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Mit den Risiken der Plattformökonomie umgehen

Transkript

Intro

Es zeichnet sich also ab, dass die Risiken im Gesundheitswesen weit größer und vielfältiger sein werden als in anderen, weniger anfälligen Wirtschaftsbereichen wie Social Media und E-Commerce.

Könnten öffentliche Plattformen eine Lösung sein?

Ich halte öffentliche Plattformen gerade im Gesundheitswesen für sehr wichtig. Im Gesundheitswesen sind die Daten heute fragmentiert und auf viele unterschiedliche herkömmliche Institutionen verteilt, ähnlich wie im Bankwesen. Schauen wir uns an, was in Indien durch die Schaffung des India Stack geschah: Hier wurde eine öffentliche Infrastruktur geschaffen, die es unterschiedlichen Stakeholdern im gesamten Finanzwesen erlaubt zusammenzuarbeiten.

Ein ähnlicher Ansatz würde auch im Gesundheitswesen funktionieren, wo die herkömmlichen Institutionen mit neuen Start-ups zusammenarbeiten müssen. Große öffentliche Datennetzwerke könnten einen Mechanismus bieten, um diese Zusammenarbeit zu koordinieren. Deshalb plädiere ich im Gesundheitswesen entschieden für die Schaffung öffentlicher digitaler Infrastrukturen, selbst wenn andere Bereiche ohne sie ausgekommen sind.

Welche Ziele können durch gesetzliche Regulierung erreicht werden?

Die möglichen Nachteile der Plattformökonomie können bis zu einem gewissen Grad durch gesetzliche Regulierung vermieden werden. Zurzeit herrschen in der Plattformökonomie Zustände wie im Wilden Westen. Es gibt keine Vorgaben, was mit den gewonnenen Daten geschehen darf. Gesetzgebung spielt dann eine wichtige Rolle, wenn die Konzentration in einem Wirtschaftszweig zu groß wird oder das Individuum zu sehr entmachtet wird.

Doch genauso wichtig ist es, dafür zu sorgen, dass Gesetze die Innovation nicht ersticken und dass wir einen eigenen Wert als Gegengewicht schaffen und Innovation durch öffentliche Infrastrukturen und Standards fördern, die es den Unternehmen erleichtern, ihre Zusammenarbeit zu koordinieren. Daher ist es wichtig, dass wir hier nicht nur einen regulierungsfördernden Ansatz verfolgen. Wir schaffen ein Gegengewicht zu den Gefahren, indem wir die richtigen Voraussetzungen für Innovation bereitstellen.

Sollten nationale Gesundheitssysteme mit dem privaten Sektor in Wettbewerb treten?

Für das Gesundheitsökosystem wäre es kontraproduktiv, wenn nationale Gesundheitssysteme mit Akteuren des privaten Sektors konkurrieren würden. Um Probleme im Gesundheitsökosystem systematisch zu lösen, brauchen wir nationale Gesundheitssysteme, die die richtigen öffentlichen Güter rund um Patientendaten schaffen, aber wir brauchen auch Anreize für privatwirtschaftliche Akteure, gute Diagnosemöglichkeiten zu entwickeln, indem sie diese Daten nutzen.

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Experte

Sangeet Paul Choudary ist Autor, Berater und Gründer von Platformation-Labs und setzt sich für individuelle Rechte in der Plattformwirtschaft ein. Sein internationaler Bestseller “Platform Revolution” wurde vom Forbes Magazine zum “Must-Read” erklärt. Er wird unter den besten 10 Strategie-Autoren des Harvard Business Review geführt und wurde von Thinkers50 Radar (2016) und Thinkers50 India (2015) ausgezeichnet. 2017 wurde er für seine Beiträge zur Plattformökonomie 2017 vom Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum) zum “Young Global Leader” ernannt.

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    Die Kraft der Plattformökonomie im Gesundheitswesen

    Transkript

    Intro

    Im Gesundheitssystem könnte die Plattformwirtschaft diagnostische Kompetenz bündeln und im Wesentlichen den Behandlungsweg des Patienten und den Zugang von Ärzten zu diesem Behandlungsweg auf Grundlage dieser Daten überwachen.

    Was unterscheidet die Plattformwirtschaft von herkömmlichen Geschäftsmodellen?

     Plattformwirtschaft bezeichnet die Gesamtheit der sozialen und wirtschaftlichen Aktivitäten, die durch digitale Plattformen ermöglicht werden. Digitale Plattformen unterscheiden sich von herkömmlichen Geschäftsmodellen. Herkömmliche Geschäftsmodelle beschreibe ich gern als Pipelines. Hier wird ein Produkt erzeugt, transportiert und dem Endnutzer zur Verfügung gestellt. Digitale Plattformen schaffen eine Infrastruktur, die es externen Akteuren erlaubt, in Kontakt zu treten und miteinander Wert zu schaffen und auszutauschen.

    Dies ist aus folgendem Grund wichtig: In einer herkömmlichen Pipelinewirtschaft waren Ihre Möglichkeiten, Wert zu schöpfen, begrenzt durch Ihren Zugang zu Ressourcen und durch das Arbeitskräftepotential in Ihrem Betrieb. In der Plattformwirtschaft hängt ihre Kapazität für Wertschöpfung nicht von den Ressourcen innerhalb Ihres Unternehmens ab, sondern von Ihrer Fähigkeit, externe Ressourcen für Ihre Ziele einzusetzen. Dadurch profitieren Sie von dem, was als nachfrageseitige Skaleneffekte bezeichnet wird.

    Wie kann das Gesundheitswesen von der Plattformwirtschaft profitieren?

    Kaum ein anderer Bereich ist so prädestiniert, von der Plattformwirtschaft zu profitieren. Um das zu verstehen, müssen wir die Wertschöpfungskette im Gesundheitswesen betrachten. Es gibt drei Positionen, an denen Plattformen zur Wertschöpfung beitragen können. Für Ärzte können sie die Diagnosemöglichkeiten verbessern. Sie können eine Infrastruktur bieten, die es Ärzten erlaubt, genauer zu diagnostizieren und besser zu operieren. Eine andere Chance für Wertschöpfung ist näher bei den Patienten angesiedelt: Plattformen können als Depot für Patientendaten dienen und sie zusammenführen. Zwischen diesen beiden Polen können Plattformen eine wichtige integrierende Rolle spielen, indem sie die immer zahlreicher werdenden APIs für das Gesundheitssystem im gesamten Ökosystem auffinden und zugänglich machen.

