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Nationale Gesundheitsplattform – Redaktionelle Erstellung von Inhalten

Transkript

Intro

Es sollte also bei der nationalen Gesundheitsplattform nicht darum gehen, ein Konkurrenzangebot zu bereits bestehenden Informationsangeboten, sondern einen Mehrwert zu schaffen.

Wer trägt die Verantwortung für die Inhalte einer nationalen Gesundheitsplattform?

Bei der Frage nach der Verantwortung für die Inhalte einer nationalen Gesundheitsplattform kommt es im Wesentlichen darauf an, über welche Inhalte man spricht. Für eigene Inhalte übernimmt der Portalbetreiber zunächst einmal die Verantwortung. Bei fremden Inhalten kann eine Verantwortung dann bestehen, wenn sich der Portalbetreiber diese zu eigen macht. Etwa dann, wenn er diese vorab prüft oder anders zum Ausdruck bringt, dass er die Verantwortung für diese übernehmen möchte.

Übernimmt eine andere Stelle die Vorabprüfung der Informationen, also eine Stelle, die nicht der Portalbetreiber ist, kann diese rechtliche Bewertung auch anders ausfallen. Dann besteht aber auch noch selbst bei fremden Inhalten die Möglichkeit, dass der Portalbetreiber in Anspruch genommen wird, beziehungsweise insoweit Verantwortung trägt. Dies bedeutet, der Portalbetreiber muss hier einen Mechanismus etablieren, damit Nutzerinnen falsche beziehungsweise rechtswidrige Informationen melden können.

Wie ist die Erstellung eigener Inhalte unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten zu bewerten?

Unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten ist die Erstellung eigener Inhalte einer nationalen Gesundheitsplattform schwierig zu bewerten. Jedenfalls dann, wenn staatliche Akteure an dieser Plattform mitwirken. Im Grundsatz sollen staatliche Angebote nur dort geschaffen werden, wo eine Art von Marktversagen stattfindet. Das heißt, entweder nicht hinreichend Informationen kommuniziert werden oder nicht hinreichend transparent Informationen im Gesundheitsbereich transportiert werden.

Erfahrungen aus der Vergangenheit haben gezeigt, dass Anbieter von digitalen Gesundheitsangeboten ganz gut in der Lage sind, hier die Nachfrage zu befriedigen. Es sollte also bei der nationalen Gesundheitsplattform nicht darum gehen, ein Konkurrenzangebot zu bereits bestehenden Informationsangeboten in Online-Kontexten zu schaffen, sondern einen Mehrwert zu schaffen. Und das nicht nur für die Nutzerinnen und Nutzer, sondern eben auch für die Anbieter von digitalen Informationsangeboten im Gesundheitsbereich.

Welche Empfehlungen lassen sich daraus für die Content-Strategie der Plattform ableiten?

Hinsichtlich der Content-Strategie der nationalen Gesundheitsplattform wäre dabei zu berücksichtigen, dass die Erstellung von eigenen beziehungsweise zu eigen gemachten Inhalten und deren Verbreitung unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten nur schwer zu rechtfertigen ist. Jedenfalls, wenn und soweit staatliche Stellen an dem Vorhaben beteiligt werden. Vorzugswürdig erscheint hier eher die Verbreitung von Fremdinhalten, also solcher Inhalte, die durch zivilgesellschaftliche beziehungsweise privatwirtschaftlich organisierte Akteure erstellt werden. Die Anbieter solcher Informationsangebote sollten fairen und transparenten Zugang zu dem Portal erhalten.

Disclaimer

Die in dem Interview getroffenen Aussagen beziehen sich ausschließlich auf die Rechtslage in Deutschland. Sie stellen einen Leitfaden und gerade keine individuelle Rechtsberatung dar, die über das Projekt Trusted Health Ecosystems hinausgeht.

Inhalt

Expertin

Prof. Dr. Laura Schulte arbeitete während ihrer Promotion an einem Lehrstuhl für Verfassungsrecht als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Sie promovierte zu einem datenschutzrechtlichen Thema und forschte hierzu unter anderem auch an der Queen Mary School of Law in London. Von 2020 bis 2023 war sie als Rechtsanwältin in der Kanzlei BRANDI-Rechtsanwälte am Standort Bielefeld und dort im Fachbereich IT- und Datenschutzrecht tätig. Seit August 2023 ist sie Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Bielefeld.

