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Internationale Plattform-Lösungen – Was können wir von ihnen lernen?

Transkript

Intro

Wie schaffen wir Ökosysteme, die die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung erhöhen? Wie schaffen wir Ökosysteme, die Prävention erleichtern?

Wie entsteht Vertrauen in eine digitale Plattform?

Aus meiner Sicht ist es wichtig, auch zu sagen, was macht man denn, um Vertrauen herzustellen und zu schaffen. Da denke ich, sind zwei Ansätze wichtig. Das eine ist Klarheit. Was ist denn der Zweck für Bürgerinnen und Bürger? Und zum anderen Transparenz zu schaffen.

Ein schönes Beispiel aus meiner Sicht ist Estland. Die haben gesetzlich geregelt der Zweck, zu dem bestimmte Gesundheitsbedienstete auf Gesundheitsdaten zugreifen dürfen und wann das erlaubt ist und wann das nicht erlaubt ist. Und zum zweiten haben sie Transparenz geschaffen, indem Bürgerinnen und Bürger über das estnische Gesundheits- und Bürgerportal sich einloggen können, um zu sehen, wer auf welche Daten zugegriffen hat.

Was braucht es noch, um eine Gesundheitsplattform attraktiv zu machen?

Der Nutzen ist das zentrale Element. Und bei Gesundheitsplattformen und Gesundheitsökosystemen geht es oft darum, Services zu schaffen, die sowohl bei Patientinnen und Patienten und Bürgern einen Mehrwert schaffen, als auch bei den Leistungserbringern im Gesundheitswesen, sei es Krankenschwestern, Pfleger, Ärzte und Ärztinnen etc.

Oft sind diese Services auch miteinander verknüpft, dass dann ein Service sowohl für die Bürger da ist und in dem Service sind dann auch Leistungsbringer mit dabei. Deswegen ist es zentral nutzerzentriert, diese Services zu entwickeln und diese Nutzer und Stakeholder von Anfang an einzubinden, dass man dann idealerweise einen Service schafft, der auf der einen Seite einen Nutzen für idealerweise mehrere Stakeholder hat und auf der anderen Seite auch effektiv und effizient funktioniert für die, die dann den Service erbringen müssen.

Ein schönes Beispiel in der Hinsicht ist Dänemark. Die arbeiten sehr stark mit Nutzerpaneln und Nutzerinterviews und Surveys und der Ko-Kreation von Services mit Bürgern und Leistungserbringern zusammen, um dann am Endeffekt Service zu haben, die den Wert oder den Mehrwert für die Stakeholder haben, aber auf der anderen Seite auch effektiv und effizient gemanagt werden können, damit dann auch die Nutzerzahlen hochgehen können.

Welche Ziele sollte eine nationale Gesundheitsplattform verfolgen?

Die Ambition könnte sein, wie schaffen wir Ökosysteme, die die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung erhöhen? Wie schaffen wir Ökosysteme, die Prävention erleichtern? Wie schaffen wir Ökosysteme, die es den Betroffenen erlauben, mit chronischen Krankheiten besser umzugehen? Und idealerweise auch, wie schaffen wir Ökosysteme, die es den Leistungserbringern und -erbringerinnen im Gesundheitswesen schaffen, mehr Zeit mit Patienten zu verbringen, weniger Zeit mit der Verwaltung? Ein wichtiges Konzept könnte das sein, offene Ökosysteme zu schaffen, indem dann in einem Ökosystem Drittanbieter ihre Services anbieten können, die dann bestimmte Qualitäts- und Transparenz- und Sicherheitskriterien erfüllen.

In Israel hat man so ein offenes Ökosystem geschaffen. Das sind zwei interessante Bereiche. Der eine Bereich ist Gesundheitsdatenaustausch, dass dann Arzt 2 weiß, was Arzt 1 mit Patient 3 vorher gemacht hat und dadurch bessere Behandlungen und bessere Behandlungsentscheidungen treffen kann. Das andere interessante Konzept ist das Thema Drittanbieter in einem Ökosystem, wo dann zum Beispiel Start-ups oder allgemein Gesundheitsfirmen solche Services in einem Ökosystem anbieten können. Und aus Sicht eines Landes kann das dann nochmal einen richtigen Innovationsschub schaffen, indem man die Innovationskraft der Gesundheitsfirmen bündelt, ein Stück weit auch eine Plattform schafft und für die Bürger einfach zugänglich macht.

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Experte

Dr. Tobias Silberzahn ist Biochemiker und arbeitet als Partner im Berliner Büro von McKinsey. In seiner Arbeit dreht sich alles um das Thema Gesundheitsinnovation und „Health Tech Business-Building“. Zusätzlich leitet Tobias Silberzahn das globale Health Tech Network, ein Netzwerk von über 1.800 CEOs/Gründern digitaler Gesundheitsfirmen, 250 Investoren und 300 Corporates, und ist Mitherausgeber des jährlichen „eHealth Monitors“, einem Buch zur Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems im MWV-Verlag. Innerhalb von McKinsey leitet Tobias Silberzahn ein präventives Gesundheitsprogramm, das die Themen Schlaf, Ernährung, Fitness und Stressmanagement abdeckt.

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    Desinformation im Gesundheitswesen – mit Plattformen gegen die Infodemie

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    Intro

    Wie können wir die guten Informationen von den schlechten besser unterscheiden? Also da gibt es eine ganze große Breite an Dingen, die Plattformen machen können, um den Menschen ein bisschen die Arbeit abzunehmen.

    Woher stammen Fehl- und Falschinformationen zu Gesundheitsthemen?

    Desinformationen kommen aus sehr, sehr vielen verschiedenen Quellen. Wenn wir zurückdenken an die Pandemie, dann hat die WHO neben der Pandemie, also neben der Gesundheitskrise, auch die Infodemie ausgerufen. Das heißt, neben Corona hatten wir auch eine Informationskrise.

    Und wir erinnern uns zum Beispiel daran, dass einige Desinformationen direkt aus dem Weißen Haus zu uns kamen, wenn Donald Trump uns damals empfohlen hat, Bleichmittel gegen Corona zu trinken. Das Gleiche gab es in Brasilien mit Jair Bolsonaro. Also es gibt teilweise Regierungen, die Desinformationen verbreiten.

    Aber nicht nur. Die können aus Social Media kommen, von Menschen, die uninformiert sind, aber trotzdem ihre Meinung weiterverbreiten. Die können aus WhatsApp-Kanälen von der Familie kommen. Und sie können auch aus dem Journalismus kommen, wenn in einigen Redaktionen vielleicht nicht genügend Journalistinnen und Journalisten arbeiten, die eine Gesundheitskompetenz haben oder wo eine Wissenschaftsredaktion existiert, die eben mit klinischen Studien arbeiten kann und die eben verständlich rüberbringen kann.

    Insofern hatten wir viel Verunsicherung, gerade während der Pandemie, gerade auch in Deutschland, wenn wir uns zum Beispiel an AstraZeneca und die Debatte zum Impfstoff erinnern. Und das sorgt eben dafür, dass Bevölkerungen unter Umständen verunsichert sind und nicht gut informiert sind. Und das kann man sehr gut international sich anschauen und schauen, welche Länder waren sehr gut informiert wo gab es wenig Desinformation und wo gab es vielleicht besonders viele Desinformationen. Und welche Kriterien sorgen eben dafür, dass Kommunikationsräume stark mit Desinformationen angereichert sind oder eben vertrauenswürdige Informationen sich von A nach B verbreiten.

    Wie kann das Gesundheitssystem Desinformation effektiv begegnen?

    Ui, wo soll ich anfangen? Die Schwierigkeit beim Thema Desinformation ist, dass es ein sehr holistisches Thema ist. Das heißt, ich muss an vielen Ecken und Enden gleichzeitig ansetzen. Ich mache mal ein Beispiel. Facebook-Timeline. Ich bin jetzt auf meiner Facebook-Timeline unterwegs. Das heißt, zwei wichtige Faktoren bestimmen, ob ich einen guten Informationsraum oder einen schlechten Informationsraum habe. Und die beiden Faktoren sind einerseits der Algorithmus der Plattform und die Frage, wie funktionieren diese Algorithmen, welche Inhalte werden nach oben gespült, welche werden vielleicht besonders gefördert oder eben nach unten gerankt.

    Und die andere Seite bin ich, der Nutzer, der vor dem Bildschirm sitzt und entscheiden muss, welchen Kanälen folgt der überhaupt. Und diese beiden Parameter sind schon mal zwei sehr wichtige Parameter. Und wir wissen, dass es weder um die Algorithmen der Plattform sonderlich gut bestellt ist, noch um die Informationskompetenz der Nutzerinnen und Nutzer. Das Ganze kann aber nur funktionieren, wenn wir zum Beispiel mehr Regulierung haben, sinnvolle Vorgaben, in welchen Rahmenbedingungen diese Algorithmen überhaupt agieren dürfen.

    Wir haben am Ende eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, wo eigentlich alle Teile der Gesellschaft ihren Teil dazu beitragen müssen, dass wir ein besseres und resilienteres Informationsökosystem haben. Das betrifft dann eben auch den Gesundheitssektor und die Akteure, die dort darin kommunizieren. Und die Frage, sind sie geschult genug, in Social Media beispielsweise Gesundheitsinformationen zu verbreiten? Welche Akteure spielen da vielleicht noch eine Rolle, die eher Desinformationen verbreiten? Also welche Gruppierungen gibt es, die vielleicht aus alternativ-medizinischen Teilen kommen, die dort aber eine wichtige Rolle spielen in der Verbreitung? Insofern gibt es sehr, sehr viele Dinge, die gleichzeitig passieren müssen, damit das Informationsumfeld besser wird.

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    Experte

    Alexander Sängerlaub ist Direktor und Co-Gründer von futur eins. Er beschäftigt sich holistisch mit digitalen Öffentlichkeiten und der Frage, wie die Utopie einer informierten Gesellschaft erreicht werden kann. Zuvor baute er im Berliner Think Tank Stiftung Neue Verantwortung den Bereich “Stärkung digitaler Öffentlichkeit” mit auf und leitete dort Projekte zu Desinformation (“Fake News”), Fact-Checking und digitaler Nachrichtenkompetenz. Er studierte Publizistik, Psychologie und Politische Kommunikation an der Freien Universität in Berlin.

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      Digitale Ökosysteme – Was sind die Erfolgsfaktoren?

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      Nur durch eine riesige Anzahl von Teilnehmenden im Ökosystem wird das Ökosystem tatsächlich so richtig attraktiv.

      Was macht digitale Ökosysteme erfolgreich?

      Die Erzeugung von Nutzen, Anreizen und Motivation ist gerade bei digitalen Ökosystemen besonders wichtig, weil die im Gegensatz zu klassischen Geschäftsmodellen auf mehrseitigen Märkten sich berufen. Und mehrseitige Märkte kennt man beispielsweise von Airbnb. Da haben wir natürlich Airbnb, das Unternehmen, aber wir haben auf der einen Seite eben diejenigen, die das anbieten, also private Übernachtungsmöglichkeiten-Anbieter und wir haben auf der anderen Seite diejenigen, die Konsumenten, die das dann nutzen, also Reisende, die dann diese Übernachtung auch nutzen.

      Aber alle nehmen freiwillig an diesem Ökosystem teil. Niemand ist gezwungen. Und deswegen muss man natürlich Anreize schaffen, damit möglichst viele an diesem Ökosystem teilnehmen. Denn nur mit einer riesigen Anzahl von Teilnehmenden wird das Ökosystem auch tatsächlich so richtig attraktiv.

      Könnten Akteure per Gesetz zur Teilnahme verpflichtet werden?

      Bestimmte Akteure zur Teilnahme am digitalen Ökosystem zu zwingen, ist auf gar keinen Fall eine gute Idee. Denn wenn man gezwungen wird zu einer Teilnahme, und das gilt genauso für andere Geschäftsmodelle auch, dann wird man immer Mittel und Wege finden, wie man nicht so richtig teilnimmt und im schlimmsten Fall damit sogar den Betrieb des digitalen Ökosystems stört.

      Alle erfolgreichen digitalen Ökosysteme haben genügend Anreize geschaffen, dass die Teilnehmenden dort freiwillig dabei sind. Und nur wenn die dort auch freiwillig dabei sind und selbst quasi eben genug davon haben, daran teilzunehmen, dann kann auch tatsächlich das Ökosystem von deren Teilnahme profitieren.