    Welche Gefahren bestehen, wenn Plattformen in den Gesundheitsmarkt eintreten?

    Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Nutzung von Plattformen im Gesundheitssystem zu den gleichen Datenmonopolen führen könnte wie in anderen Sektoren. Der Grund hierfür ist, dass Plattformen Mehrwert erzeugen, indem sie Daten erheben und ein Kontrollmonopol über große Datenmengen errichten. Im Gesundheitswesen ist dies noch bedeutsamer, da hier ein großer Teil der Wertschöpfung durch datengestützte Diagnose und datengestützte Behandlung erzielt wird. Es gibt also vielfältige Anreize für Plattformen, Daten zu erfassen und große Datenmonopole zu schaffen, wenn sie ins Gesundheitswesen eintreten.

    Als Gegengewicht zu diesen Risiken müssen wir einerseits geeignete Richtlinien und Kontrollinstanzen schaffen. Noch wichtiger ist andererseits, dass die Alternativen, z.B. öffentliche Infrastrukturen, so gestaltet werden, dass die Regulierung nicht zum Hindernis für Innovation wird. Um ein Gegengewicht zu digitalen Plattformen zu schaffen, brauchen wir also eine Kombination dieser beiden Herangehensweisen.

    Wer wird zukünftig die Steuerung der Patientenströme übernehmen.

    Wer wird zukünftig die Steuerung der Patientenströme übernehmen?

    Mir erscheint es sehr wahrscheinlich, dass die Patientenströme der Zukunft nicht mehr von den traditionellen Institutionen des Gesundheitswesens kontrolliert werden. Während die Welt sich immer stärker vernetzt, müssen wir feststellen, wie fragmentiert das Gesundheitswesen derzeit ist. Die Patientendaten werden in fragmentierter Form von verschiedenen Institutionen aufbewahrt. Die zunehmende Vernetzung in der Welt führt natürlich dazu, dass auch Patientendaten konzentriert und gemeinsam genutzt werden. Gegenwärtig stehen wir vor der Wahl, ob große, multinationale Unternehmen oder öffentliche digitale Infrastrukturen den Austausch von Daten und ihre gemeinsame Nutzung durch unterschiedliche Systeme ermöglichen.

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    Experte

    Sangeet Paul Choudary ist Autor, Berater und Gründer von Platformation-Labs und setzt sich für individuelle Rechte in der Plattformwirtschaft ein. Sein internationaler Bestseller “Platform Revolution” wurde vom Forbes Magazine zum “Must-Read” erklärt. Er wird unter den besten 10 Strategie-Autoren des Harvard Business Review geführt und wurde von Thinkers50 Radar (2016) und Thinkers50 India (2015) ausgezeichnet. 2017 wurde er für seine Beiträge zur Plattformökonomie 2017 vom Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum) zum “Young Global Leader” ernannt.

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      Digitale Ökosysteme – Was ist das eigentlich?

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      Intro

      Das sind Firmen, die ganze Lebensbereiche und Branchen drastisch verändert haben.

      Was ist unter einem digitalen Ökosystem zu verstehen?

      Auch wenn der Begriff “digitale Ökosysteme” vielleicht nicht jedem direkt geläufig ist, so kennen wir doch alle Beispiele von digitalen Ökosystemen, weil sie ganze Lebensbereiche, mit denen wir täglich konfrontiert sind, drastisch umgestaltet haben. Wir kennen Uber, wir kennen Airbnb, wir kennen den Amazon Marketplace.

      Schauen wir uns mal das Beispiel Airbnb an. Dort haben wir private Gastgeber, die Übernachtungsmöglichkeiten an andere Privatmenschen anbieten. Und dann haben wir eine ganz wichtige Rolle, nämlich zentral dazwischen ist Airbnb als Vermittler. Und diese Vermittlerrolle, das ist genau das, was eigentlich alle digitalen Ökosysteme kennzeichnet und eine Gemeinsamkeit ist.

      Diese Vermittlung passiert rein digital und die Plattform wird dann das technische Herzstück unseres digitalen Ökosystems. Und dieses digitale Ökosystem mit seiner Plattform müssen jetzt eben möglichst skalierbar sein, weil wir freiwillig Teilnehmer haben und diese freiwilligen Teilnehmer sich alle einen Vorteil davon versprechen, in dieses digitale Ökosystem zu kommen. Dann setzt sich eine Spirale in Gang. Es kommen immer mehr Anbieter rein, es kommen immer mehr Konsumenten rein. Und das sind dann genau diese Netzwerkeffekte, die häufig zitiert werden und die die Grundlage sind für alle Geschäftsmodelle in der Plattformökonomie.

      Was ist das Neue an digitalen Ökosystemen?

      Digitale Ökosysteme sind gerade nicht deswegen erfolgreich, weil sie etwas komplett Neues anbieten, sondern weil sie etwas anbieten, was es meistens vorher schon gab, aber das auf ein neues Level heben. Für die Konsumenten ist es besonders attraktiv, weil sie ein viel größeres Angebot bekommen, als es jemals der Fall war. Für die Anbieter ist es sehr attraktiv, weil sie eine riesige Konsumentenbasis als Markt erschließen können, ohne dass sie selbst diese Erschließungskosten tragen müssen. Und für den Anbieter des digitalen Ökosystems, für den Betreiber ist es natürlich auch sehr lukrativ.

      Und im öffentlichen Bereich ist es jetzt eben so, dass es dort aber noch sehr wenige und vor allem wenige erfolgreiche digitale Ökosysteme gibt und dass wir vielmehr die Chance auch nutzen müssen, dieses erfolgreiche Prinzip für die öffentliche Verwaltung und den öffentlichen Sektor auszunutzen und die Power der Plattformökonomie dort entsprechend einzusetzen.

      Und welche Risiken gibt es?