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    Erste Gedanken zur technischen Struktur der nationalen Gesundheitsplattform

    Dr. Matthias Koch

    Die Software-Architektur einer digitalen Plattform veranschaulicht deren Struktur, liefert aber auch Informationen zu den erwartbaren Kosten oder zur technischen Realisierbarkeit bestimmter Anforderungen. Bei der hier skizzierten nationalen Gesundheitsplattform wird sie dem Grundmuster anderer Vermittlungsplattformen folgen, kann jedoch detailliert erst ausgearbeitet werden, wenn im Fall einer Umsetzung sämtliche Anforderungen definiert und offene Fragen abschließend beantwortet werden. Während der Konzeptentwicklung wurden ganz bewusst Fragen unbeantwortet gelassen, um Gestaltungsspielräume zu schaffen und keine unnötigen Vorfestlegungen zu treffen. Die bereits getroffenen konzeptionellen Festlegungen sowie die Bestimmung von Rollen und Aufgaben im digitalen Ökosystem der Plattform ermöglichen allerdings einen ersten Überblick über die notwendigen Komponenten und deren Zusammenspiel.

    Auf Basis der konzeptionellen Vorüberlegungen (vgl. Unser Konzept in der Gesamtschau) lassen sich Systemgrenzen aufzeigen, die verdeutlichen, was Gegenstand der nationalen Gesundheitsplattform ist und welche unmittelbar benachbarten Systeme über Schnittstellen verbunden sind. Die hier beschriebenen Überlegungen bilden jedoch keine umsetzungsreife Software-Architektur ab, die bereits alle relevanten Architekturtreiber und technologischen Aspekte berücksichtigt. Deren Erhebung und Verfeinerung wird Gegenstand weiterer konzeptioneller Arbeit sein.

    Teilnehmende Akteure des Ökosystems

    Im Zentrum der Betrachtung steht die nationale Gesundheitsplattform als technisches Rückgrat der Vermittlung kontextspezifischer digitaler Gesundheitsinformationen und Services. Die Plattform hat die Aufgabe, wesentliche Funktionen zur Verwaltung von Nutzerinnen und Nutzern sowie von Inhalten zur Verfügung zu stellen. Außerdem bildet sie das technische Bindeglied zwischen den verschiedenen Akteuren im Ökosystem. Abgesehen vom Plattformbetreiber zählen hierzu die

    Anbieter von Gesundheitsinformationen – z. B. von Informationen zu Erkrankungen, zur Prävention, zur Versorgungsstruktur etc. in unterschiedlichen Formaten.

    Anbieter von gesundheitsrelevanten Services – z. B. Online-Terminvereinbarung, Krankenhaussuche, Schmerztagebuch etc.

    Anbieter von Kontextinformationen – personenbezogene Informationen, die Hinweise auf den situativen Informationsbedarf der Patientinnen und Patienten liefern

    Entwickler von Pfadmodellen – indikationsspezifische Vorlagen für den erwartbaren Verlauf des Informationsbedarfs, entlang derer Gesundheitsinformationen spezifisch für die jeweiligen Patientinnen und Patienten ausgespielt werden

    Patientinnen und Patienten

    Die Plattform und ihre Schnittstellen

    Die zentrale Aufgabe der nationalen Gesundheitsplattform besteht darin, Gesundheitsinformationen und gesundheitsrelevante Services zur richtigen Zeit an die richtigen Personen weiterzugeben. Diese Weitergabe wird in aller Regel durch Ereignisse gesteuert, beispielsweise einen Arztbesuch oder das Erreichen einer zeitlichen Frist wie »sechs Wochen nach Krankschreibung«. Solche Ereignisse wiederum werden von eingehenden Kontextinformationen abgeleitet, woraufhin die nationale Gesundheitsplattform entlang eines oder mehrerer aktuell relevanter Pfadmodelle die passenden Informationen und Services an die Patientinnen und Patienten ausspielt (vgl. Unser Konzept in der Gesamtschau). Für diese Kernfunktionalität der Vermittlung von Gesundheitsinformationen und Services sind verschiedene Schnittstellen notwendig, die nachfolgend vorgestellt werden:

    • Schnittstelle zur Aufnahme von Gesundheitsinformationen: Diese Schnittstelle ermöglicht, Gesundheitsinformationen auf der Plattform zu hinterlegen, damit diese aufgrund bestimmter Merkmale dem situativen Informationsbedarf der Patientinnen und Patienten zugeordnet und in einem personalisierten Feed (vgl. Entdecken statt suchen) bereitgestellt werden können. Darüber hinaus können diese Information über eine semantische Suche abgerufen werden.
    • Schnittstelle zur Aufnahme von Services: Die Aufnahme von Services erfolgt analog zur Aufnahme von Gesundheitsinformationen. Services werden den Patientinnen und Patienten ebenfalls situativ bereitgestellt.
    • Schnittstelle zur Aufnahme individueller Kontextinformationen: Die Übermittlung individueller Kontextinformationen über Patientinnen und Patienten erfordert Schnittstellen, die eine automatisierte Kommunikation zwischen Systemen erlauben. Der Austausch von Daten über diese Schnittstellen erfolgt ausschließlich auf Basis der differenzierten Einwilligung der Patientinnen und Patienten für den jeweiligen Anbieter der Kontextinformationen, etwa die elektronische Patientenakte (ePA) oder diverse Anbieter von Fitness- und Gesundheitsdaten. An den Schnittstellen zur Übergabe der Kontextinformationen kann die Plattform vor deren Entgegennahme prüfen, ob die Einwilligung der Nutzerin oder des Nutzers vorliegt. Für verschiedene Kontextinformationen unterschiedlicher Anbieter können ggf. jeweils angepasste Schnittstellen notwendig sein, wobei eine Harmonisierung der eingehenden Daten im Anschluss durch die nationale Gesundheitsplattform erfolgt.
    • Schnittstelle zur Verwaltung von Pfadmodellen: Die Vorlagen werden über eine grafische Benutzeroberfläche modelliert und auf der Plattform hinterlegt. Über dieselbe Schnittstelle ist es möglich, Pfadmodelle zu verwalten, zu überarbeiten und zu verbessern. Ebenso lässt sich eine kollaborative Modellierung zwischen mehreren Erstellern realisieren.
    • Schnittstelle für Patientinnen und Patienten: Patientinnen und Patienten greifen über eine grafische Benutzeroberfläche – etwa als Webseite oder App für mobile Endgeräte – auf die Funktionalitäten der nationalen Gesundheitsplattform zu, insbesondere um Gesundheitsinformationen zu erhalten sowie den Zugang zu gesundheitsrelevanten Services. Neben dieser traditionellen Schnittstelle können weitere Zugriffsmöglichkeiten eingesetzt werden, vor allem sprachbasierte Benutzungsschnittstellen. Die Patientinnen und Patienten werden authentifiziert über die in der Telematikinfrastruktur 2.0 geplante digitale Identität im Gesundheitswesen, die gewährleistet, dass sämtliche Daten zuverlässig den Patientinnen und Patienten zugeordnet und nur von diesen abgerufen werden können.

    Schnittstelle zur Aufnahme von Gesundheitsinformationen

    Gesundheitsinformationen werden von zertifizierten Anbietern mittels eines dialoggestützten Vorgangs bereitgestellt. Dieser unterstützt die jeweiligen Anbieter dabei, ihre Informationen der Plattform so zu übermitteln, dass sie mit Pfadmodellen verknüpft und ausgespielt werden können oder über die Suche für Patientinnen und Patienten auffindbar sind. Bei diesem Vorgang wird der eigentliche Inhalt – etwa ein Informationstext oder ein Video – nicht auf die Plattform übertragen, sondern verbleibt beim jeweiligen Anbieter. Stattdessen wird ein Link hinterlegt und mit Meta-Informationen, etwa zum Erstelldatum oder zu den verwendeten Quellen, angereichert.

    Die Gesundheitsinformationen werden über die zuvor genannte Schnittstelle an die nationale Gesundheitsplattform übermittelt. Diese Schnittstelle kann in zwei Ausprägungen realisiert werden. Zum einen kann die Plattform selbst eine grafische Benutzeroberfläche anbieten. Die von Anbietern der Gesundheitsinformationen nutzbare Webseite oder Anwendung unterstützt diese dabei, ihre Informationen zu hinterlegen und alle notwendigen Angaben zu erfassen.