      Wie lassen sich unterschiedliche Interessen aller Beteiligten zusammenbringen?

      Die nationale Gesundheitsplattform dient vor allem Patientinnen und Patienten. Aber natürlich profitiert sie auch von der Teilnahme von anderen Gruppen. Und da ist es ganz klar, dass es immer mal wieder zu Interessenskonflikten kommt. Deswegen ist die Auflösung dieser Interessenskonflikte zwischen all diesen Teilnehmergruppen ein absolut wichtiger Bestandteil bei der ganzheitlichen Gestaltung eines digitalen Ökosystems und so auch von der nationalen Gesundheitsplattform. Nur so kann man sicherstellen, dass auch tatsächlich die Ziele für die Patientinnen und Patienten erfüllt werden, aber auch die Interessen der anderen Teilnehmergruppen gewahrt bleiben.

      Wie könnte ein ganzheitlicher Gestaltungsprozess aussehen?

      Die ganzheitliche Gestaltung von digitalen Ökosystemen bedeutet, dass man die Konsequenzen jeder einzelnen Entscheidung im Gestaltungsprozess auf alle Teilnehmergruppen untersucht. Und das immer aus drei Perspektiven. Welche Konsequenzen gibt es aus der Businessperspektive? Welche Konsequenzen gibt es aus der technischen Perspektive? Und welche Konsequenzen gibt es aus der rechtlichen Perspektive?

      Das kann aber nur gelingen, wenn wir Vertreterinnen oder Vertreter aus allen Teilnehmergruppen kontinuierlich und von Anfang an im Prozess mit dabei haben. Damit wir gut mit denen kommunizieren können, nutzen wir konkrete Szenarien, Prototypen, Beispiele. Und damit wir immer die richtige Sprache finden, um mit dieser Zielgruppe eben zu sprechen. Die Kunst besteht aber darin, diese Gestaltung des Gesamtsystems auf verschiedensten Abstraktionsebenen zu kontrollieren und aber trotzdem jederzeit ein Gesamtbild zu erzeugen, das wir mit allen Teilnehmergruppen kommunizieren können.

      Inhalt

      Experte

      Dr. Marcus Trapp ist Co-Founder von Full Flamingo. Gemeinsam mit seinen Partnern hilft er Unternehmen pragmatisch, die wichtigen Entscheidungen in der digitalen Transformation abzusichern. Bis 2022 Führungskraft am Fraunhofer IESE, hat Marcus Trapp das Thema „Digitale Ökosysteme und Plattformökonomie“ mit aufgebaut und verantwortet.

       

       

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        Digitale Ökosysteme – Chance für das Gesundheitswesen

        Transkript

        Intro

        Es bestehen die Risiken, dass internationale Player eine Dominanz im deutschen und europäischen Markt erlangen.

        Gerade im Gesundheitswesen wäre es aber besonders wichtig, dass wir ein digitales Ökosystem aufbauen, das auf dem europäischen Wertesystem basiert.

        Welche Chancen bietet eine nationale Gesundheitsplattform?

        Ich glaube schon, dass wir eine nationale Gesundheitsplattform haben sollten, weil wer schon mal Informationen im Internet gesucht hat, verlässliche Gesundheitsinformationen, der weiß, dass das gar nicht so leicht ist.

        Alle, die schon mal Gesundheitsdienstleistungen auch digital versucht haben in Anspruch zu nehmen, wissen, dass das nicht problemlos, einfach, direkt und schnell möglich ist. Und hier sind wir überzeugt, dass ein digitales Ökosystem, was eben genau diese Möglichkeiten der besseren Vermittlung, der schnelleren Abwicklung, die das zusammenbringt und ins Gesundheitswesen hier überträgt.

        Aktuell gibt es ein solches digitales Ökosystem nicht. Wir haben hier also die einmalige Chance, eine Vorreiterposition einzunehmen, die weit über Deutschland hinaus tragen kann. Und wir haben außerdem die Chance hier, ein positives Beispiel zu setzen für ein staatlich initiiertes digitales Ökosystem, das es so in der Art noch nicht gegeben hat.

        Was wäre, wenn unsere Gesundheitssysteme nicht aktiv werden?

        Wenn die nationalen Gesundheitssysteme hier nicht aktiv werden, haben wir definitiv eine große Chance vertan, weil im Gesundheitswesen eben gerade noch dieser etablierte Player nicht da ist und damit hier die Möglichkeit noch besteht, das Ganze nach dem europäischen Wertesystem zu gestalten. Was natürlich trotzdem passieren wird, davon ist ganz stark auszugehen, dass die Tech-Giganten auch in dieses Feld entsprechend vordrängen. Weil es ein sehr lukratives Feld ist und was für sie auch sehr spannend ist.

        Es reicht nicht, ein digitales Ökosystem zu etablieren, das die geforderte Funktionalität prinzipiell und irgendwie zur Verfügung stellt. Sondern wenn wir konkurrenzfähig sein wollen, dann müssen wir ein digitales Ökosystem aufbauen, das einfach zu benutzen ist, das natürlich auch nützlich ist und das man schnell und komfortabel benutzen kann. Denn nur so sind wir konkurrenzfähig und können uns gegenüber den internationalen Tech-Giganten behaupten und ihnen nicht wieder das Feld überlassen.

        Wie haben Sie die Vision einer konkurrenzfähigen Plattform konzipiert?

        Bei der Gestaltung der nationalen Gesundheitsplattform haben wir unser bewährtes Ökosystem-Vorgehen eingesetzt. Zusammen mit einem Team der Bertelsmann Stiftung haben wir den ganz konkreten Kern unseres hier zu konzipierenden Ökosystems herausgearbeitet. Und dieser Kern ist die Vermittlung von verlässlichen Gesundheitsinformationen.

        Diese Vermittlung von verlässlichen Gesundheitsinformationen haben wir anhand eines ganz konkreten nachvollziehbaren Szenarios durchgespielt und mit vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus unterschiedlichsten Gruppen evaluiert, kontinuierlich, dabei natürlich immer wieder angepasst und in Formen gebracht, die wir eben gut mit diesen Gruppen diskutieren konnten. Dabei haben wir eines der größten Probleme, das wir an anderen Stellen oft beobachten, direkt vermieden, nämlich sich in einer abstrakten Wohlfühlvision mit scheinbar unendlichen Möglichkeiten und ohne Probleme zu verlieren.

        Warum haben Sie diese konkreten Szenarios mit Spielzeug nachgestellt?

        Ja, wir haben tatsächlich mit Playmobil-Autos und Playmobil-Figuren gearbeitet. Wir haben dabei die am Fraunhofer IESE entwickelte Tangible Ecosystem Design, kurz TED-Methode eingesetzt.

        Und das heißt, wir haben mit der Ökosystem-Methode, mit der TED-Methode hier, wirklich das gesamte Ökosystem modelliert und haben damit Rollen im Ökosystem, Interaktionen und Beziehungen herausgearbeitet.

        Was macht die Gestaltung einer Gesundheitsplattform besonders?

        Ja, bei der Gestaltung der nationalen Gesundheitsplattform sind uns tatsächlich Unterschiede aufgefallen, die im Vergleich zu anderen Ökosystemen existieren, die wir in anderen Wirtschaftssektoren begleitet haben. Also erstens mal ist natürlich da die intendierte Zielgruppe der Patientinnen und Patienten, die ist maximal groß. Gesundheit ist für alle Menschen wichtig. Aber auch die Anzahl der Teilnehmergruppen ist signifikant höher, als wir das bei anderen Ökosystemen beobachten.

        Inhalt

        Experten

        Dr. Matthias Naab und Dr. Marcus Trapp sind Co-Founder von Full Flamingo. Sie helfen Unternehmen pragmatisch, die wichtigen Entscheidungen in der digitalen Transformation abzusichern. Sie waren bis 2022 am Fraunhofer IESE als Führungskräfte tätig und haben das Thema „Digitale Ökosysteme und Plattformökonomie“ mit aufgebaut und verantwortet.

         

         

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          Nationale Gesundheitsplattform – Redaktionelle Erstellung von Inhalten

          Transkript

          Intro

          Es sollte also bei der nationalen Gesundheitsplattform nicht darum gehen, ein Konkurrenzangebot zu bereits bestehenden Informationsangeboten, sondern einen Mehrwert zu schaffen.

          Wer trägt die Verantwortung für die Inhalte einer nationalen Gesundheitsplattform?

          Bei der Frage nach der Verantwortung für die Inhalte einer nationalen Gesundheitsplattform kommt es im Wesentlichen darauf an, über welche Inhalte man spricht. Für eigene Inhalte übernimmt der Portalbetreiber zunächst einmal die Verantwortung. Bei fremden Inhalten kann eine Verantwortung dann bestehen, wenn sich der Portalbetreiber diese zu eigen macht. Etwa dann, wenn er diese vorab prüft oder anders zum Ausdruck bringt, dass er die Verantwortung für diese übernehmen möchte.

          Übernimmt eine andere Stelle die Vorabprüfung der Informationen, also eine Stelle, die nicht der Portalbetreiber ist, kann diese rechtliche Bewertung auch anders ausfallen. Dann besteht aber auch noch selbst bei fremden Inhalten die Möglichkeit, dass der Portalbetreiber in Anspruch genommen wird, beziehungsweise insoweit Verantwortung trägt. Dies bedeutet, der Portalbetreiber muss hier einen Mechanismus etablieren, damit Nutzerinnen falsche beziehungsweise rechtswidrige Informationen melden können.

          Wie ist die Erstellung eigener Inhalte unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten zu bewerten?

          Unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten ist die Erstellung eigener Inhalte einer nationalen Gesundheitsplattform schwierig zu bewerten. Jedenfalls dann, wenn staatliche Akteure an dieser Plattform mitwirken. Im Grundsatz sollen staatliche Angebote nur dort geschaffen werden, wo eine Art von Marktversagen stattfindet. Das heißt, entweder nicht hinreichend Informationen kommuniziert werden oder nicht hinreichend transparent Informationen im Gesundheitsbereich transportiert werden.

          Erfahrungen aus der Vergangenheit haben gezeigt, dass Anbieter von digitalen Gesundheitsangeboten ganz gut in der Lage sind, hier die Nachfrage zu befriedigen. Es sollte also bei der nationalen Gesundheitsplattform nicht darum gehen, ein Konkurrenzangebot zu bereits bestehenden Informationsangeboten in Online-Kontexten zu schaffen, sondern einen Mehrwert zu schaffen. Und das nicht nur für die Nutzerinnen und Nutzer, sondern eben auch für die Anbieter von digitalen Informationsangeboten im Gesundheitsbereich.

          Welche Empfehlungen lassen sich daraus für die Content-Strategie der Plattform ableiten?

          Hinsichtlich der Content-Strategie der nationalen Gesundheitsplattform wäre dabei zu berücksichtigen, dass die Erstellung von eigenen beziehungsweise zu eigen gemachten Inhalten und deren Verbreitung unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten nur schwer zu rechtfertigen ist. Jedenfalls, wenn und soweit staatliche Stellen an dem Vorhaben beteiligt werden. Vorzugswürdig erscheint hier eher die Verbreitung von Fremdinhalten, also solcher Inhalte, die durch zivilgesellschaftliche beziehungsweise privatwirtschaftlich organisierte Akteure erstellt werden. Die Anbieter solcher Informationsangebote sollten fairen und transparenten Zugang zu dem Portal erhalten.

          Disclaimer

          Die in dem Interview getroffenen Aussagen beziehen sich ausschließlich auf die Rechtslage in Deutschland. Sie stellen einen Leitfaden und gerade keine individuelle Rechtsberatung dar, die über das Projekt Trusted Health Ecosystems hinausgeht.

          Inhalt

          Expertin

          Prof. Dr. Laura Schulte arbeitete während ihrer Promotion an einem Lehrstuhl für Verfassungsrecht als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Sie promovierte zu einem datenschutzrechtlichen Thema und forschte hierzu unter anderem auch an der Queen Mary School of Law in London. Von 2020 bis 2023 war sie als Rechtsanwältin in der Kanzlei BRANDI-Rechtsanwälte am Standort Bielefeld und dort im Fachbereich IT- und Datenschutzrecht tätig. Seit August 2023 ist sie Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Bielefeld.