      Ja, überall, wo es viele Vorteile gibt, gibt es natürlich auch Risiken. Ein digitales Ökosystem startet man typischerweise in einem Land, lässt es dort wachsen, aber wegen der starken Skalierbarkeit ist es eben dann auch sehr schnell möglich, in andere Märkte und Länder einzudringen. Und somit sehen wir natürlich ein gewisses Risiko, dass internationale Player auch in den deutschen Markt relativ einfach eintreten können, dort sehr schnell wachsen und dann auch die Regeln hier diktieren können, wie das digitale Ökosystem funktioniert. Und wenn das Ökosystem wirklich groß ist und wenn das sehr etabliert ist und es dann auch nicht viele Alternativen gibt, dann birgt das natürlich das Risiko für die anderen Teilnehmenden, dass sie auch keine echte Alternative dazu mehr haben.

      Wie lassen sich Ökosysteme regulieren?

      Dem Risiko des Machtmissbrauchs kann man relativ schwer begegnen. Es ist ja typischerweise so, dass Unternehmen digitale Ökosysteme im Rahmen der geltenden Gesetze aufbauen und damit immer erfolgreicher werden. Trotzdem entsteht hier diese Machtkonzentration eben und der versucht man dadurch zu begegnen, dass man vor allem auch auf europäischer Ebene durch eine entsprechende Regulierung Rahmenbedingungen schafft, die eine zu starke Machtkonzentration verhindert.

      Das andere Risiko eher auf der Ebene der Marktdominanz, das kann man dadurch angehen, dass man eben es versucht und fördert, dass auch mehr digitale Ökosysteme in Deutschland entstehen und damit auch ein natürliches Gegengewicht zu internationalen Playern dann entsteht und passiert. Ein zusätzlicher Aspekt, den wir auch noch reinbringen können, ist, dass gerade wenn der Staat auch unterstützend auftritt, dass er dann entsprechend einwirken kann, sowohl auf die Rahmenbedingungen als auch die entsprechenden Wertevorstellungen, die in so einem digitalen Ökosystem umgesetzt werden.

      Sind alle digitalen Ökosysteme auf Profit ausgerichtet?

      Es ist nicht zwingend notwendig, dass sie eine Gewinnerzielungsabsicht verfolgen. Wir kennen Beispiele wie Wikipedia, was sehr weit verbreitet ist, oder auch Better Place, eine Spendenplattform, die sich selbst dann auch wieder über Spenden finanzieren. Eine andere Möglichkeit ist, dass man sich entsprechende Sponsoren sucht oder auch die öffentliche Hand als Sponsor auftritt und auch darüber kann ein digitales Ökosystem etabliert und betrieben werden.

      Inhalt

      Experte

      Dr. Matthias Naab ist Co-Founder von Full Flamingo. Gemeinsam mit seinen Partnern hilft er Unternehmen pragmatisch, die wichtigen Entscheidungen in der digitalen Transformation abzusichern. Bis 2022 am Fraunhofer IESE als Führungskraft tätig, hat er das Thema „Digitale Ökosysteme und Plattformökonomie“ mit aufgebaut und verantwortet.

       

       

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        Was ist Plattformmacht?

        Dr. Michael Seemann

        Wir alle nutzen sie jeden Tag: Plattformen. Ebay, Instagram, Uber, Wolt, AirBnB … Plattformen sind nützlich, weil sie Kommunikation, Koordination und Transaktionen organisieren und so alle möglichen Aufgaben erleichtern. Aber wenn wir ehrlich sind, fühlen wir uns von ihnen auch oft auf unangenehme Weise abhängig. Im folgenden Artikel erläutere ich verschiedene Aspekte der Plattformmacht und deren Auswirkungen.

        Plattformen haben Macht. Das ist ein Gemeinplatz, auf den sich alle einigen können. Doch häufig wird gestritten, welche Art von Macht sie haben. Da gibt es zum Beispiel die wirtschaftliche Macht. Plattformunternehmen verfügen oft über viel Geld und Ressourcen, um ihre Vorstellungen umzusetzen. Darüber hinaus besitzen sie Marktmacht. Häufig werden Plattformunternehmen als Monopole oder mindestens als marktdominierende Akteure beschrieben und problematisiert. Und schließlich haben Plattformen Datenmacht. Sie sammeln unzählige Daten über uns, unser Verhalten und über die Gesellschaft als Ganzes. Dazu kann man ihnen zunehmend auch politische Macht unterstellen. Sie unterhalten eine der größten Gruppen an Lobbyisten in Brüssel und Washington, und über ihre Algorithmen können sie oft auch politische Diskurse beeinflussen.

        All diese Analysen sind richtig. Doch mir scheint, dass diese Felder der Macht selbst nur die Effekte einer ganz anderen Macht sind. Plattformen – so meine These – haben eine eigene, ganz spezifische Macht, und all die anderen Formen der Macht resultieren aus ihr.

        Plattformmacht

        Ich spreche von „Plattformmacht“ (Seemann 2021): eine Macht, die in dieser Form nur Plattformen haben und ausüben und die sich nur aus ihrer ganz speziellen Struktur heraus erklärt.

        Plattformmacht besteht aus zwei Teilen:

        1. Netzwerkmacht, die Individuen, Institutionen und andere Teilnehmende in die Plattform zieht und sie an sich bindet.
        2. Kontrolle, die es Plattformbetreibern erlaubt, Einfluss auf alles zu nehmen, was auf der Plattform passiert.

        Netzwerkmacht ist eigentlich nur ein anderer Name für „Netzwerkeffekte“. Dieser Begriff aus den Wirtschaftswissenschaften beschreibt den Effekt, dass Akteure immer das Netzwerk bevorzugen, in dem die meisten anderen Akteure sind. Man kennt das: Ein Social Network, bei dem niemand ist, ist nicht sehr attraktiv. Nur ein Netzwerk, in dem ich mit anderen kommunizieren kann, hat einen Wert für mich. Der Wert eines Netzwerks hängt also unmittelbar mit seiner Größe zusammen.

        Dieser Effekt lässt sich aber auch als eine Form der Macht beschreiben (Grewal 2008). Meine Entscheidung, dem einen oder dem anderen Netzwerk beizutreten, ist nicht völlig frei, sondern wird stark durch die Netzwerkeffekte beeinflusst. Gleichzeitig ist es schwer, ein Netzwerk zu verlassen, in dem ich bereits viele Beziehungen aufgebaut habe. Dieser Effekt wird auch „LockIn“ genannt, weil er einen in gewisser Weise einsperrt. Netzwerkeffekte ziehen also Menschen in ein Netzwerk und halten sie dort. Daher kann man auch von „Netzwerkmacht“ sprechen.