    Zum anderen kann diese Schnittstelle so konzipiert werden, dass Daten von anderen Systemen entgegengenommen werden, ohne dass Nutzerinnen und Nutzer aktiv werden müssen. Hierfür notwendig sind ergänzende Schnittstellen auf Seiten der Anbieter der Gesundheitsinformationen, konkret bei den jeweiligen Content-Management-Systemen, über die die Informationen originär erstellt werden. Diese Systeme übertragen freigegebene Informationen an die Plattform. Das hat den Vorteil, dass die Anbieter kein zusätzliches System bedienen müssen und in ihrer gewohnten Arbeitsumgebung bleiben können.

    Schnittstelle zur Aufnahme von gesundheitsrelevanten Services

    Gesundheitsrelevante Services werden ähnlich wie Gesundheitsinformationen behandelt. Das heißt, zertifizierte Anbieter werden dabei unterstützt, ihre Dienste mit der nationalen Gesundheitsplattform zu verknüpfen. Analog zu den Gesundheitsinformationen erfolgt keine vollständige Übertragung der Services auf die Plattform, sondern es werden Verlinkungen vorgenommen: Die Plattform erhält einen Verweis auf einen Service mit beschreibenden Metadaten, um diesen entlang eines Pfadmodells an Patientinnen und Patienten auszuspielen.

    Schnittstelle zur Aufnahme von individuellen Kontextinformationen

    Kontextinformationen, die Auskunft über den situativen Informationsbedarf von Patientinnen und Patienten liefern, fallen bei unterschiedlichen Akteuren im Gesundheitswesen an. Entscheidend für den Erfolg der nationalen Gesundheitsplattform ist, sie in einem einheitlichen Format zu erfassen, das sich an bestehenden Standards orientiert. Auf einen möglichen Standard gehe ich im weiteren Verlauf dieses Beitrags noch ein. Die Grundlage für die Vereinheitlichung bildet die von der Plattform spezifizierte Schnittstelle, über die Systeme von Dritten entsprechende Daten übermitteln. Aktuell wichtigster Datenlieferant ist die Gematik bzw. die staatliche Digitalagentur, die über die elektronische Patientenakte alle Daten bündelt, die Arztpraxen, Apotheken und Kliniken über ihre jeweiligen Verwaltungssysteme weitergeben.

    Die Schnittstelle soll erlauben, dass neben der elektronischen Patientenakte weitere Quellen von Kontextinformationen angebunden werden können. Neben Krankenkassen kommen hier auch Plattformen für Gesundheitsdaten wie Google Health oder Fitbit in Frage. Diese Daten würden jeweils mit dem Einverständnis der Patientinnen und Patienten bei den jeweiligen Akteuren an die nationale Gesundheitsplattform übermittelt. Da die exakten Formate der Daten bei den verschiedenen Anbietern noch nicht bekannt sind, ist es wahrscheinlich, dass unterschiedliche Arten von Schnittstellen für verschiedene Gruppen von Anbietern angeboten werden. Dies hat zur Folge, dass die Harmonisierung der Daten möglicherweise im Anschluss auf der nationalen Gesundheitsplattform erfolgt.

    Die hier skizzierte Schnittstelle wird von verschiedenen Systemen angesprochen. Sie wird nicht von Patientinnen und Patienten selbst verwendet und bietet keine grafische Benutzeroberfläche, da individuelle Kontextinformationen automatisiert auf Seiten der Anbieter der Informationen erarbeitet und übertragen werden. Ohne Automatisierung erscheint der notwendige Grad an Aktualität der Daten und deren Menge nicht realisierbar. Gleichwohl muss auch diese Schnittstelle über Authentifizierungsmechanismen verfügen, sodass nur autorisierte Systeme ihre Daten an die nationale Gesundheitsplattform übertragen können.