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            Erste Gedanken zur technischen Struktur der nationalen Gesundheitsplattform

            Dr. Matthias Koch

            Die Software-Architektur einer digitalen Plattform veranschaulicht deren Struktur, liefert aber auch Informationen zu den erwartbaren Kosten oder zur technischen Realisierbarkeit bestimmter Anforderungen. Bei der hier skizzierten nationalen Gesundheitsplattform wird sie dem Grundmuster anderer Vermittlungsplattformen folgen, kann jedoch detailliert erst ausgearbeitet werden, wenn im Fall einer Umsetzung sämtliche Anforderungen definiert und offene Fragen abschließend beantwortet werden. Während der Konzeptentwicklung wurden ganz bewusst Fragen unbeantwortet gelassen, um Gestaltungsspielräume zu schaffen und keine unnötigen Vorfestlegungen zu treffen. Die bereits getroffenen konzeptionellen Festlegungen sowie die Bestimmung von Rollen und Aufgaben im digitalen Ökosystem der Plattform ermöglichen allerdings einen ersten Überblick über die notwendigen Komponenten und deren Zusammenspiel.

            Auf Basis der konzeptionellen Vorüberlegungen (vgl. Unser Konzept in der Gesamtschau) lassen sich Systemgrenzen aufzeigen, die verdeutlichen, was Gegenstand der nationalen Gesundheitsplattform ist und welche unmittelbar benachbarten Systeme über Schnittstellen verbunden sind. Die hier beschriebenen Überlegungen bilden jedoch keine umsetzungsreife Software-Architektur ab, die bereits alle relevanten Architekturtreiber und technologischen Aspekte berücksichtigt. Deren Erhebung und Verfeinerung wird Gegenstand weiterer konzeptioneller Arbeit sein.

            Teilnehmende Akteure des Ökosystems

            Im Zentrum der Betrachtung steht die nationale Gesundheitsplattform als technisches Rückgrat der Vermittlung kontextspezifischer digitaler Gesundheitsinformationen und Services. Die Plattform hat die Aufgabe, wesentliche Funktionen zur Verwaltung von Nutzerinnen und Nutzern sowie von Inhalten zur Verfügung zu stellen. Außerdem bildet sie das technische Bindeglied zwischen den verschiedenen Akteuren im Ökosystem. Abgesehen vom Plattformbetreiber zählen hierzu die

            Anbieter von Gesundheitsinformationen – z. B. von Informationen zu Erkrankungen, zur Prävention, zur Versorgungsstruktur etc. in unterschiedlichen Formaten.

            Anbieter von gesundheitsrelevanten Services – z. B. Online-Terminvereinbarung, Krankenhaussuche, Schmerztagebuch etc.

            Anbieter von Kontextinformationen – personenbezogene Informationen, die Hinweise auf den situativen Informationsbedarf der Patientinnen und Patienten liefern

            Entwickler von Pfadmodellen – indikationsspezifische Vorlagen für den erwartbaren Verlauf des Informationsbedarfs, entlang derer Gesundheitsinformationen spezifisch für die jeweiligen Patientinnen und Patienten ausgespielt werden

            Patientinnen und Patienten

            Die Plattform und ihre Schnittstellen

            Die zentrale Aufgabe der nationalen Gesundheitsplattform besteht darin, Gesundheitsinformationen und gesundheitsrelevante Services zur richtigen Zeit an die richtigen Personen weiterzugeben. Diese Weitergabe wird in aller Regel durch Ereignisse gesteuert, beispielsweise einen Arztbesuch oder das Erreichen einer zeitlichen Frist wie »sechs Wochen nach Krankschreibung«. Solche Ereignisse wiederum werden von eingehenden Kontextinformationen abgeleitet, woraufhin die nationale Gesundheitsplattform entlang eines oder mehrerer aktuell relevanter Pfadmodelle die passenden Informationen und Services an die Patientinnen und Patienten ausspielt (vgl. Unser Konzept in der Gesamtschau). Für diese Kernfunktionalität der Vermittlung von Gesundheitsinformationen und Services sind verschiedene Schnittstellen notwendig, die nachfolgend vorgestellt werden:

            • Schnittstelle zur Aufnahme von Gesundheitsinformationen: Diese Schnittstelle ermöglicht, Gesundheitsinformationen auf der Plattform zu hinterlegen, damit diese aufgrund bestimmter Merkmale dem situativen Informationsbedarf der Patientinnen und Patienten zugeordnet und in einem personalisierten Feed (vgl. Entdecken statt suchen) bereitgestellt werden können. Darüber hinaus können diese Information über eine semantische Suche abgerufen werden.
            • Schnittstelle zur Aufnahme von Services: Die Aufnahme von Services erfolgt analog zur Aufnahme von Gesundheitsinformationen. Services werden den Patientinnen und Patienten ebenfalls situativ bereitgestellt.
            • Schnittstelle zur Aufnahme individueller Kontextinformationen: Die Übermittlung individueller Kontextinformationen über Patientinnen und Patienten erfordert Schnittstellen, die eine automatisierte Kommunikation zwischen Systemen erlauben. Der Austausch von Daten über diese Schnittstellen erfolgt ausschließlich auf Basis der differenzierten Einwilligung der Patientinnen und Patienten für den jeweiligen Anbieter der Kontextinformationen, etwa die elektronische Patientenakte (ePA) oder diverse Anbieter von Fitness- und Gesundheitsdaten. An den Schnittstellen zur Übergabe der Kontextinformationen kann die Plattform vor deren Entgegennahme prüfen, ob die Einwilligung der Nutzerin oder des Nutzers vorliegt. Für verschiedene Kontextinformationen unterschiedlicher Anbieter können ggf. jeweils angepasste Schnittstellen notwendig sein, wobei eine Harmonisierung der eingehenden Daten im Anschluss durch die nationale Gesundheitsplattform erfolgt.
            • Schnittstelle zur Verwaltung von Pfadmodellen: Die Vorlagen werden über eine grafische Benutzeroberfläche modelliert und auf der Plattform hinterlegt. Über dieselbe Schnittstelle ist es möglich, Pfadmodelle zu verwalten, zu überarbeiten und zu verbessern. Ebenso lässt sich eine kollaborative Modellierung zwischen mehreren Erstellern realisieren.
            • Schnittstelle für Patientinnen und Patienten: Patientinnen und Patienten greifen über eine grafische Benutzeroberfläche – etwa als Webseite oder App für mobile Endgeräte – auf die Funktionalitäten der nationalen Gesundheitsplattform zu, insbesondere um Gesundheitsinformationen zu erhalten sowie den Zugang zu gesundheitsrelevanten Services. Neben dieser traditionellen Schnittstelle können weitere Zugriffsmöglichkeiten eingesetzt werden, vor allem sprachbasierte Benutzungsschnittstellen. Die Patientinnen und Patienten werden authentifiziert über die in der Telematikinfrastruktur 2.0 geplante digitale Identität im Gesundheitswesen, die gewährleistet, dass sämtliche Daten zuverlässig den Patientinnen und Patienten zugeordnet und nur von diesen abgerufen werden können.

            Schnittstelle zur Aufnahme von Gesundheitsinformationen

            Gesundheitsinformationen werden von zertifizierten Anbietern mittels eines dialoggestützten Vorgangs bereitgestellt. Dieser unterstützt die jeweiligen Anbieter dabei, ihre Informationen der Plattform so zu übermitteln, dass sie mit Pfadmodellen verknüpft und ausgespielt werden können oder über die Suche für Patientinnen und Patienten auffindbar sind. Bei diesem Vorgang wird der eigentliche Inhalt – etwa ein Informationstext oder ein Video – nicht auf die Plattform übertragen, sondern verbleibt beim jeweiligen Anbieter. Stattdessen wird ein Link hinterlegt und mit Meta-Informationen, etwa zum Erstelldatum oder zu den verwendeten Quellen, angereichert.

            Die Gesundheitsinformationen werden über die zuvor genannte Schnittstelle an die nationale Gesundheitsplattform übermittelt. Diese Schnittstelle kann in zwei Ausprägungen realisiert werden. Zum einen kann die Plattform selbst eine grafische Benutzeroberfläche anbieten. Die von Anbietern der Gesundheitsinformationen nutzbare Webseite oder Anwendung unterstützt diese dabei, ihre Informationen zu hinterlegen und alle notwendigen Angaben zu erfassen.

            Zum anderen kann diese Schnittstelle so konzipiert werden, dass Daten von anderen Systemen entgegengenommen werden, ohne dass Nutzerinnen und Nutzer aktiv werden müssen. Hierfür notwendig sind ergänzende Schnittstellen auf Seiten der Anbieter der Gesundheitsinformationen, konkret bei den jeweiligen Content-Management-Systemen, über die die Informationen originär erstellt werden. Diese Systeme übertragen freigegebene Informationen an die Plattform. Das hat den Vorteil, dass die Anbieter kein zusätzliches System bedienen müssen und in ihrer gewohnten Arbeitsumgebung bleiben können.

            Schnittstelle zur Aufnahme von gesundheitsrelevanten Services

            Gesundheitsrelevante Services werden ähnlich wie Gesundheitsinformationen behandelt. Das heißt, zertifizierte Anbieter werden dabei unterstützt, ihre Dienste mit der nationalen Gesundheitsplattform zu verknüpfen. Analog zu den Gesundheitsinformationen erfolgt keine vollständige Übertragung der Services auf die Plattform, sondern es werden Verlinkungen vorgenommen: Die Plattform erhält einen Verweis auf einen Service mit beschreibenden Metadaten, um diesen entlang eines Pfadmodells an Patientinnen und Patienten auszuspielen.

            Schnittstelle zur Aufnahme von individuellen Kontextinformationen

            Kontextinformationen, die Auskunft über den situativen Informationsbedarf von Patientinnen und Patienten liefern, fallen bei unterschiedlichen Akteuren im Gesundheitswesen an. Entscheidend für den Erfolg der nationalen Gesundheitsplattform ist, sie in einem einheitlichen Format zu erfassen, das sich an bestehenden Standards orientiert. Auf einen möglichen Standard gehe ich im weiteren Verlauf dieses Beitrags noch ein. Die Grundlage für die Vereinheitlichung bildet die von der Plattform spezifizierte Schnittstelle, über die Systeme von Dritten entsprechende Daten übermitteln. Aktuell wichtigster Datenlieferant ist die Gematik bzw. die staatliche Digitalagentur, die über die elektronische Patientenakte alle Daten bündelt, die Arztpraxen, Apotheken und Kliniken über ihre jeweiligen Verwaltungssysteme weitergeben.

            Die Schnittstelle soll erlauben, dass neben der elektronischen Patientenakte weitere Quellen von Kontextinformationen angebunden werden können. Neben Krankenkassen kommen hier auch Plattformen für Gesundheitsdaten wie Google Health oder Fitbit in Frage. Diese Daten würden jeweils mit dem Einverständnis der Patientinnen und Patienten bei den jeweiligen Akteuren an die nationale Gesundheitsplattform übermittelt. Da die exakten Formate der Daten bei den verschiedenen Anbietern noch nicht bekannt sind, ist es wahrscheinlich, dass unterschiedliche Arten von Schnittstellen für verschiedene Gruppen von Anbietern angeboten werden. Dies hat zur Folge, dass die Harmonisierung der Daten möglicherweise im Anschluss auf der nationalen Gesundheitsplattform erfolgt.

            Die hier skizzierte Schnittstelle wird von verschiedenen Systemen angesprochen. Sie wird nicht von Patientinnen und Patienten selbst verwendet und bietet keine grafische Benutzeroberfläche, da individuelle Kontextinformationen automatisiert auf Seiten der Anbieter der Informationen erarbeitet und übertragen werden. Ohne Automatisierung erscheint der notwendige Grad an Aktualität der Daten und deren Menge nicht realisierbar. Gleichwohl muss auch diese Schnittstelle über Authentifizierungsmechanismen verfügen, sodass nur autorisierte Systeme ihre Daten an die nationale Gesundheitsplattform übertragen können.