        Wir kennen Netzwerkmacht aber nicht erst seit digitalen Plattformen. Die meisten von uns haben Englisch als erste Fremdsprache gelernt. Das liegt unter anderem daran, dass es so nützlich ist, Englisch sprechen zu können, denn Englisch wird von den meisten Menschen auf der Welt gesprochen. Die Netzwerkmacht der englischen Sprache, so könnte man sagen, ist größer als die der französischen.

        Netzwerkmacht gibt es überall in unserem Leben. Gesten, Sprachen, Gebräuche – sie alle haben Netzwerkmacht, denn sie sind darauf angewiesen, dass genug andere Menschen sie erkennen und interpretieren können. Auch Plattformen haben Netzwerkmacht. Doch während niemand in der Lage ist, allein Sprachen, Gesten und Gebräuche zu steuern, sie zu verändern oder Leute davon auszuschließen, können Instagram und Uber bestimmen, wer bei ihnen mitmachen darf und was jemand dort tun kann.

        Hier kommt der zweite Faktor der Plattformmacht zum Tragen: die Kontrolle. Plattformen sind technische Infrastrukturen, die ihren Betreibern eine Menge Möglichkeiten einräumen, Kontrolle auszuüben. Allein durch die Ausgestaltung der Features können Plattformen bestimmen, welche Dinge auf ihnen möglich sind und welche nicht. Sie haben auch die Möglichkeit, mittels der Such-, Empfehlungs- oder Matchingalgorithmen zu steuern, welche Interaktionen auf der Plattform passieren. Und sie können auch entscheiden, bestimmte Personen von der Nutzung auszuschließen oder deren Interaktionsmöglichkeiten zu reduzieren. Kombiniert man beides – Netzwerkmacht und die Möglichkeit, Kontrolle auszuüben –, entsteht eine neue Form von Macht: die Plattformmacht.

        Die Graphnahme

        Jede Plattform steht zunächst vor einer Herausforderung: Um für Nutzende attraktiv zu sein, muss die Plattform Netzwerkmacht erlangen. Um diese zu erlangen, muss sie Nutzende anlocken. Es ist ein Henne-Ei-Problem, das nur schwer zu lösen ist. Plattformen haben das Problem in der Vergangenheit so gelöst, dass sie sich bereits existierende Netzwerke einverleibt haben. So hat Google sich über das World Wide Web gelegt, WhatsApp hat durch den Upload der Adressbücher seiner Nutzenden deren Kontakte importiert, Uber warb zunächst gezielt Taxifahrer ab, und Facebook ist am Anfang von Campus zu Campus gezogen und hat die Studierenden der Eliteuniversitäten motiviert, auf die Plattform zu kommen.

        Den Trick, schon existierende Netzwerke in die eigene Plattform zu integrieren, um sie zur Grundlage des eigenen Netzwerkwachstums zu machen, nenne ich „Graphnahme“. Eine solche Graphnahme gewinnorientierter Plattformen könnte auch dem Gesundheitsbereich drohen. Ein denkbares Szenario dafür habe ich an anderer Stelle entwickelt (Seemann 2022).

        Die Politik der Plattformen

        Nach der Graphnahme ist eine Plattform nicht nur attraktiver für Außenstehende, sondern sie hat auch eine Gemeinschaft unter ihre Regeln gestellt. Wie die Landnahme ist die Graphnahme ein Akt der politischen Ordnungsgebung (Schmitt 1950). Das macht Plattformen zu politischen Institutionen: Jede Plattform wirkt politisch nach innen – meistens über Moderationsprozesse (Netzinnenpolitik) – und nach außen, weil sie sich mit anderen mächtigen Institutionen, wie anderen Plattformen oder Staaten, ins Benehmen setzen muss (Netzaußenpolitik).

        Man kann heutige Politik nicht mehr verstehen, ohne die Politik der Plattformen ernst zu nehmen. Googles früheres Engagement in China, Facebooks Einfluss auf die US-Wahlen, Elon Musks Kauf von Twitter: Plattformen sind politisch, auch wenn sie lange einen anderen Eindruck erwecken wollten. Schon die Übernahme eines Vernetzungszusammenhangs selbst ist ein politischer Akt. Man stelle sich vor, eine private Plattform könnte eine ähnliche Kontrolle über das Gesundheitssystem erlangen.

        Das Geschäftsmodell

        Die Plattformmacht begründet aber nicht nur politische Ordnungen, sondern ist auch Grundlage aller Geschäftsmodelle von Plattformen. Jedes Plattformgeschäftsmodell verwendet auf die eine oder andere Weise Netzwerkmacht und Kontrolle als Hebel, um bestimmte Nutzergruppen zum Zahlen zu bewegen – sei es durch die Begrenzung des Zugangs zu Features oder durch Begrenzung des Zugangs zu anderen Nutzenden. Das ist offensichtlich, wenn etwa Uber und AirBnB Vermittlungsprovision kassieren, oder Amazon Gebühren von Händlern nimmt. Doch auch das Werbegeschäftsmodell ist nur der Wegzoll, den Werbekunden an die kommerziellen Plattformen zahlen, um die Nutzerschaft erreichen zu dürfen.

        Enshittification

        Für die gewinnorientierten Plattformen ergibt sich hier ein Widerspruch. Auf der einen Seite will eine Plattform immer wachsen, denn Wachstum ist der Weg, um Plattformmacht und damit Nützlichkeit zu erlangen – dafür muss sie sich möglichst offen geben und allen Zugang zu allem gewähren. Auf der anderen Seite will eine Plattform in der Regel auch Geld verdienen – dafür muss sie Zugänge schließen und begrenzen, denn sonst zahlt niemand Wegzoll. Diese widersprechenden Dynamiken führen dazu, dass jede Plattform mehrere Phasen durchläuft.