    Schnittstelle zur Verwaltung von Pfadmodellen

    Die Erstellung von Modellen für Patienteninformationspfade erfordert Expertise hinsichtlich des Verlaufs des patientenseitigen Informationsbedarfs und die Kenntnis der typischen Stationen einer Erkrankung. Daher werden die Vorlagen ausschließlich von zertifizierten Akteuren erstellt (vgl. Unser Konzept in der Gesamtschau) . Gleichzeitig ist zu erwarten, dass Pfadmodelle komplex ausfallen, sodass eine Visualisierung sinnvoll ist. Die grafische Benutzungsschnittstelle zur Modellierung von Pfadmodellen wird auf der nationalen Gesundheitsplattform entsprechend zertifizierten Akteuren bzw. deren Einrichtungen zugänglich sein.

    Schnittstelle für Patientinnen und Patienten

    Abschließend wird die Perspektive der Patientinnen und Patienten betrachtet, für die anhand der individuellen Kontextinformationen die passenden Gesundheitsinformationen und Services ausgespielt werden. Sie nutzen die Benutzeroberfläche der Plattform als Zugang zum digitalen Ökosystem, um entlang von Pfadmodellen jeweils passende Informationen und Services zu erhalten oder – dem eigenen Bedarf entsprechend – nach qualitätsgesicherten Informationen und Services zu suchen. Darüber hinaus erhalten Patientinnen und Patienten zur Wahrung der Datensouveränität die Möglichkeit, die Verwendung ihrer Daten zu steuern. Dies kann über ein Privacy-Dashboard erfolgen, wie es beispielsweise im Forschungsprojekt »D’accord« entwickelt und erprobt wird (https://daccord-projekt.de).

    Die Authentifizierung der Patientinnen und Patienten erfolgt über die digitale Identität, die in der Telematikinfrastruktur 2.0 vorgesehen ist. Diese Authentifizierung erleichtert die Verknüpfung der personenbezogenen Daten der elektronischen Patientenakte, die gerade zu Beginn als primäre Quelle für Kontextinformationen dienen könnte. Neben diesem Zugang können weitere Mechanismen geschaffen werden, um Patientinnen und Patienten in das digitale Ökosystem einzubinden. Dazu gehört etwa ein SMS-Versand über entsprechende Dienstleister, die das direkte Versenden von Links auf die Benutzeroberfläche der nationalen Gesundheitsplattform ermöglichen.

    Weiteres Vorgehen zur Konzeption

    Die abschließende Auswahl der geeigneten Rahmenwerke und Technologien sollte auf Basis einer Anforderungsanalyse und einer detaillierten Architekturkonzeption erfolgen, die die bisher erfassten, groben Anforderungen ergänzt und verfeinert. Hierbei müssen nicht funktionale Anforderungen besonders berücksichtigt werden. Das Thema der IT-Sicherheit wurde im vorherigen Abschnitt bereits angesprochen. Darüber hinaus sind Performance und Skalierbarkeit äußerst relevant, da mit hohen Nutzerzahlen zu rechnen ist – die Plattform soll allen Patientinnen und Patienten in Deutschland zur Verfügung stehen. Die große Zahl der Nutzerinnen und Nutzer sorgt wiederum für einen sehr großen Zustrom an Daten, die von der Plattform zu verarbeiten sind. Die auszuwählenden Technologien zur Realisierung und die darunterliegende Infrastruktur müssen es erlauben, bei entsprechender Last zu skalieren.

    Als weitere essenzielle nicht funktionale Anforderung ist die User Experience (UX) zu berücksichtigen. Da die nationale Gesundheitsplattform allen Patientinnen und Patienten offensteht und für jede und jeden leicht nutzbar sein soll, muss auf die besonderen Bedarfe und Präferenzen unterschiedlicher, teils besonders vulnerabler Nutzergruppen Rücksicht genommen werden. Hierzu zählen beispielsweise alte Menschen oder Patientinnen und Patienten mit einer kognitiven Beeinträchtigung. Auf diese Gruppen ist bei der Gestaltung ein besonderes Augenmerk zu legen.

    Die Analyse der Anforderungen bestimmt außerdem die weiteren Funktionalitäten der Plattform, unter anderem zur Verwaltung von Nutzerinnen und Nutzern und deren Berechtigungen, zur Verwaltung der Pfadmodelle und zur Instanziierung der Pfadmodelle für Patientinnen und Patienten. Diese bezeichnet die Zuordnung konkreter Gesundheitsinformationen und Services sowie deren Ausspielen über die Plattform anhand der individuellen Kontextinformationen.