            Schnittstelle zur Verwaltung von Pfadmodellen

            Die Erstellung von Modellen für Patienteninformationspfade erfordert Expertise hinsichtlich des Verlaufs des patientenseitigen Informationsbedarfs und die Kenntnis der typischen Stationen einer Erkrankung. Daher werden die Vorlagen ausschließlich von zertifizierten Akteuren erstellt (vgl. Unser Konzept in der Gesamtschau) . Gleichzeitig ist zu erwarten, dass Pfadmodelle komplex ausfallen, sodass eine Visualisierung sinnvoll ist. Die grafische Benutzungsschnittstelle zur Modellierung von Pfadmodellen wird auf der nationalen Gesundheitsplattform entsprechend zertifizierten Akteuren bzw. deren Einrichtungen zugänglich sein.

            Schnittstelle für Patientinnen und Patienten

            Abschließend wird die Perspektive der Patientinnen und Patienten betrachtet, für die anhand der individuellen Kontextinformationen die passenden Gesundheitsinformationen und Services ausgespielt werden. Sie nutzen die Benutzeroberfläche der Plattform als Zugang zum digitalen Ökosystem, um entlang von Pfadmodellen jeweils passende Informationen und Services zu erhalten oder – dem eigenen Bedarf entsprechend – nach qualitätsgesicherten Informationen und Services zu suchen. Darüber hinaus erhalten Patientinnen und Patienten zur Wahrung der Datensouveränität die Möglichkeit, die Verwendung ihrer Daten zu steuern. Dies kann über ein Privacy-Dashboard erfolgen, wie es beispielsweise im Forschungsprojekt »D’accord« entwickelt und erprobt wird (https://daccord-projekt.de).

            Die Authentifizierung der Patientinnen und Patienten erfolgt über die digitale Identität, die in der Telematikinfrastruktur 2.0 vorgesehen ist. Diese Authentifizierung erleichtert die Verknüpfung der personenbezogenen Daten der elektronischen Patientenakte, die gerade zu Beginn als primäre Quelle für Kontextinformationen dienen könnte. Neben diesem Zugang können weitere Mechanismen geschaffen werden, um Patientinnen und Patienten in das digitale Ökosystem einzubinden. Dazu gehört etwa ein SMS-Versand über entsprechende Dienstleister, die das direkte Versenden von Links auf die Benutzeroberfläche der nationalen Gesundheitsplattform ermöglichen.

            Weiteres Vorgehen zur Konzeption

            Die abschließende Auswahl der geeigneten Rahmenwerke und Technologien sollte auf Basis einer Anforderungsanalyse und einer detaillierten Architekturkonzeption erfolgen, die die bisher erfassten, groben Anforderungen ergänzt und verfeinert. Hierbei müssen nicht funktionale Anforderungen besonders berücksichtigt werden. Das Thema der IT-Sicherheit wurde im vorherigen Abschnitt bereits angesprochen. Darüber hinaus sind Performance und Skalierbarkeit äußerst relevant, da mit hohen Nutzerzahlen zu rechnen ist – die Plattform soll allen Patientinnen und Patienten in Deutschland zur Verfügung stehen. Die große Zahl der Nutzerinnen und Nutzer sorgt wiederum für einen sehr großen Zustrom an Daten, die von der Plattform zu verarbeiten sind. Die auszuwählenden Technologien zur Realisierung und die darunterliegende Infrastruktur müssen es erlauben, bei entsprechender Last zu skalieren.

            Als weitere essenzielle nicht funktionale Anforderung ist die User Experience (UX) zu berücksichtigen. Da die nationale Gesundheitsplattform allen Patientinnen und Patienten offensteht und für jede und jeden leicht nutzbar sein soll, muss auf die besonderen Bedarfe und Präferenzen unterschiedlicher, teils besonders vulnerabler Nutzergruppen Rücksicht genommen werden. Hierzu zählen beispielsweise alte Menschen oder Patientinnen und Patienten mit einer kognitiven Beeinträchtigung. Auf diese Gruppen ist bei der Gestaltung ein besonderes Augenmerk zu legen.

            Die Analyse der Anforderungen bestimmt außerdem die weiteren Funktionalitäten der Plattform, unter anderem zur Verwaltung von Nutzerinnen und Nutzern und deren Berechtigungen, zur Verwaltung der Pfadmodelle und zur Instanziierung der Pfadmodelle für Patientinnen und Patienten. Diese bezeichnet die Zuordnung konkreter Gesundheitsinformationen und Services sowie deren Ausspielen über die Plattform anhand der individuellen Kontextinformationen.

            Rahmenbedingungen für Deployment und Hosting

            Der Kern der nationalen Gesundheitsplattform ist die Software selbst, die durch Verteilung auf einen oder mehrere Server funktionsfähig gemacht werden muss. Dieser Vorgang wird »Deployment« genannt. Zusätzlich ist ein Betrieb der Ausführungsumgebung für die Software notwendig, was man als »Hosting« bezeichnet. Daneben verfügt die Plattform über eine Vielzahl von Daten – von Nutzerdaten und Kennungen über Links auf Gesundheitsinformationen und Services bis hin zu Kontextinformationen –, die in Teilen auf der Plattform selbst vorliegen müssen, um sie adäquat auswerten zu können. All diese Daten müssen ebenfalls auf einem oder mehreren Servern abgelegt, das heißt, »gehostet« werden.

            Das Hosting der Plattform und aller gespeicherten Daten muss selbstverständlich nach dem Stand der Technik erfolgen, wobei die Handhabung von Daten grundsätzlich den Maßgaben der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) – und im Falle gesundheitsbezogener Daten den Maßgaben der dort definierten besonderen Schutzmaßnahmen – gerecht werden muss. Im Zuge weiterer Überlegungen zur IT-Architektur der Plattform müssen Entscheidungen zum Deployment getroffen werden. Es muss also die Frage beantwortet werden, welche Teile des Gesamtsystems wie und wohin verteilt werden und welche organisatorischen Einheiten deren Hosting jeweils verantworten. So kann beispielsweise das Hosting der Software vom Hosting der Daten getrennt werden – mit der Etablierung von Sicherheitsmaßnahmen auf beiden Seiten. Eine Kontrolle der Datenflüsse sowohl auf Seiten der Software als auch auf Seiten der Datenbanken sowie eine physische Trennung der Server erschweren eine Kompromittierung des Gesamtsystems. Mit einer solchen Maßnahme lässt sich ein höheres Maß an Sicherheit und Verlässlichkeit im Umgang mit den Daten erreichen.

            Weiterhin notwendig sind spezifische Analysen möglicher Angriffsszenarien, um die nationale Gesundheitsplattform zu schützen. Diese müssen bei der Ausarbeitung einer Software-Architektur vorgenommen werden. Grundsätzlich sollte ein Hosting einschließlich der Speicherung von Backups in Europa angestrebt und von einer im Gesundheitswesen anerkannt vertrauenswürdigen Instanz durchgeführt werden.

            Ereignisgesteuerte Architektur

            Primär werden Gesundheitsinformationen und Services anhand des Push-Prinzips ausgespielt – das heißt, entlang des Durchlaufs von Pfadmodellen erhalten Patientinnen und Patienten die für sie passenden Informationen, ohne selbst aktiv werden zu müssen. Unabhängig davon können Patientinnen und Patienten auch eine traditionelle Suchfunktion nutzen. Bei der Zuordnung von Suchtreffern zu Anfragen kann die Plattform sämtliche vorliegenden Kontextinformationen nutzen, um passende Ergebnisse anzuzeigen. Diese Informationen können zur Erstellung eines individuellen Rankings der Suchergebnisse genutzt werden, analog zu bekannten Suchmaschinen. Im Unterschied zu diesen kann die nationale Gesundheitsplattform bei Bedarf transparent machen, welche Kontextinformationen in welcher Gewichtung zu einem Ranking von Suchergebnissen geführt haben – damit lässt sich das Vertrauen sowohl auf Seiten der Patientinnen und Patienten als auch der Anbieter von Gesundheitsinformationen und Services gewinnen.

            Die technische Abbildung eines Systems wie der hier skizzierten nationalen Gesundheitsplattform kann über eine sogenannte »ereignisgesteuerte Architektur« erfolgen. Eine solche Architektur stellt die Kommunikation verschiedener Komponenten im Gesamtsystem durch Eintreten von Ereignissen in den Vordergrund. Jedes Ereignis wird durch einen Produzenten ausgelöst und anschließend von einem »Event Handler« verarbeitet. Dieses technische Teilsystem bestimmt anhand des Produzenten, des Zeitpunkts und Typs sowie des Inhalts des Ereignisses die nachfolgenden Aktionen – bestimmt also beispielsweise geeignete Gesundheitsinformationen, die einer Patientin oder einem Patienten angezeigt werden.

            Ereignisgesteuerte Architekturen sind ein im Software-Engineering etabliertes Konzept, für das es bereits technische Rahmenwerke gibt, die eine Umsetzung erleichtern. Ein solches bildet der Nachrichten-Broker »Apache Kafka« (https://kafka.apache.org), um eine Realisierungsmöglichkeit exemplarisch zu nennen. Apache Kafka ist eine vielseitig einsetzbare Technologie, die keine domänenspezifischen Aspekte berücksichtigt. Demgegenüber existieren auch Rahmenwerke, die spezifische Standards und Funktionalitäten zur Handhabung gesundheitsbezogener Daten berücksichtigen oder definieren. Ein Open-Source-Rahmenwerk zum Aufbau eines Ökosystems im Gesundheitssektor wird von der Standford University bereitgestellt: »Spezi« (https://github.com/StanfordSpezi). Dieses Rahmenwerk definiert eine Architektur, die den Austausch gesundheitsbezogener Daten mit anderen Systemen dadurch erleichtert, dass der von HL7® definierte FHIR®-Standard für den Austausch gesundheitsbezogener Daten implementiert wird (https://www.hl7.org/fhir/). Es ist denkbar – nach tiefgreifender Analyse der Anforderungen und des Rahmenwerks –, ausgewählte Teile der Plattform auf Spezi aufzubauen.

            Machbar und offen für neue Ideen

            Die hier dargelegten Überlegungen zur technischen Realisierung einer nationalen Gesundheitsplattform skizzieren die grundsätzliche Funktionsweise und belegen die technische Realisierbarkeit des Konzepts. Gleichzeitig zeigen wir damit auf, dass das »Brokering« – also die Vermittlung von Gesundheitsinformationen und Services anhand von individuellen Kontextinformationen der Patientinnen und Patienten – umsetzbar ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Plattform auf Standards und Open-Source-Rahmenwerke wie Standfords »Spezi« aufbauen kann, denn so lassen sich Aufwände und Kosten mindern und die Abhängigkeit von proprietären Lösungen gleichzeitig verringern.

            Zusätzlich gilt gemäß dem Konzept, dass sich die nationale Gesundheitsplattform im Kern auf die Vermittlung von passenden Informationen und digitalen Services beschränkt. Das bedeutet, dass die redaktionelle Erstellung von Gesundheitsinformationen, die Entwicklung von Services sowie die Gewinnung individueller Kontextinformationen nicht von der Plattform selbst geleistet wird. Diese für digitale Ökosysteme typische Konstellation ermöglicht, die Verantwortung zu verteilen und damit die Ressourcen auf die Qualitätssicherung und das automatisierte Ausspielen relevanter Informationen und Angebote für Patientinnen und Patienten zu fokussieren.

            Die Ausführungen in diesem Beitrag geben bewusst keine Systemarchitektur vor und treffen keine technischen Vorfestlegungen. Die abschließende Bestimmung der geeigneten Architekturmuster und Technologien zur Realisierung der Plattform und ihrer Schnittstellen wird erfolgen, nachdem funktionale und nicht funktionale Anforderungen im Detail ausgearbeitet und dokumentiert wurden.

            Autor

            Dr.-Ing. Matthias Koch ist Software Engineer am Fraunhofer IESE und leitet die Abteilung »Digital Innovation Design«. Seit 2012 beschäftigt er sich mit der Gestaltung innovativer Software-Lösungen, mit Kunden aus der Wirtschaft und in Forschungsprojekten. Dies umfasst die Themenfelder Requirements und User Experience Engineering sowie die Durchführung von Innovation Workshops. Besonders im Bereich »Digitale Ökosysteme« arbeitet Matthias Koch an der Gestaltung von Methoden und Werkzeugen für den Aufbau digitaler Plattformen.