        In der frühen Phase, also kurz nach der Graphnahme, ist eine Plattform auf Wachstum ausgerichtet. In dieser Phase versuchen die Plattformen für alle so nützlich wie möglich zu sein, um Plattformmacht zu erlangen. Erst wenn viele Leute auf die Plattform geströmt sind und sich in ihr eingerichtet haben, findet die Plattform ihr Geschäftsmodell. Die Plattform bestimmt die Engstellen, an denen sie Wegzoll nehmen will, und beginnt sie nach und nach zu schließen. Während das Wachstum abflacht, werden die Zugänge immer weiter geschlossen bzw. an immer mehr Stellen werden Wegzölle verlangt. In der nächsten Phase geht es der Plattform dann nur noch darum, den größten Profit aus der immer abhängigeren Community zu extrahieren. Die Möglichkeiten für die Nutzenden werden immer weniger, der Nutzen wird immer geringer, die Nutzung immer teurer. Der Science-Fiction-Autor Cory Doctorow und die Netzaktivistin Rebecca Giblin haben für diesen Prozess den Namen „Enshittification“ gefunden (Giblin & Doctorow 2022).

        Die Ambivalenz der Plattformen: Nutzen ist Macht

        Es ist ungemein schwer, Menschen dazu zu bewegen, einen gemeinsamen Standard zu etablieren. Man spricht in der Soziologie vom „Problem kollektiven Handelns“ (Olson 1965). Ist ein gemeinsamer Kommunikationsstandard erst einmal etabliert, profitieren alle Kommunikationsteilnehmerinnen und -teilnehmer davon. Das ist das große Verdienst von Plattformen. Man darf deswegen nicht vergessen: Plattformen sind aus demselben Grund nützlich, aus dem sie mächtig sind.

        Plattformen sind ein Konzept zur Organisation menschlicher Interaktionen, bei denen sich Netzwerkmacht mit Kontrolle kombinieren lässt. Plattformmacht ist sowohl Grundlage des zunehmenden politischen Einflusses von Plattformen als auch ihrer Geschäftsmodelle. Da Plattformbetreiber meist kapitalistische Unternehmen sind, suchen sie Wege, um den Mehrwert, den sie generieren, wieder abzuschöpfen. Dafür müssen sie zwangsläufig die Zugänge der Interaktionen beschränken und den Nutzen der Plattformen wieder verringern.

        Plattformen sind nützlich und gerade deswegen auch gefährlich. Plattform sind nicht grundsätzlich abzulehnen, aber man sollte sehr aufpassen, von welchen Plattformen man sich abhängig macht. Insbesondere, wenn es um sensible gesellschaftliche Zusammenhänge wie etwa die Gesundheitsversorgung geht.

        Literatur

        Giblin R, Doctorow C (2022). Chokepoint Capitalism: How Big Tech and Big Content Captured Creative Labor Markets and How We’ll Win Them Back. Boston.

        Grewal D S (2008). Network Power. The Social Dynamics of Globalization. New Haven.

        Olson M (1965). The Logic of Collective Action. Public Goods and the Theory of Groups. Cambridge.

        Schmitt C (1950). Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum. Berlin.

        Seemann M (2014). Das Neue Spiel. Strategien für die Welt nach dem digitalen Kontrollverlust. Freiburg.

        Seemann M (2021). Die Macht der Plattformen. Politik in Zeiten der Internetgiganten. Berlin.

        Seemann M (2022). Die Graphnahme der Gesundheit. Ein Planspiel zur möglichen Plattformisierung des deutschen Gesundheitssystems. Baas J (Hrsg.). Gesundheit im Zeitalter der Plattformökonomie. Ziele. Herausforderungen. Handlungsoptionen. Berlin. 50–58.

        Autor

        Michael Seemann studierte Angewandte Kulturwissenschaften und promovierte 2021 in Medienwissenschaften. Er startete 2010 einen Blog zum Verlust der Kontrolle über die Daten im Internet und veröffentlichte seine Thesen 2014 unter dem Titel „Das Neue Spiel“ auch als Buch. Sein zweites Buch, „Die Macht der Plattformen“, erschien 2021. Zum Thema Plattformregulierung war er 2016 als Sachverständiger im Bundestag. Er hält Vorträge zu den Themen Internetkultur, Plattformen, Künstliche Intelligenz und die Krise der Institutionen in Zeiten des digitalen Kontrollverlusts.

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          Digitale Ökosysteme: Attraktivität als Transformationsmodell

          Dr. Matthias Naab
          Dr. Marcus Trapp

          Digitale Ökosysteme und Plattformökonomie können allen daran Beteiligten so viele Vorteile bieten, dass sie als Kooperationsmodell schon ganze Lebensbereiche verändert haben. Die folgende Übersicht beschreibt, wodurch digitale Ökosysteme mit ihren Plattformen so attraktiv werden und was zu tun ist, um diese innovative Kraft zu mobilisieren.

          Digitale Ökosysteme ...

          ... sind attraktiv

          Digitale Ökosysteme müssen echte Mehrwerte bieten, denn nur so überzeugen sie die unabhängigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer beizutreten. Ein wesentlicher Pluspunkt ist der Zugang zu einer großen Zahl anderer Ökosystemteilnehmer, die je nach eigener Rolle für Angebot oder Nachfrage sorgen. Diese Community kann durch ihre Vielfalt wie auch durch ihre breite geografische Verteilung Vorteile bieten. Um möglichst viele Menschen, Organisationen und Unternehmen anzuziehen und zu überzeugen, etablieren digitale Ökosysteme oft keine oder kaum Zugangsbeschränkungen (Choudary 2017).

          Besonders attraktiv wird die Vermittlung über die digitale Plattform aber durch eine starke Harmonisierung in der Vermittlung und eine äußerst einfache Nutzung mit sehr guter User Experience. Nur so ist der Zugang zu einer großen Zahl anderer Ökosystemteilnehmer effizient möglich. In diese Harmonisierung investiert der Initiator und Betreiber der digitalen Plattform meist viel Zeit und Geld: Sie erstreckt sich bei kommerziellen digitalen Ökosystemen über geschäftliche Aspekte wie das Geschäftsmodell, technische Aspekte wie einen einheitlichen Zugriff über APIs und rechtliche Aspekte wie einheitliche Vertragsbeziehungen. Die Umsetzung resultiert in zahlreichen Funktionen der digitalen Plattform wie Bezahlfunktionen, Suchfunktionen oder Datentransformationen. Bei gemeinnützigen digitalen Ökosystemen gilt dies grundsätzlich auch, nur steht keine Gewinnerzielungsabsicht des Betreibers dahinter. Oft wird von außen – gerade weil alle Abläufe so reibungslos und angenehm für alle Beteiligten sind – überhaupt nicht wahrgenommen, wie viel Aufwand dafür investiert werden muss. Die Einfachheit und Eleganz digitaler Ökosystemdienste darf also keinesfalls mit nicht vorhandener Komplexität in der Gestaltung verwechselt werden.