    Rahmenbedingungen für Deployment und Hosting

    Der Kern der nationalen Gesundheitsplattform ist die Software selbst, die durch Verteilung auf einen oder mehrere Server funktionsfähig gemacht werden muss. Dieser Vorgang wird »Deployment« genannt. Zusätzlich ist ein Betrieb der Ausführungsumgebung für die Software notwendig, was man als »Hosting« bezeichnet. Daneben verfügt die Plattform über eine Vielzahl von Daten – von Nutzerdaten und Kennungen über Links auf Gesundheitsinformationen und Services bis hin zu Kontextinformationen –, die in Teilen auf der Plattform selbst vorliegen müssen, um sie adäquat auswerten zu können. All diese Daten müssen ebenfalls auf einem oder mehreren Servern abgelegt, das heißt, »gehostet« werden.

    Das Hosting der Plattform und aller gespeicherten Daten muss selbstverständlich nach dem Stand der Technik erfolgen, wobei die Handhabung von Daten grundsätzlich den Maßgaben der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) – und im Falle gesundheitsbezogener Daten den Maßgaben der dort definierten besonderen Schutzmaßnahmen – gerecht werden muss. Im Zuge weiterer Überlegungen zur IT-Architektur der Plattform müssen Entscheidungen zum Deployment getroffen werden. Es muss also die Frage beantwortet werden, welche Teile des Gesamtsystems wie und wohin verteilt werden und welche organisatorischen Einheiten deren Hosting jeweils verantworten. So kann beispielsweise das Hosting der Software vom Hosting der Daten getrennt werden – mit der Etablierung von Sicherheitsmaßnahmen auf beiden Seiten. Eine Kontrolle der Datenflüsse sowohl auf Seiten der Software als auch auf Seiten der Datenbanken sowie eine physische Trennung der Server erschweren eine Kompromittierung des Gesamtsystems. Mit einer solchen Maßnahme lässt sich ein höheres Maß an Sicherheit und Verlässlichkeit im Umgang mit den Daten erreichen.

    Weiterhin notwendig sind spezifische Analysen möglicher Angriffsszenarien, um die nationale Gesundheitsplattform zu schützen. Diese müssen bei der Ausarbeitung einer Software-Architektur vorgenommen werden. Grundsätzlich sollte ein Hosting einschließlich der Speicherung von Backups in Europa angestrebt und von einer im Gesundheitswesen anerkannt vertrauenswürdigen Instanz durchgeführt werden.

    Ereignisgesteuerte Architektur

    Primär werden Gesundheitsinformationen und Services anhand des Push-Prinzips ausgespielt – das heißt, entlang des Durchlaufs von Pfadmodellen erhalten Patientinnen und Patienten die für sie passenden Informationen, ohne selbst aktiv werden zu müssen. Unabhängig davon können Patientinnen und Patienten auch eine traditionelle Suchfunktion nutzen. Bei der Zuordnung von Suchtreffern zu Anfragen kann die Plattform sämtliche vorliegenden Kontextinformationen nutzen, um passende Ergebnisse anzuzeigen. Diese Informationen können zur Erstellung eines individuellen Rankings der Suchergebnisse genutzt werden, analog zu bekannten Suchmaschinen. Im Unterschied zu diesen kann die nationale Gesundheitsplattform bei Bedarf transparent machen, welche Kontextinformationen in welcher Gewichtung zu einem Ranking von Suchergebnissen geführt haben – damit lässt sich das Vertrauen sowohl auf Seiten der Patientinnen und Patienten als auch der Anbieter von Gesundheitsinformationen und Services gewinnen.

    Die technische Abbildung eines Systems wie der hier skizzierten nationalen Gesundheitsplattform kann über eine sogenannte »ereignisgesteuerte Architektur« erfolgen. Eine solche Architektur stellt die Kommunikation verschiedener Komponenten im Gesamtsystem durch Eintreten von Ereignissen in den Vordergrund. Jedes Ereignis wird durch einen Produzenten ausgelöst und anschließend von einem »Event Handler« verarbeitet. Dieses technische Teilsystem bestimmt anhand des Produzenten, des Zeitpunkts und Typs sowie des Inhalts des Ereignisses die nachfolgenden Aktionen – bestimmt also beispielsweise geeignete Gesundheitsinformationen, die einer Patientin oder einem Patienten angezeigt werden.