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            Entdecken statt suchen: Prototyp für eine nationale Gesundheitsplattform

            Der Kernservice der hier skizzierten nationalen Gesundheitsplattform besteht darin, personalisierte Informationspfade bereitzustellen, die dem sich wandelnden Informationsbedarf folgen und den Umgang mit Gesundheitsinformationen erheblich erleichtern könnten. Um unsere Idee zu illustrieren, haben wir ein prototypisches Design entwickelt, das zeigt, wie die nationale Gesundheitsplattform einmal aussehen könnte. Patientinnen und Patienten nutzen immer häufiger das Internet, um sich jenseits des traditionellen Gesundheitssystems zu informieren. Dabei greifen sie bislang vor allem auf die großen Suchmaschinen zurück.

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              Gesundheitsökosysteme erfolgreich etablieren – Vorbilder aus dem Ausland

              Dr. Tobias Silberzahn

              Ein Gesundheitsökosystem, wie es im Projekt „Trusted Health Ecosystems“ angestrebt wird, muss vielfältige Anforderungen erfüllen, wenn es Mehrwert im Gesundheitsbereich stiften will. Internationale Vorbilder zeigen: Ein erfolgreiches Betriebsmodell kombiniert die aktive Einbindung und Orchestrierung teilnehmender Akteure mit gemeinsamen technischen Standards.

              Digitale Ökosysteme haben in verschiedenen Industrien traditionelle Geschäftsmodelle verändert und dabei Wert für Kunden und Marktteilnehmer geschaffen. So vernetzen z. B. E-Commerce-Plattformen Anbieter und Kaufinteressenten direkt miteinander und ermöglichen so effizienten Handel. Solche offenen Ökosysteme könnten künftig auch im digitalen Gesundheitswesen eine Rolle spielen. Zu ihren typischen Merkmalen zählen:

              Multi-Stakeholder-Netzwerk. Ein offenes Ökosystem vereint eine Vielzahl von Akteuren mit unterschiedlichen Interessen. Im Gesundheitswesen könnten dies zum Beispiel Patientinnen und Patienten, Leistungserbringer, Kostenträger und Anbieter von Produkten und Services sein.

              Co-Creation. Die Bereitstellung von Informationen und Services sowie die kontinuierliche Weiterentwicklung erfolgen nicht nur durch den Plattform-Betreiber, sondern auch durch Drittanbieter bzw. Stakeholder „auf der Plattform“. Auf diesem Prinzip basieren beispielsweise auch die „App Stores“ von Mobiltelefonanbietern, in denen Drittentwickler ihre Anwendungen zum Download anbieten.

              Selbstverstärkende Effekte. Der Mehrwert von Ökosystemen ist eng verknüpft mit einer hohen Adoptionsrate: Je mehr Akteure aktiv sind, desto mehr gewinnt das Ökosystem an Attraktivität und zieht so weitere Nutzende an. Bekannt ist dieser Mechanismus von sozialen Netzwerken, die teilweise rapide skalieren, sobald eine „kritische Masse“ an Nutzenden erreicht ist. Auch im digitalen Gesundheitsbereich könnten solche selbstverstärkenden Effekte auftreten: Je mehr Versicherte einen digitalen Service nutzen, desto relevanter wird die Anwendung für Leistungserbringer – und umgekehrt.

              Worauf es bei der Ausgestaltung von Gesundheitsökosystemen ankommt: Vier Erfolgsfaktoren für das Betriebsmodell

              Ein Kernelement erfolgreicher Ökosysteme ist die aktive Partizipation der Stakeholder. Ein weiteres ist die richtige organisatorische Ausgestaltung, damit das Ökosystem sein Potenzial vollständig entfalten kann. Vier Faktoren spielen dabei eine zentrale Rolle, wie die nachfolgenden Beispiele aus verschiedenen Ländern zeigen.

               1. Patientenpfade „end-to-end“

              Aus Nutzerperspektive ist die nahtlose Integration von Stakeholdern und Services ein wichtiger Mehrwert von Ökosystemen. Denn so entstehen Patientenpfade „end-to-end“, bei denen verschiedene Services ineinandergreifen und individuell zugeschnitten werden können, z. B. von der Terminbuchung zur (Tele-)Konsultation zur Verschreibung mittels E-Rezept und Medikamentenlieferung. Die Verknüpfung mit grundlegenden „Enabler-Anwendungen“ wie etwa der elektronischen Patientenakte ermöglicht dabei eine nahtlose Versorgung ohne „Systemwechsel“ und mit konsistenten Daten.

              Fallbeispiel: „Health Village“ in Finnland

              Das von finnischen Universitätskliniken entwickelte „Health Village“ umfasst virtuelle Einrichtungen („Hubs“) für verschiedene Versorgungszwecke (z. B. Notfälle, Reha, mentale Gesundheit), die über digitale Pfade („My Path“) je nach Patientendiagnose verknüpft werden. Nach ärztlicher Überweisung können Teilnehmende z. B. via Smartphone digitale Versorgungsleistungen wie Videosprechstunden oder Selbsthilfeprogramme abrufen. Mehr als 400 solcher Versorgungspfade ergänzen mittlerweile die Gesundheitsversorgung vor Ort.

               2. Konsequente Nutzerzentrierung

              Um eine möglichst hohe Adoptions- und Aktivitätsrate zu erzielen, sollten sich die Angebote des Ökosystems konsequent an den Bedürfnissen der Nutzenden ausrichten. Nutzerzentrierung bedeutet die Einbeziehung der am Ökosystem Beteiligten in die Weiterentwicklung der Services – was auch die Nutzerbindung vertieft.

              Fallbeispiel: „Sundhed.dk“ in Dänemark

              Über ein „User Panel“ beteiligt das dänische Gesundheitsportal „Sundhed.dk“ Patientinnen und Patienten aktiv an der Weiterentwicklung von E-Health-Anwendungen. So wird z. B. über Fokusgruppen, begleitete Nutzertests, Interviews oder Fragebögen gezielt Nutzerfeedback erhoben. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse (z. B. Feedback zu existierenden Lösungen, Wünsche zu neuen Funktionalitäten) fließen in die Weiterentwicklung des Portals und einzelner E-Health-Lösungen ein – was zu einer Verbesserung der Nutzererfahrung und somit letztendlich zu einem höheren Nutzen für Patientinnen und Patienten führen soll.

               3. Governance zur Einbindung der Stakeholder

              Damit die Angebote im Ökosystem sinnvoll ineinandergreifen können, braucht es geeignete Governance-Mechanismen. Dem Betreiber kommt dabei die Rolle des Orchestrators zu, die Stakeholder zusammenzubringen und die Rahmenbedingungen für ein bedarfs- und lösungsorientiertes Zusammenspiel zu schaffen. Eine klare Governance regelt dabei die Zuständigkeiten der am Ökosystem beteiligten Akteure.

              Fallbeispiel: Gesundheitsplattform „Well“ in der Schweiz

              Ursprünglich von Krankenkassen und Gesundheitsanbietern gegründet und entwickelt, sind inzwischen auch Ärztenetzwerke und andere Partner Teil von „Well“. Die Einbindung der verschiedenen Akteure wird von der Well AG orchestriert.

               4. Technische Interoperabilität

              Erfolgreiche Ökosysteme ermöglichen den reibungslosen Informationsaustausch zwischen Stakeholdern durch einheitliche Schnittstellen und Standards. Festgelegt werden sie typischerweise vom Betreiber des Ökosystems unter Berücksichtigung der internationalen Regelungen zur Interoperabilität. Der Standard „Fast Healthcare Interoperability Resource“ (FHIR) schafft im Gesundheitsbereich z. B. eine einheitliche Grundlage für nationalen und grenzüberschreitenden Datenaustausch.

              Fallbeispiel: FHIR in Israel

              Israel setzt bereits auf FHIR als Standard im Gesundheitsbereich. Mit einem Mix aus Anreizsystemen und regulatorischen Vorgaben will Israel Gesundheitsdaten mit diesem Standard besser nutzbar machen. Die israelischen Health Maintenance Organisations (die gleichzeitig Versicherer, Leistungserbringer und Krankenhausbetreiber sind), Forschungseinrichtungen, Start-ups und weitere Gesundheitsanbieter – sie alle sollen vom besseren Gesundheitsdatenaustausch profitieren.

              Die Zukunft offener Ökosysteme im Gesundheitsbereich

              Ein offenes Gesundheitsökosystem hätte das Potenzial, viele Stakeholder im deutschen Gesundheitswesen mit Bürgerinnen und Bürgern zu verknüpfen. Dabei könnte auf bestehenden Strukturen aufgesetzt werden: So existiert mit der TI bereits eine nationale Telematikinfrastruktur. Elektronische Patientenakte und E-Rezept wiederum könnten das „Fundament“ für den Austausch von Gesundheitsdaten in einem offenen Gesundheitsökosystem sein.

              Die beschriebenen Erfolgsfaktoren zeigen, dass die Anforderungen, erfolgreiche Ökosysteme aufzubauen, vielfältig sind: Es braucht nutzerzentrierte Konzepte und effektive Steuerungsstrukturen, um verschiedene Akteure zu orchestrieren und technische Standards zu etablieren.

              Um dies zu erreichen, kann z. B. eine Organisation etabliert werden, welche die strategischen Linien für das Gesundheitsökosystem vorgibt und das Ökosystem orchestriert – mit der Möglichkeit einer direkten Partizipation durch die Stakeholder und Drittanbieter im Ökosystem.

              Autor

              Tobias Silberzahn ist promovierter Biochemiker und arbeitet als Partner im Berliner Büro von McKinsey. In seiner Arbeit dreht sich alles um das Thema Gesundheitsinnovation und „Health Tech Business-Building“. Zusätzlich leitet Tobias Silberzahn das globale Health Tech Network, ein Netzwerk von über 1.800 CEOs/Gründern digitaler Gesundheitsfirmen, 250 Investoren und 300 Corporates, und ist Mitherausgeber des jährlichen „eHealth Monitors“, einem Buch zur Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems im MWV-Verlag. Innerhalb von McKinsey leitet Tobias Silberzahn ein präventives Gesundheitsprogramm, das die Themen Schlaf, Ernährung, Fitness und Stressmanagement abdeckt.

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                InfoCure: Qualität sichtbar machen

                In unserer Vision einer nationalen Gesundheitsplattform geht es vor allem um Vertrauen. Das umfasst, dass die Nutzerinnen und Nutzer sich auf die Qualität der angebotenen Inhalte und Dienste absolut verlassen können. Aber wie kann diesem Anspruch in Zeiten von Desinformation und Verschwörungsmythen Rechnung getragen werden? In einem Teilprojekt mit dem Titel „InfoCure“ gehen wir der Frage nach, wie gute Informationsqualität sichtbar gemacht und Desinformation eingedämmt werden kann.

                Immer mehr Menschen informieren sich im Internet zu gesundheitsrelevanten Fragen und nutzen dabei die großen Social-Media-Pattformen wie YouTube, TikTok, Facebook oder Telegram. Fehl- und Falschinformationen können sich über diese Netzwerke schneller verbreiten als jemals zuvor. Gleichzeitig bieten die Algorithmen der Plattformbetreiber immer wieder Inhalte an, die auf früheren Suchmustern aufbauen und die Annahmen und Einstellungen der Nutzerinnen und Nutzer bestätigen. Verstärkt werden diese „Reinforcement Loops“ durch den sozialen Raum des digitalen Netzwerks, der nicht selten die eigene Meinung spiegelt und so einen Nährboden für Desinformation und Verschwörungsmythen liefert.

                „Die rasante Ausbreitung von Desinformation über digitale Plattformen hat sich weltweit zu einer ernsten Bedrohung für die öffentliche Gesundheit entwickelt.“

                Andy Pattison, WHO (2021)

                Informationsqualität als Markenkern

                Vertrauen entsteht in digitalen Welten zum Beispiel durch den verantwortungsvollen Umgang mit personenbezogenen Daten oder durch geeignete Maßnahmen zur Erhöhung der Datensicherheit. Daneben bilden aber die Qualität und Verlässlichkeit der angebotenen Informationen und Dienstleistungen eine Grundbedingung dafür, dass Vertrauen in digitale Infrastrukturen entsteht. Die sozialen Netzwerke liefern bislang praktisch keine Anhaltspunkte für die Vertrauenswürdigkeit und Seriosität einer Informationsquelle, sodass die methodische Güte der Informationen kaum nachzuvollziehen ist. Ähnliches gilt für digitale Dienstleistungen. Eine nationale Gesundheitsplattform müsste hier einen klaren Unterschied machen.