          So erleichtern digitale Ökosysteme den Zugang zu vielen Angeboten, die nicht mehr einzeln bei vielen Anbietern zusammengesucht werden müssen, sondern einfach über das vermittelnde System gebündelt werden. Der Mehrwert entsteht dabei aus der Kombination der digitalen Plattform mit allen Aspekten der vermittelnden Services und aus der aktiven Beteiligung der Community. Nur wenn beides zusammenkommt und passt, wird das digitale Ökosystem attraktiv.

          ... sind skalierbar

          Ein digitales Ökosystem bietet dem Betreiber einen riesigen Gestaltungsspielraum für neue Geschäftsmodelle. Eine Organisation kann sich neu positionieren und ihren Einfluss vergrößern, insbesondere dadurch, dass sie zum zentralen Anlaufpunkt für viele Teilnehmende wird. Die Ökosysteme sind auf hohes Wachstumspotenzial und Skalierung ausgelegt und ermöglichen dies, indem sie die Vermittlungsservices rein digital erbringen. Somit profitiert der Betreiber von einer steigenden Teilnehmerzahl, weil mehr und mehr Netzwerkeffekte einsetzen und er an den Geschäften im Ökosystem mitverdient. Dies bietet wiederum die Möglichkeit, die Plattform und die Services weiter auszubauen und noch attraktiver zu machen.

          ... sind disruptiv

          Ein digitales Ökosystem steht nicht für sich allein und entsteht auch keineswegs aus dem Nichts, sondern bettet sich in eine Landschaft aus Akteuren und deren Beziehungen untereinander ein. Ein etabliertes Netzwerk aus Partnern und Wertschöpfungsketten in einer Branche nennen wir Domänen-Ökosystem. Es ist zu beobachten, dass immer wieder neue digitale Ökosysteme entstehen, die mit ihren jeweiligen Services unterschiedliche Bedarfe ansprechen und bei Erfolg die vorherigen Geschäftsbeziehungen im Domänen-Ökosystem massiv verändern. Durch das Entstehen eines neuen digitalen Ökosystems und die Teilnahme von Akteuren verändern sich die Verhältnisse und Positionen innerhalb des Domänen-Ökosystems (Trapp 2020).

          Gleichzeitig kann es mehrere, möglicherweise konkurrierende oder sich ergänzende, digitale Ökosysteme in einem Domänen-Ökosystem geben. Dabei kann ein Akteur sich auch in verschiedenen digitalen Ökosystemen bewegen, gegebenenfalls in jeweils unterschiedlichen Rollen. So gibt es in der Mobilitätsbranche beispielsweise digitale Ökosysteme wie Uber oder Lyft für den Individualtransport im Pkw. Gleichzeitig hat Flixbus als digitales Ökosystem den Markt für Fernbusreisen verändert und harmonisiert. Darüber hinaus gibt es viele weitere digitale Ökosysteme rund um Mobilität, etwa die Vermittlung von Telematikdaten aus Fahrzeugen unterschiedlichster Hersteller.

          ... sind erst auf lange Sicht lukrativ

          Ein digitales Ökosystem kann nicht von heute auf morgen erschaffen werden. Es reicht auch nicht, einfach die digitale Plattform als Softwaresystem zu entwickeln. Vielmehr ist es notwendig, das digitale Ökosystem ganzheitlich zu gestalten und abgestimmt aufeinander sowohl die Plattform zu bauen als auch Teilnehmende für das Ökosystem zu gewinnen und darin zu anhaltender Aktivität zu bewegen.

          Dies ist typischerweise ein Prozess über etliche Jahre, der anfangs meist relativ langsames Wachstum mit sich bringt und erst nach einiger Zeit bei dann einsetzenden Netzwerkeffekten an Fahrt aufnimmt. Rückblickend sind die digitalen Ökosysteme wie von Amazon oder Airbnb zwar nicht besonders alt – trotzdem dauert es meist rund zehn bis fünfzehn Jahre, bis eine eindrucksvolle Größe erreicht ist, die es ermöglicht, dass der Betrieb der Plattform und des Ökosystems sich selbst trägt. Da der Aufbau meist mit hohen Investitionen in das Wachstum einhergeht und erst recht spät selbsttragend wird, sind ein langer Atem und Investitionsbereitschaft notwendig. Die Erwartung, nach 18 Monaten einen positiven ROI zu erreichen, kann mit digitalen Ökosystemen nicht erfüllt werden.

          ... sind vielfältig

          Digitale Ökosysteme haben im Kern zwar das Grundprinzip der Vermittlung gemeinsam, können aber trotzdem sehr unterschiedlich sein: Sie können sich an unterschiedliche Konstellationen von Anbietern und Konsumenten wenden und sich auf verschiedenste Assets fokussieren, von Übernachtungsmöglichkeiten über Fahrzeugdaten bis hin zu Kontaktanbahnungen. Sie können das Geschäftsmodell sehr unterschiedlich gestalten und von non-profit bis maximal profitorientiert aufgestellt sein. Manche Ökosysteme fokussieren sich auf die Vermittlung zwischen Unternehmen (B2B), andere vermitteln ausschließlich zwischen Privatpersonen (C2C), und wieder andere arbeiten mit jeglicher Kombination dazwischen. Und natürlich können auch noch staatliche Stellen einbezogen werden.

          Der Gestaltung digitaler Ökosysteme sind also wenig Grenzen gesetzt, solange sie es schaffen, attraktiv für Teilnehmende zu bleiben und genügend finanzielle Mittel aufzubringen, um die Anlauf- und Wachstumsphase zu stemmen. Deshalb gibt es auch noch viel Raum für weitere digitale Ökosysteme.

