus diskutiert. Das gilt auch und insbesondere für Qualitäts-, Sicherheits- und Interoperabilitätsstandards, die eine solche Plattform betreffen (vgl. InfoCure: Qualität sichtbar machen).
Projektergebnisse in Echtzeit
Spätestens seit dem Durchbruch KI-gestützter Sprachmodelle bekommen wir einen ersten Eindruck von der exponentiell wachsenden Geschwindigkeit, in der die digitale Transformation unser Leben prägt und verändert. Angesichts dieser Schnelllebigkeit haben wir uns entschieden, vom bislang üblichen Modell abzuweichen und Arbeitsergebnisse nicht erst am Ende eines Projekts, sondern „in Echtzeit“ zu veröffentlichen. Das hier vorgestellte Konzept wird sich also noch weiterentwickeln. Viele Beiträge und neue Abschnitte werden folgen und das Bild der nationalen Gesundheitsplattform schärfen.
Autor/Autorin
Dr. Sebastian Schmidt-Kaehler ist als Co-Director mitverantwortlich für das Gesundheitsprogramm der Bertelsmann Stiftung. Zuvor arbeitete er als geschäftsführender Gesellschafter der Patientenprojekte GmbH, einer auf den Bereich der Patientenkommunikation spezialisierten Organisations- und Unternehmensberatung. Von 2011 bis 2015 war Schmidt-Kaehler Bundesgeschäftsführer der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD). Er ist Mitglied im Expertenrat des Nationalen Aktionsplans Gesundheitskompetenz.
Dr. Inga Münch verantwortet das Projekt „Trusted Health Ecosystems“ der Bertelsmann Stiftung. Zuletzt hat sie in verschiedenen Projekten an den Schnittstellen Patientenzentrierung und digitale Gesundheit gearbeitet. Sie ist Gesundheitswissenschaftlerin und hat zum Konzept gesundheitskompetenter Organisationen promoviert. Zuvor hat sie in der Forschung an wissenschaftlichen Projekten im Bereich Gesundheitsbildung, Patientenorientierung und Gesundheitssystemforschung gearbeitet.