                Strategien zur Qualitätssicherung von Gesundheitsinformationen fokussieren bislang meist auf die Prüfung einzelner Informationselemente wie Texte oder Videos. Dieser Ansatz geht jedoch mit erheblichen personellen und finanziellen Aufwänden einher und kostet vor allem eins: Zeit. Digitale Ökosysteme und ihre Plattformansätze sind aber gerade deshalb so erfolgreich, weil sie ihre Leistungen weitgehend digital erbringen und so innerhalb sehr kurzer Zeit sehr schnell wachsen können.

                Zertifizierung von Anbietern

                Um mit dieser Geschwindigkeit  mithalten zu können, kommt für Plattformbetreiber nur ein Qualitätssicherungsansatz in Frage, der sich nicht auf einzelne Informationen konzentriert, sondern auf die Prüfung der Anbieter von Informationen. Zur Beurteilung könnten dabei strukturelle Aspekte (z. B. Expertise) und Kriterien der Prozessqualität (z. B. Einsatz bestimmter Methoden) herangezogen werden. Um ausreichend Sicherheit für die Nutzerinnen und Nutzer der Plattform zu schaffen, dürfte eine Selbstverpflichtung zur Qualitätssicherung jedoch nicht genügen. Stattdessen wäre eine externe Prüfung durch eine unabhängige Stelle im Sinne eines Zertifizierungsverfahrens erforderlich. Um dabei die Strukturen und Prozesse eines Anbieters belastbar erfassen zu können, bietet sich ein gestuftes, auditbasiertes Verfahren an.

                Über eine derart qualitätsorientierte Auswahl vertrauenswürdiger Informationsanbieter könnte das Risiko von Fehl- und Falschinformationen auf ein Minimum begrenzt werden. In Kombination mit anderen Instrumenten wie Nutzerrückmeldungen und digitalen Review-Verfahren ließe sich auch für die Informations- und Servicequalität der Plattform ein Vertrauensraum schaffen, der die Nutzerinnen und Nutzer bei der Suche nach vertrauenswürdigen Informationen unterstützt und spürbar entlastet.

                Vielseitige Einsatzmöglichkeiten

                Anbieter von Gesundheitsinformationen und Services könnten sich über eine Zertifizierung für die Teilnahme am digitalen Ökosystem der nationalen Gesundheitsplattform qualifizieren. Bei dieser Verwendung des Zertifikats im Sinne einer Zugangsvoraussetzung müsste es jedoch nicht bleiben: Ist eine Zertifizierung einmal erfolgt, ließe sich ein digitales Zertifikat für viele weitere Zwecke einsetzen.

                Betreiber großer Suchmaschinen könnten darüber erstmalig seriöse Anbieter erkennen und dieses neue Wissen in die Relevanzberechnungen der Trefferlisten einfließen lassen. Vertrauenswürdige Informationsanbieter könnten auf Plattformen und Suchmaschinen entsprechend gekennzeichnet werden, und Hintergrundinformationen zum Anbieter wären für Nutzerinnen und Nutzer einsehbar. So würden all jene Anbieter belohnt, die einen großen Aufwand betreiben, um die Qualität ihrer Angebote zu sichern.

                Natürlich gelten nicht für alle Informationstypen dieselben Regeln. So kann beispielsweise ein Erfahrungsbericht aus Patientensicht wertvolle Informationen transportieren, die eher psychosoziale Themen der Krankheitsbewältigung betreffen. Bei der Qualitätsbewertung solcher Angebote sind daher besondere Kriterien zu berücksichtigen. Ähnliches gilt für sozialrechtliche Informationen, die ganz andere Qualitätsanforderungen erfüllen müssen als medizinische Inhalte.

                Schließlich ist zu bedenken, dass neben den reinen Informationsangeboten auch digitale Dienste wie Online-Terminvereinbarungen, Datenbanken, Videosprechstunden oder Zweitmeinungsservices existieren, die wiederum einer gesonderten Betrachtung bedürfen. Mittel- bis langfristig kann und sollte das ursprüngliche Zertifikat für medizinische Patienteninformationen modular um zusätzliche Einsatzbereiche erweitert werden.

                Internationaler Ansatz

                Die Qualitätssicherung von Gesundheitsinformationen ist im digitalen Zeitalter eine Herausforderung, die sich nicht auf nationaler Ebene bewältigen lässt. Deshalb sind internationale Standards zu berücksichtigen und im Interesse der Interoperabilität strikt einzuhalten. Darüber hinaus sollte die Entwicklung neuer Qualitätsstandards in eine internationale Fachdiskussion eingebettet werden, um über nationale Grenzen hinaus Wirksamkeit zu entfalten.

                Bei der Suche nach einschlägigen Standards und Projekten sind wir auf eine Initiative der US-amerikanischen National Academy of Medicine (NAM) aufmerksam geworden: Diese hat im Jahr 2021 mit einer unabhängigen Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern grundlegende Prinzipien und Erkennungsmerkmale für glaubwürdige Quellen von Gesundheitsinformationen entwickelt und international publiziert. Das Ziel der Initiative bestand vor allem darin, sozialen Netzwerken und Plattformen Kriterien an die Hand zu geben, um Anbieter vertrauenswürdiger Gesundheitsinformationen zu erkennen.

                Die Prinzipien orientieren sich an Aspekten wie wissenschaftliche Fundierung, Objektivität, Transparenz oder Verantwortungsbewusstsein und liefern eine gute Basis für die Bewertung von Informationsanbietern. Um sie als Grundlage eines Zertifizierungsverfahrens heranziehen zu können, bedarf es jedoch einer weitergehenden Operationalisierung. Im Dialog mit internationalen Fachorganisationen und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Idee entstanden, die Prinzipien in ein konkretes Indikatorensystem zu überführen, das die Grundlage eines auditbasierten Zertifizierungsverfahrens für Anbieter von Gesundheitsinformationen liefern könnte. Die Idee folgt dabei einer klaren und keineswegs ungewöhnlichen Aufgabenteilung: Die Definition von Rahmenvorgaben und Standards wird auf internationaler Ebene konsentiert, während die eigentliche Zertifizierung durch nationale Institutionen oder Organisationen erfolgt.

                Arbeitsgruppe hat ihre Arbeit aufgenommen

                In der Vergangenheit haben sich bereits viele Initiativen formiert, die mit der Erfassung, Beschreibung und Entwicklung von Informationsqualität im Gesundheitswesen befasst sind und eine sehr gute Ausgangsbasis für die Entwicklung eines solchen Indikatorensets liefern. Der Unterschied zu diesen bestehenden Initiativen liegt in der klaren Fokussierung auf Anbieter, der internationalen Standardisierung und dem wachsenden Druck auf die großen Tech-Unternehmen beim Umgang mit Desinformation: Der geschilderte Ansatz eröffnet die große Chance, qualitativ hochwertige Informationen für Patientinnen und Patienten leichter zugänglich zu machen, gesunde Entscheidungen durch gute Informationen zu unterstützen und damit signifikant zur Förderung der Gesundheitskompetenz beizutragen.

                „Digitale Plattformen haben die einzigartige Kraft, den Zugang zu hochwertigen Gesundheitsinformationen weltweit zu ermöglichen.“

                Victor J. Dzau, NAM (2021)

                Im Jahr 2023 hat die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit dem Deutschen Netzwerk evidenzbasierte Medizin e. V. und dem Deutschen Netzwerk Gesundheitskompetenz e. V. eine internationale Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die die Aufgabenstellung im Rahmen eines wissenschaftlichen Diskussionsbeitrags präzisieren und erste Vorschläge für die Entwicklung eines Indikatorensystems erarbeiten wird. Mittelfristig soll mit InfoCure ein internationales Zertifizierungssystem für glaubwürdige Anbieter von Gesundheitsinformationen und -services entstehen, das zunächst in Deutschland implementiert und im nächsten Schritt international skaliert werden soll.

                Patientenbeauftragter übernimmt Schirmherrschaft

                Im Sommer 2024 hat der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze, die Schirmherrschaft für InfoCure übernommen. Schwartze bedankt sich ausdrücklich „für die Initiative und das Engagement, gute und gesicherte gesundheitliche Informationen besser auffindbar und individuell anwendbar zu machen.“ Er ist überzeugt, dass InfoCure „das Potential hat, Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu gewinnen und dabei hilft, Fehl- und Falschinformationen zu bekämpfen.“

                Der Patientenbeauftragte Stefan Schwartze unterstützt InfoCure.

                Literatur

                Burstin H, Curry S, Ranney M L, Arora V, Boxer Wachler B, Chou W-Y S, Correa R, Cryer D, Dizon D, Flores E, Harmon G, Jain A, Johnson K, Laine C, Leininger L, McMahon G, Michaelis L, Minhas R, Mularski R, Oldham J, Padman R, Pinnock C, Rivera J, Southwell B, Villarruel A, Wallace K (2023). Identifying Credible Sources of Health Information in Social Media: Phase 2—Considerations for Non-accredited Nonprofit Organizations, For-profit Entities, and Individual Sources. NAM Perspectives. Discussion Paper, National Academy of Medicine, Washington, DC. https://doi.org/10.31478/202305b

                Kington R, Arnesen S, Chou W-Y S, Curry S, Lazer D, Villarruel A (2021). Identifying Credible Sources of Health Information in Social Media: Principles and Attributes. NAM Perspectives. Discussion Paper, National Academy of Medicine, Washington, DC. https://doi.org/10.31478/202107a

                Schaeffer D, Berens E-M, Gille S, Griese L, Klinger J, de Sombre S, Vogt D, Hurrelmann K (2021). Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland – vor und während der Corona Pandemie: Ergebnisse des HLS-GER 2. Interdisziplinäres Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung (IZGK), Universität Bielefeld. Bielefeld. DOI: https://doi.org/10.4119/unibi/2950305

                WHO (2021). WHO online consultation meeting to discuss global principles for identifying credible sources of health information on social media. Meeting Summary. Abrufbar unter: Summary-Global principles for identifying credible sources of health information on social media (who.int) (Zugriff am 25.07.2023).

                WHO (2022). WHO and NAM encourage digital platforms to apply global principles for identifying credible sources of health information. WHO Departmental News, 24. Februar 2022. Abrufbar unter: WHO and NAM encourage digital platforms to apply global principles for identifying credible sources of health information (Zugriff am 25.07.2023).

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                  Ökosystemdesign: Nutzen für alle

                  Dr. Matthias Naab
                  Dr. Marcus Trapp

                  Um sich erfolgreich auf dem Markt behaupten zu können, sollten Betreiber digitaler Plattformen die Interessen aller am Ökosystem beteiligten Akteure im Auge behalten. Nur wenn es gelingt, für alle Seiten Nutzen zu stiften und Vorteile zu erzeugen, können sich Netzwerk- und Skalierungseffekte entfalten. Das gilt auch für eine nationale Gesundheitsplattform, die keinen Gewinn zu erzielen beabsichtigt.

                  Erfolgreiche Systeme zeichnen sich durch eine optimal gestaltete User Journey bzw. Customer Journey aus. Das bedeutet, dass jeder Kontakt, den Nutzerinnen und Nutzer mit dem System haben, explizit so gestaltet wird, dass deren Bedürfnisse am jeweiligen Kontaktpunkt möglichst optimal erfüllt werden. Erfolgreiche Anbieter gehen somit bei der Entwicklung eines neuen Systems oder Services in erster Linie nutzer- bzw. kundenorientiert vor.

                  Bei der Betrachtung neuer, digitaler Geschäftsmodelle, die nach plattformökonomischen Prinzipien funktionieren, fällt es nicht immer leicht, „den Kunden“ im digitalen Ökosystem zu bestimmen. Digitale Ökosysteme wie etwa Airbnb, Uber oder Schüttflix bieten virtuelle Marktplätze, auf denen sogenannte „Assets“ (Übernachtungen, Transporte, Schüttgut) von Ökosystem-Betreibern vermittelt bzw. gebrokert werden. Es handelt sich hier somit in der Regel um mehrseitige Marktplätze, meistens mit zwei, selten mit drei oder noch mehr Seiten.