          ... sind mächtig

          Trotz aller möglichen Vorteile können digitale Ökosysteme je nach Betrachtungswinkel auch Risiken mit sich bringen. Diese Risiken hängen hauptsächlich damit zusammen, dass bei erfolgreichen digitalen Ökosystemen sich selbst verstärkende Netzwerkeffekte eintreten, die ein digitales Ökosystem umso attraktiver machen, je mehr Teilnehmer es gewonnen hat. Das führt einerseits zu einer Machtkonzentration beim Betreiber dieses Ökosystems und andererseits dazu, dass üblicherweise die Anzahl erfolgreich konkurrierender Ökosysteme sehr beschränkt ist (meist ein bis drei direkte Konkurrenten). Das wiederum bewirkt eine Zentralisierung der Gewinne beim Vermittler und kann kleine lokale Anbieter in starke Abhängigkeit führen.

          Literatur

          Choudary S (2017). Die Plattform-Revolution im E-Commerce: Von Airbnb, Uber, PayPal und Co. lernen: Wie neue Plattform-Geschäftsmodelle die Wirtschaft verändern.

          Trapp M (2020). Digitale Ökosysteme und Plattformökonomie: Was ist das und was sind die Chancen? https://www.informatik-aktuell.de/management-und-recht/digitalisierung/digitale-oekosysteme-und-plattformoekonomie.html

          Autoren

          Dr. Matthias Naab und Dr. Marcus Trapp sind Co-Founder von Full Flamingo. Sie helfen Unternehmen pragmatisch, die wichtigen Entscheidungen in der digitalen Transformation abzusichern. Sie waren bis 2022 am Fraunhofer IESE als Führungskräfte tätig und haben das Thema „Digitale Ökosysteme und Plattformökonomie“ mit aufgebaut und verantwortet.

           

           

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            Zur Begrifflichkeit digitaler Ökosysteme und Plattformen

            Dr. Matthias Naab
            Dr. Marcus Trapp

            Die Begriffe „Plattform“ und „digitales Ökosystem“ sind in aller Munde und werden in den unterschiedlichsten Kontexten verwendet. Aber was verbirgt sich eigentlich dahinter? Was macht ein digitales Ökosystem aus und in welchem Verhältnis steht es zum Plattformbegriff? Die folgenden Ausführungen bringen Licht ins Dunkel der Begrifflichkeiten.

            Marken wie Amazon, Airbnb oder Uber sind allseits bekannt. Diese Unternehmen haben große und einflussreiche digitale Ökosysteme etabliert, die das tägliche Leben vieler Menschen signifikant beeinflussen. Sie vermitteln zum Beispiel Waren, Übernachtungsmöglichkeiten oder Personentransporte zwischen Anbietern und Konsumenten. Die genannten stammen aus den USA und sind mittlerweile weltweit aktiv. In China sind ebenfalls große digitale Ökosysteme wie Alibaba oder Tencent entstanden.

            Auch in Deutschland gibt es sehr erfolgreiche digitale Ökosysteme, wenn auch oft noch nicht so bekannt: So hat beispielsweise Schüttflix die Baubranche durch schnelle, zuverlässige Schüttgutlieferungen revolutioniert. Über MyHammer finden Kunden und Handwerker zueinander, und Urban Sports Club ermöglicht Sportbegeisterten den Zugang zu einem breiten Sportangebot.

            Schüttgutlieferanten, Handwerker oder Fitnessstudios profitieren als Anbieter dabei vom Zugang zu einer großen Kundengruppe, effizienterer Abwicklung und weiteren Vereinfachungen. Konsumenten und Konsumentinnen genießen ein breiteres Angebot, das kein Anbieter allein je bieten könnte.

            Digitale Ökosysteme können also eine Win-win-Situation bieten und sogar eine dreifache Win-Situation erzeugen, wenn der Benefit der Plattformbetreiber ebenfalls berücksichtigt wird. Gleichzeitig werden digitale Ökosysteme aber auch als Bedrohung wahrgenommen, weil ein Unternehmen über die Zeit eine große Dominanz aufbauen, Abhängigkeiten erzeugen und für seine Geschäftspraktiken nutzen kann. Viele Menschen können sich ihren Alltag ohne sie jedoch nicht mehr vorstellen. So ist zu fragen, wie digitale Ökosysteme aufgebaut und betrieben werden können, dass es für alle Beteiligten erstrebenswert ist.

            Definition: Digitales Ökosystem

            “Ein digitales Ökosystem ist ein sozio-technisches System, dessen Betrachtung sowohl alle beteiligten Menschen und Unternehmen in ihrer Rolle als Anbieter oder Konsumenten umfasst als auch die verbindenden IT-Systeme. Die zentrale Gemeinsamkeit digitaler Ökosysteme ist, dass etwas digital zwischen verschiedenen Parteien vermittelt wird und alle Beteiligten davon profitieren, dass eine möglichst große Zahl von Anbietern und Konsumenten Teil des Ökosystems ist.”

            (angelehnt an Koch 2022)

            Die Anbieter und Konsumenten sind in der Regel unabhängig voneinander und versprechen sich von der Teilnahme einen gegenseitigen Nutzen (Koch 2022a, Koch 2022b).

            Die Vermittlung der sogenannten Assets ist ein Service des Ökosystembetreibers bzw. -vermittlers und wird über eine digitale Plattform abgewickelt. Dies ermöglicht eine einfache Skalierung, sodass positive Netzwerkeffekte entstehen und sich nutzen lassen. Assets sind die zentralen Dinge in einem digitalen Ökosystem; sie werden zwischen Anbietern und Konsumenten ausgetauscht und können sehr unterschiedlich sein, von Übernachtungsmöglichkeiten über Schüttgut bis zu digitalen Informationen.

            Digitale Ökosysteme bieten für den Betreiber meist im Kern ein Geschäftsmodell, das auf einer Beteiligung am Vermittlungserfolg basiert. Daher hat der Betreiber das Ziel, die Menge der vermittelten Transaktionen zu erhöhen, und steckt viel Energie in einen möglichst reibungslosen Austausch der Assets und das möglichst einfache Onboarding der Teilnehmenden. Wegen der Abwicklung der Vermittlung über eine digitale Plattform hat sich der Begriff „Plattformökonomie“ etabliert. Dort gilt: Je attraktiver die Angebotsseite ist, desto mehr Konsumenten konsumieren mehr. Wird mehr konsumiert, führt dies zu einer weiteren Verbesserung der Angebotsseite. Dieses Verhalten wird durch die Begriffe „Netzwerkeffekte“ und „Flywheel“ beschrieben.