                  Es gibt immer Ökosystem-Partner, die Produkte und Leistungen (Assets) im digitalen Ökosystem anbieten (Provider), und es gibt andere, die Assets im digitalen Ökosystem konsumieren (Consumer). So vermittelt Airbnb (Broker) Übernachtungsmöglichkeiten (Assets) von privaten Gastgeberinnen und Gastgebern (Provider) an Reisende (Consumer), und Uber (Broker) vermittelt Transporte (Assets) von privaten Fahrerinnen und Fahrern (Provider) an Fahrgäste (Consumer). Nach dem gleichen Prinzip soll auch die nationale Gesundheitsplattform digitale Informationen und Dienste von Anbietern an Patientinnen und Patienten vermitteln.

                  Für Gestalter von Ökosystemen hat diese Situation der mehrseitigen Marktplätze und der Diversität der Beteiligten allerdings weitreichende Auswirkungen: Es besteht die Gefahr der reflexartigen Fokussierung auf die Consumer-Journey. Ökosystem-Gestalter sollten den Providern jedoch ebenso viel Aufmerksamkeit schenken und auch deren Bedürfnisse stets berücksichtigen. Denn durch eine große Zahl von Providern wird ein digitales Ökosystem für Consumer erst interessant – umgekehrt steigt die Attraktivität des Ökosystems für Provider mit steigender Zahl der Consumer.

                  Alle Interessen im Blick

                  Im Zentrum der hier vorgestellten Vision einer nationalen Gesundheitsplattform stehen die Patientinnen und Patienten, und folglich ist der patientenseitige Nutzen ebenso zentral: Über die Selektion und Bündelung von Informations- und Serviceangeboten soll die nationale Gesundheitsplattform die Gesundheitskompetenz fördern, den Umgang mit Informationen erleichtern sowie Patientinnen und Patienten dabei unterstützen, sich aktiv in das Behandlungsgeschehen einzubringen.

                  Dieser Nutzen ist jedoch nur zu realisieren, wenn sich auch die Anbieter gesundheitsrelevanter Informationen und digitaler Dienstleistungen aktiv in das Ökosystem einbringen. Ökosystem-Betreiber sollten daher eine möglichst optimale und nutzenbringende Provider-Journey gestalten, um alle Partner gleichermaßen anzusprechen und Anreize für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Ökosystems zu schaffen.

                  Freiwilligkeit statt Zwang

                  Vorteile für alle Beteiligten sind deshalb so wichtig, weil die Teilnahme an einem Ökosystem freiwillig ist und niemand dazu gezwungen werden kann. Selbst wenn es in Einzelfällen möglich wäre, eine Teilnahme beispielsweise von staatlicher Seite zu erzwingen, zeigt die langjährige Erfahrung, dass dieser Weg in der Regel nicht zielführend ist. Die zur Teilnahme Gezwungenen finden dann oft Mittel und Wege, um Abläufe zu verzögern oder auf andere Weise zu behindern. Ziehen jedoch alle Beteiligten einen Vorteil aus ihrer Teilnahme, führt dies meistens auch zu guten Ergebnissen.

                  Die Vorteile müssen sich nicht zwangsläufig monetär abbilden. Ein Zugang zu einem größeren Markt, erhöhte Sichtbarkeit des eigenen Angebots oder der Zugriff auf Daten oder Analysen können manchmal sogar mehr wert für die Beteiligten sein als kurzfristige finanzielle Gewinne. Im Optimalfall führen Vorteile für andere Beteiligte sogar zu weiteren Vorteilen für Patientinnen und Patienten. So können zum Beispiel Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen signifikant vom Zugriff auf Kontextinformationen profitieren und so ihre Leistungen noch besser auf die Bedürfnisse der Zielgruppen zuschneiden.

                  Ganzheitliche Gestaltung digitaler Ökosysteme

                  Neue digitale Ökosysteme bieten in der Regel keine Leistung an, die es so ähnlich nicht schon gibt oder gegeben hat. Doch sie bieten über ihren digitalen Ökosystem-Service eine Leistung an, die in vielerlei Hinsicht so viel besser ist, dass oft eine ganze Branche damit grundlegend verändert wird. Diese Verbesserung wird meist durch die geschickte Ausnutzung digitaler Möglichkeiten erreicht, wie sie in der jeweiligen Branche zuvor nicht genutzt wurden.

                  Auch vor dem Launch von Airbnb wurden schon Übernachtungsmöglichkeiten digital vermittelt, und vor dem Markteintritt von Uber wurden auch bereits Personentransporte vermittelt. Aber beide bieten ihren Teilnehmerinnen und Teilnehmern so viele Vorteile und Mehrwerte, dass sie ihren Markt signifikant prägen und verändern konnten.

                  Die Kunst bei der Etablierung eines digitalen Ökosystems besteht in einer ganzheitlichen Gestaltung, die den Interessen aller Beteiligten gerecht wird. Da man meistens in etablierte Märkte der jeweiligen Geschäftsdomänen eintritt, ist genau zu überlegen, welche Vorteile sich für alle Beteiligten schaffen lassen, sodass diese hinreichend motiviert sind, am Ökosystem teilzunehmen. Bei der Gestaltung einer nationalen Gesundheitsplattform erscheint dies angesichts des teilregulierten Gesundheitsmarktes mit vielen starken und etablierten Akteuren besonders wichtig.

                  Das neue Ökosystem würde Strukturen und Prozesse im Gesundheitswesen verändern. Klar ist, dass jede Veränderung nicht nur Vorteile für die Beteiligten bringt. Allein diesen Umstand nehmen manche Markbeteiligten schon als Nachteil wahr. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die Trägerorganisation ihre Machtstellung nutzt, um von den Vorteilen der Plattform allein zu profitieren. Dies würde die Motivation aller anderen Akteure schwächen und so den Erfolg der Plattform gefährden.

                  Ökosystem-Gestaltung in der Praxis

                  Die Entwicklung der hier vorgestellten Vision eines digitalen Ökosystems war in einen methodischen Rahmen eingebettet, der eine ganzheitliche Gestaltung gewährleistet und die Interessen und Bedürfnisse aller Beteiligten im Auge behält. Um eine Übersicht über den Status quo zu erhalten, wurden zunächst die für das Ökosystem relevanten Akteure zusammengetragen und priorisiert. Anschließend wurden anonyme Interviews mit Repräsentantinnen und Repräsentanten dieser Akteure geführt, Veröffentlichungen und Analysen gesichtet und Experteneinschätzungen eingeholt, um die Bedürfnis- und Problemlagen der einzelnen Akteure besser kennenzulernen.

                  Um sicherzustellen, dass das hier skizzierte Ökosystem genügend Nutzen für mögliche Beteiligte erzeugt, um diese zu einer aktiven Teilnahme zu motivieren, wurde eine Motivation Matrix erstellt (Nass, Trapp, Villela 2018). Hierfür wurde zunächst untersucht, welche Vorteile jeder einzelne Akteur von der Einführung der nationalen Gesundheitsplattform hätte, was er beitragen bzw. welche Rolle er im Ökosystem übernehmen könnte. Neben Vorteilen und Anreizen wurden auch mögliche Nachteile diskutiert, die einzelne Akteure durch das Ökosystem mit seiner Plattform erfahren oder zumindest befürchten könnten.

                  Wie erwähnt, geht es bei der Nutzenanalyse nicht nur um monetäre Vorteile, denn Nutzen kann vielfältig ausgeprägt sein. Mithilfe der Motivation Matrix ließ sich im Verlauf der Konzeptentwicklung überprüfen, inwiefern die antizipierten Erwartungen der Akteure bezüglich einer Teilnahme am Ökosystem erfüllt werden können. Wurden Erwartungen wichtiger Akteure nicht erfüllt, wurde das Ökosystem in einem iterativen Prozess entsprechend umgestaltet. Im Ergebnis ist ein Nutzenmodell für die hier entworfene nationale Gesundheitsplattform entstanden, das vor allem eins deutlich macht: Auch in dem von Instanzenvielfalt, Diversität und Partikularinteressen geprägten Gesundheitssystem lässt sich eine Vision schaffen, die für alle Beteiligten einen Mehrwert stiftet, spürbar Nutzen erzeugt und Wohlfahrtseffekte freisetzt.

                  Tangible Ecosystem Design (TED) Methode

                  Digitale Ökosysteme sind ungleich komplexer als Softwaresysteme, die unter der alleinigen Kontrolle eines einzelnen Unternehmens stehen. Die technologischen (Technology), geschäftlichen (Business) und rechtlichen (Legal) Auswirkungen sind erheblich schwerer zu verstehen, wenn Produkte und Dienstleistungen unternehmens- und branchenübergreifend gestaltet werden sollen.

                  Eine große Anzahl und verschiedenste Rollentypen führen zu unübersichtlichen Beziehungen, und die Auswirkungen selbst kleinster Veränderungen auf das gesamte Ökosystem sind schwierig einzuschätzen. Das macht es gerade in der Gestaltungsphase sehr herausfordernd, den Überblick (das „Big Picture“) über das Ökosystem zu erlangen. Das Big Picture ist jedoch das wichtigste Kommunikationsmittel, um mit möglichen Beteiligten über unterschiedlichste Aspekte (Business, Technology, Legal) sprechen zu können und schnell zu einem gemeinsamen Verständnis zu kommen.

                  Die Methode „Tangible Ecosystem Design“ nimmt sich genau dieser Herausforderungen an. Die Methode fördert die Zusammenarbeit bei der Definition, Gestaltung und Analyse eines digitalen Ökosystems – und das mithilfe von Playmobil®-Spielzeug, wodurch die Konzeption für die Teilnehmenden konkretisiert wird. Diese können in Workshops mit Playmobil und geeigneten Templates ein digitales Ökosystem modellieren und es damit im wahrsten Sinne des Wortes „greifbar“ machen.

                  Literatur

                  Nass, C, Trapp, M, Villela, K (2018). Tangible design for software ecosystem with Playmobil®. NordiCHI ’18: Proceedings of the 10th Nordic Conference on Human-Computer Interaction. September 2018. 856–861.

                  Koch, M, Krohmer, D, Naab, M, Rost, D, Trapp, M (2022). A matter of definition: Criteria for digital ecosystems. Digital Business 2, 100027.

                  Autoren

                  Dr. Matthias Naab und Dr. Marcus Trapp sind Co-Founder von Full Flamingo. Sie helfen Unternehmen pragmatisch, die wichtigen Entscheidungen in der digitalen Transformation abzusichern. Sie waren bis 2022 am Fraunhofer IESE als Führungskräfte tätig und haben das Thema „Digitale Ökosysteme und Plattformökonomie“ mit aufgebaut und verantwortet.

                   

                   

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                    Redaktionelle Erstellung vs. Brokering: Woher kommen die Inhalte?

                    Prof. Dr. Laura Schulte

                    Die im Projekt „Trusted Health Ecosystems“ skizzierte Vision einer nationalen Gesundheitsplattform wirft die Frage nach der Herkunft der dort angebotenen Inhalte und Dienste auf. Ein bedarfsgerechtes Angebot stellt hohe Anforderungen an die Vielfalt und den Umfang der Informationen und Dienste, denen ein Anbieter allein kaum gerecht werden kann. Die Inhalte müssen jedoch nicht zwangsläufig vom Plattformbetreiber selbst bereitgestellt werden. Die folgenden Überlegungen gehen der Frage nach, ob der Plattformbetreiber eigene Informationen erstellen oder sich eher auf die Vermittlung von Fremdinformationen beschränken sollte.

                    Herausforderung

                    Mit der Verbreitung von Informationen gehen bestimmte rechtliche Anforderungen einher, die sich ganz grundsätzlich danach unterscheiden, wem die Inhalte zuzuordnen sind. Die Frage der Zuordnung beurteilt sich im Wesentlichen danach, welcher Eindruck hinsichtlich der Urheberschaft bzw. der Verantwortung für Inhalte bei den Nutzerinnen und Nutzern eines Informationsangebots erweckt wird. Die in diesem Kontext relevanten rechtlichen Anforderungen können von präventiven Prüfpflichten hinsichtlich der Richtigkeit der Inhalte, der Erlaubniseinholung bei fremden Inhalten, der Anbieterkennzeichnungspflichten bis hin zur Löschung von rechtswidrigen Inhalten reichen.