            Definition: Digitale Plattform

            Der Begriff „Plattform“ existiert schon sehr lange. Er wird extrem vielfältig und – aufgrund des Erfolgs von Plattformunternehmen und der Verheißungen der Plattformökonomie – inflationär gebraucht. Dadurch entsteht Verwirrung und selbst Fachleute in der IT-Industrie reden kontinuierlich aneinander vorbei. Das führt dazu, dass teilweise Geschäftsmodelle komplett misinterpretiert werden, und dass Unternehmen eine Plattform etablieren wollen, aber selbst innerhalb des Unternehmens keine gemeinsame Vorstellung davon existiert, was eine Plattform für den eigenen Betrieb eigentlich ist.

            “Im Kontext digitaler Ökosysteme verstehen wir unter einer digitalen Plattform ein Softwaresystem, das den technischen Kern eines digitalen Ökosystems bildet und typischerweise vom Ökosystembetreiber entwickelt und betrieben wird.”

            (angelehnt an Koch 2022)

            Anbieter sowie Konsumentinnen und Konsumenten nutzen es direkt über APIs oder Benutzungsoberflächen – z. B. einen digitalen Marktplatz – und wickeln so den Austausch der Assets ab. Die vermittelnde Leistung des Brokers wird so rein digital und damit skalierbar und effizient realisiert (Naab 2023).

            Klar abzugrenzen sind digitale Plattformen für Ökosysteme von den sogenannten Technologieplattformen: Diese werden verwendet, um Software (Dienste, Applikationen, weitere Technologieplattformen) darauf zu bauen und zu betreiben. Technologieplattformen bündeln wiederkehrende technologische und infrastrukturelle Aspekte von Software-Systemen und machen diese möglichst einfach durch klar definierte Schnittstellen verwendbar. Beispiele solcher Plattformen sind Cloud-Dienste wie Amazon Web Services oder Microsoft Azure. Diese führen nicht zu Netzwerkeffekten und bilden selbst kein Zentrum digitaler Ökosysteme, werden aber trotzdem in der Betrachtung oft vermischt.

            Digitale Ökosysteme entstehen nicht von selbst und folgen keinem evolutionären Instinkt, wie der Begriff in Anlehnung an die Biologie vermuten lassen könnte. Vielmehr entstehen sie dadurch, dass Organisationen aktiv und sehr gezielt an identifizierten Defiziten arbeiten und durch eine passend ausgestaltete Vermittlerrolle sowie eine unterstützende digitale Plattform Mehrwerte in einer Branche schaffen. Dies passiert nicht plötzlich, sondern erstreckt sich typischerweise über längere Zeiträume des Aufbaus.

            Um Ungleichgewichte und Interessenskonflikte zu vermeiden, muss ein Plattformbetreiber sich seiner Verantwortung bewusst sein und diese gezielt wahrnehmen. Von Anfang an sollten dabei geschäftliche, technische und rechtliche Aspekte beachtet und aufeinander abgestimmt werden. Es müssen Anreize und Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen eine verantwortungsbewusste Gestaltung besonders erfolgversprechend erscheint. Darüber hinaus braucht es ein Wertegerüst sowie klare Verhaltensregeln für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die faire und respektvolle Interaktionen entstehen lassen. (Lewrick 2021, Kawohl 2022)

            Es gibt nicht das eine Ökosystem im Gesundheitswesen

            Wie in allen Branchen gibt es auch im Gesundheitswesen zahlreiche Ansatzpunkte und Möglichkeiten für digitale Ökosysteme. Nie sollte das gesamte künftige Gesundheitswesen als „ein großes digitales Ökosystem“ betrachtet werden. Das passiert aber oft in undifferenzierten Diskussionen. Damit wird der Begriff jedoch unscharf und es bleibt unklar, wer was gestaltet und verantwortet. Stattdessen sollte man die einzelnen digitalen Ökosysteme nach der hier verwendeten Definition klar fokussieren und dann überlegen, wie alles im Domänen-Ökosystem „Gesundheitswesen“ zusammenwirkt und wie auf der Gesamtebene die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden können.

            Literatur

            Choudary S (2017). Die Plattform-Revolution im E-Commerce: Von Airbnb, Uber, PayPal und Co. lernen: Wie neue Plattform-Geschäftsmodelle die Wirtschaft verändern.

            Kawohl J (2022). ECOSYSTEMIZE YOUR BUSINESS: How to succeed in the new economy of collaboration.

            Koch M (2022a). Digitale Ökosysteme in Deutschland – Inspirierende Beispiele zur Stärkung der deutschen Wirtschaft. https://www.iese.fraunhofer.de/content/dam/iese/dokumente/media/studien/studie-digitale-oekosysteme-in-deutschland-fraunhofer-iese.pdf

            Koch M (2022b). A matter of definition: Criteria for digital ecosystems. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2666954422000072

            Lewrick M (2021). Business Ökosystem Design.

            Naab M (2023). Der Begriff “Plattform” ist hoffnungslos überstrapaziert! DIE Landkarte für den digitalen Plattform-Dschungel. https://www.informatik-aktuell.de/entwicklung/methoden/die-landkarte-fuer-den-digitalen-plattform-dschungel.html

            Trapp M (2020). Digitale Ökosysteme und Plattformökonomie: Was ist das und was sind die Chancen? https://www.informatik-aktuell.de/management-und-recht/digitalisierung/digitale-oekosysteme-und-plattformoekonomie.html

            Autoren

            Dr. Matthias Naab und Dr. Marcus Trapp sind Co-Founder von Full Flamingo. Sie helfen Unternehmen pragmatisch, die wichtigen Entscheidungen in der digitalen Transformation abzusichern. Sie waren bis 2022 am Fraunhofer IESE als Führungskräfte tätig und haben das Thema „Digitale Ökosysteme und Plattformökonomie“ mit aufgebaut und verantwortet.

             

             

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