                    Für die Mehrheit aller Informationsangebote wird davon ausgegangen, dass bei Bereitstellung fremder Informationen eine Prüfpflicht hinsichtlich deren Richtigkeit und Rechtmäßigkeit im Vorfeld nicht besteht, dann aber bei Hinweisen auf mögliche Rechtsverletzungen eine Prüfpflicht ausgelöst wird. Anders ist die Situation zu bewerten, wenn der Anbieter sich fremde Inhalte zu eigen macht. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der Eindruck erweckt wird, der Anbieter habe die Informationen selbst überprüft oder sehe sie selbst auf anderer Grundlage als richtig an.

                    Neben diesen haftungsrechtlichen Überlegungen hat die Abwägung zwischen der Erstellung eigener Informationen und dem Rückgriff auf die Informations- und Serviceangebote Dritter auch Implikationen für die rechtssichere Positionierung der angedachten nationalen Gesundheitsplattform. So ist zu bedenken, dass die Entscheidung für die Erstellung eigener Inhalte durch einen überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanzierten Betreiber Auswirkungen auf die Handlungsspielräume privatwirtschaftlicher Akteure haben und die am Markt tätigen Unternehmen benachteiligen könnte. Staatliches Informationshandeln steht immer unter der einschränkenden Voraussetzung, dass – neben weiteren Bedingungen – insoweit eine staatliche Aufgabe erfüllt werden muss (s. a. Staatliches Informationshandeln).

                    Die Verteilung von qualitätsgeprüften, gesundheitsrelevanten Informationen liegt zwar im Interesse gesundheitlicher Aufklärung und damit auch im Interesse staatlicher Gesundheitspolitik. Ein allgemeiner staatlicher Auftrag bzw. eine gesetzliche oder gar verfassungsrechtliche Aufgabenzuweisung, aus der sich explizit der Betrieb einer nationalen Drehscheibe für Informationen ergibt, besteht allerdings (noch) nicht.

                    Hintergrund

                    Unabhängig von einer urheberrechtlichen Zuordnung von Informationen stellt sich zunächst die Frage, wer im Außenverhältnis als verantwortlicher Anbieter eines Informationsangebots anzusehen ist. Dies kann auch eine juristische Person sein, die sich die Informationen beschafft hat, beispielsweise über eine Lizenzvereinbarung oder eine sonstige Bereitstellung durch Dritte.

                    Rechtlich sind online verfügbare Informationsangebote als Telemediendienste zu qualifizieren und fallen damit unter die Regulierung nach dem Telemediengesetz (TMG). Für alle Telemedien ist vorgegeben, dass ein Anbieter im Rahmen der Impressumspflicht gem. § 5 TMG zu benennen ist. Soweit ein Telemediendienst darüber hinaus journalistische oder redaktionelle Inhalte bereitstellt, muss zugleich auch eine rechtlich für den Inhalt – im Gegensatz zu der Informationsplattform an sich – verantwortliche Person benannt werden.

                    Diese Transparenzpflichten dienen dazu, im Falle rechtlicher Auseinandersetzungen eine Einrichtung bzw. eine Person zu nennen, gegenüber der die Ansprüche geltend gemacht werden können. Die Anbietereigenschaft besagt dabei aber nicht zwingend, dass alle Informationen oder sonstigen Inhalte wirklich von diesem Anbieter stammen müssen. Sie ist zunächst nur eine formale Zuordnung, damit für jedes Telemedienangebot immer eine klare Festlegung der Verantwortlichkeit erfolgt. Es ist also zu differenzieren nach der Verantwortung für eine technische Plattform einerseits und die auf der Plattform verbreiteten Inhalte andererseits. Zwar kann für beides ein und dieselbe Stelle im rechtlichen Sinne verantwortlich sein, doch dies muss nicht zwingend der Fall sein.

                    Anbieter im Sinne des Telemediengesetzes können damit auch solche Einrichtungen bzw. Personen sein, die selbst keinen inhaltlichen Einfluss auf die Informationen genommen haben und diese nur als fremde Informationen bereitstellen. Der Anbieter ist also erster Ansprechpartner für eigene und für fremde Inhalte, allerdings ergeben sich im Weiteren Unterschiede bei der Verantwortlichkeit, etwa der Geltendmachung von Beseitigungs- und/oder Schadensersatzansprüchen im Falle der Veröffentlichung rechtswidriger oder falscher Inhalte.

                    Im Grundsatz muss primär die Stelle, von der die Inhalte stammen, Verantwortung für diese übernehmen, etwa der Autor oder die Autorin eines Textes bzw. die Stelle, die eine Studie oder Grafik entwickelt und verbreitet. Der Betreiber eines Informationsangebots muss aus juristischer Perspektive selbst unmittelbar keine Verantwortung für fremde Inhalte übernehmen. Vielmehr findet im ersten Schritt lediglich eine Haftung für eigene, aber nicht für fremde Inhalte statt.

                    In rechtlicher Hinsicht kommt es für die Abgrenzung von eigenen und fremden Inhalten darauf an, von wem die Inhalte jeweils erkennbar stammen. Hierbei ist allerdings nicht die Urheberschaft relevant; maßgeblich ist vielmehr die Wahrnehmung der Nutzerinnen und Nutzer. Folgt keine oder keine eindeutige Abgrenzung bei einem Informationsangebot, geht der Nutzer im Regelfall davon aus, dass alle Informationen entweder von dem Anbieter der Plattform stammen oder der Anbieter sich zumindest fremde Inhalte zu eigen macht.

                    Nur wenn für Nutzer erkennbar ist, dass die abrufbaren Inhalte nicht von dem Anbieter stammen und dieser sich auch nicht mit den Inhalten in dem Sinne identifiziert, dass er erkennbar Verantwortung für diese übernehmen möchte, handelt es sich um fremde Angebote. Ein Verweis auf die Fremdheit ist dabei etwa in der Form möglich, dass für die einzelnen Inhalte transparent auf einen anderen Ansprechpartner oder eine externe Quelle verwiesen wird.

                    Bisherige Erfahrungen zeigen, dass privat- bzw. zivilgesellschaftliche Akteure durchaus in der Lage sind, entsprechende Informationen selbst zu generieren und zu verteilen. Vor diesem Hintergrund erscheint es empfehlenswert, im Rahmen der nationalen Gesundheitsplattform unter Berücksichtigung sowohl staatlicher wie auch privatwirtschaftlicher bzw. zivilgesellschaftlicher Potenziale gesundheitsrelevante Informationen, die grundsätzlich von Fremdanbietern bereitgestellt werden, einer möglichst breiten Öffentlichkeit niederschwellig zugänglich zu machen. Im Ergebnis sollten von dem Betreiber der Plattform keine eigenen Inhalte erstellt und verteilt werden.

                    „Die nationale Gesundheitsplattform sollte sich auf die Bündelung und Komposition von Fremdinhalten beschränken.“

                    Prof. Dr. Laura Schulte

                    Unter praktischen Gesichtspunkten ist zu überlegen, wie Dritte motiviert werden können, ihre Inhalte der Plattform zur weiteren Verteilung zur Verfügung zu stellen. Es ist davon auszugehen, dass die Bereitstellung von Informationen durch Dritte für diese vor allem dann attraktiv ist, wenn ein hochwertiges Umfeld geboten wird und die Zulieferer von Informationen als Quelle angegeben werden.

                    Wichtig erscheint zudem eine klare Definition von Vorgaben, welche Inhalte aufgenommen werden und wie mit diesen generell verfahren wird, etwa wie die Darstellung der Informationen erfolgen soll und in welchen Abständen diese ggf. zu aktualisieren sind. In einem solchen Umfeld ist es dann auch denkbar, dass mehrere gleichwertige Angebote bzw. Informationen angeboten werden, um den Nutzerinnen und Nutzern eine möglichst umfangreiche und neutrale Auswahl zu bieten.

                    Fazit

                    Unabhängig von den rechtlichen Aspekten ist es vor allem eine strategische Entscheidung, ob Informationen als eigene Informationen übernommen und angeboten werden sollen. Die Bereitstellung eigener Informationen ist in der Regel mit größerem Aufwand verbunden, sei es für die Erstellung entsprechender Inhalte oder deren Beschaffung. Bei Fremdinhalten ist der Aufwand geringer, dafür entsteht ein Koordinierungs- und Abstimmungsaufwand. Hier muss außerdem sichergestellt werden, dass das gewünschte Qualitätsniveau erreicht wird.

                    Im Hinblick auf wettbewerbsrechtliche Aspekte wäre ein marktoffenes Angebot von Fremdinhalten gegenüber dem Zu-eigen-Machen oder der Erstellung eigener Inhalte vorzuziehen, um einen möglichen Eingriff in die Grundrechte von Informationsanbietern zu vermeiden (vgl. Staatliches Informationshandeln). Die nationale Gesundheitsplattform sollte sich insofern auf die Bündelung und Komposition von Fremdinhalten beschränken und von einer routinemäßigen Prüfung einzelner Inhalte ebenso absehen wie von einer inhaltlich-redaktionellen Bearbeitung sowie der Einräumung umfassender Nutzungs- und Verwertungsrechte zugunsten des Plattformbetreibers.

                    Tatsacheninformation oder Werturteil?

                    Die Verantwortlichkeit für redaktionelle Inhalte hängt unter anderem von deren Einordnung als Tatsacheninformation oder Werturteil ab – wobei beide Kategorien für die nationale Gesundheitsplattform grundsätzlich denkbar sind. Eine Tatsacheninformation ist objektiv richtig oder falsch, daher trägt der Anbieter das Risiko der Verbreitung von Informationen, die sachlich unrichtig sind. An der Verbreitung falscher Informationen besteht kein schutzwürdiges Interesse, sodass diese spätestens nach Beanstandung immer zu löschen bzw. zu korrigieren sind. Bei Werturteilen scheidet eine objektive Bewertung aus: Eine Meinung kann zwar mehr oder weniger gut nachvollziehbar sein, aber nicht in Dimensionen wie „wahr“ oder „falsch“ bewertet werden. Vor diesem Hintergrund gibt es einen größeren Ermessensspielraum des Anbieters einer Informationsplattform.

                    Schwierig wird die Abgrenzung bei Mischformen, insbesondere bei Meinungsäußerungen mit Tatsachenkern. In dieser Gestaltung liegt an sich eine Meinung vor, die aber auf einer überprüfbaren Tatsachengrundlage basiert. Stellt sich die Tatsachengrundlage als falsch heraus, wirkt sich dies auch auf das abgeleitete Werturteil ab. Jeder Anbieter von Informationsangeboten muss daher sorgsam überwachen, welche Arten von Informationen über seine Plattform veröffentlicht werden und wie diese geprüft werden müssen bzw. was bei Beanstandungen zu veranlassen ist (Hofmann, 2022: 780ff.)).

                    Bei der Bereitstellung von Informationen für die Öffentlichkeit besteht generell das Risiko, dass einzelne Informationen sich später als falsch bzw. irreführend herausstellen. Diese Situation kann sich sowohl bei solchen Informationen ergeben, die selbst erarbeitet wurden, als auch bei Informationen, die von dritter Seite stammen und von dem Anbieter übernommen wurden. Sowohl für eigene als auch für fremde Angebote lassen sich Vorkehrungen treffen, um das verbleibende Restrisiko zu reduzieren und möglichst beherrschbar zu gestalten.

                    (Beitrag veröffentlicht am 27.09.2023. Die hier getroffenen Aussagen beziehen sich ausschließlich auf die Rechtslage in Deutschland. Sie stellen einen Leitfaden und keine individuelle Rechtsberatung dar, die über das Projekt „Trusted Health Ecosystems“ hinausgeht.)

                    Literatur

                    Hofmann F (2022). Lauterkeitsrechtliche Haftung von Online-Plattformen. Die neuen Transparenzvorgaben im UWG 2022 im Kontext lauterkeitsrechtlicher Plattformregulierung. in: GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 124. Jahrgang, 2. Juni 2022 (11/2022), S. 780 ff.

                    Autorin

                    Laura Schulte arbeitete während ihrer Promotion an einem Lehrstuhl für Verfassungsrecht als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Sie promovierte zu einem datenschutzrechtlichen Thema und forschte hierzu unter anderem auch an der Queen Mary School of Law in London. Von 2020 bis 2023 war sie als Rechtsanwältin in der Kanzlei BRANDI-Rechtsanwälte am Standort Bielefeld und dort im Fachbereich IT- und Datenschutzrecht tätig. Seit August 2023 ist sie Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Bielefeld.

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