    Ereignisgesteuerte Architekturen sind ein im Software-Engineering etabliertes Konzept, für das es bereits technische Rahmenwerke gibt, die eine Umsetzung erleichtern. Ein solches bildet der Nachrichten-Broker »Apache Kafka« (https://kafka.apache.org), um eine Realisierungsmöglichkeit exemplarisch zu nennen. Apache Kafka ist eine vielseitig einsetzbare Technologie, die keine domänenspezifischen Aspekte berücksichtigt. Demgegenüber existieren auch Rahmenwerke, die spezifische Standards und Funktionalitäten zur Handhabung gesundheitsbezogener Daten berücksichtigen oder definieren. Ein Open-Source-Rahmenwerk zum Aufbau eines Ökosystems im Gesundheitssektor wird von der Standford University bereitgestellt: »Spezi« (https://github.com/StanfordSpezi). Dieses Rahmenwerk definiert eine Architektur, die den Austausch gesundheitsbezogener Daten mit anderen Systemen dadurch erleichtert, dass der von HL7® definierte FHIR®-Standard für den Austausch gesundheitsbezogener Daten implementiert wird (https://www.hl7.org/fhir/). Es ist denkbar – nach tiefgreifender Analyse der Anforderungen und des Rahmenwerks –, ausgewählte Teile der Plattform auf Spezi aufzubauen.

    Machbar und offen für neue Ideen

    Die hier dargelegten Überlegungen zur technischen Realisierung einer nationalen Gesundheitsplattform skizzieren die grundsätzliche Funktionsweise und belegen die technische Realisierbarkeit des Konzepts. Gleichzeitig zeigen wir damit auf, dass das »Brokering« – also die Vermittlung von Gesundheitsinformationen und Services anhand von individuellen Kontextinformationen der Patientinnen und Patienten – umsetzbar ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Plattform auf Standards und Open-Source-Rahmenwerke wie Standfords »Spezi« aufbauen kann, denn so lassen sich Aufwände und Kosten mindern und die Abhängigkeit von proprietären Lösungen gleichzeitig verringern.

    Zusätzlich gilt gemäß dem Konzept, dass sich die nationale Gesundheitsplattform im Kern auf die Vermittlung von passenden Informationen und digitalen Services beschränkt. Das bedeutet, dass die redaktionelle Erstellung von Gesundheitsinformationen, die Entwicklung von Services sowie die Gewinnung individueller Kontextinformationen nicht von der Plattform selbst geleistet wird. Diese für digitale Ökosysteme typische Konstellation ermöglicht, die Verantwortung zu verteilen und damit die Ressourcen auf die Qualitätssicherung und das automatisierte Ausspielen relevanter Informationen und Angebote für Patientinnen und Patienten zu fokussieren.

    Die Ausführungen in diesem Beitrag geben bewusst keine Systemarchitektur vor und treffen keine technischen Vorfestlegungen. Die abschließende Bestimmung der geeigneten Architekturmuster und Technologien zur Realisierung der Plattform und ihrer Schnittstellen wird erfolgen, nachdem funktionale und nicht funktionale Anforderungen im Detail ausgearbeitet und dokumentiert wurden.

    Autor

    Dr.-Ing. Matthias Koch ist Software Engineer am Fraunhofer IESE und leitet die Abteilung »Digital Innovation Design«. Seit 2012 beschäftigt er sich mit der Gestaltung innovativer Software-Lösungen, mit Kunden aus der Wirtschaft und in Forschungsprojekten. Dies umfasst die Themenfelder Requirements und User Experience Engineering sowie die Durchführung von Innovation Workshops. Besonders im Bereich »Digitale Ökosysteme« arbeitet Matthias Koch an der Gestaltung von Methoden und Werkzeugen für den Aufbau digitaler Plattformen.

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    Der Kernservice der hier skizzierten nationalen Gesundheitsplattform besteht darin, personalisierte Informationspfade bereitzustellen, die dem sich wandelnden Informationsbedarf folgen und den Umgang mit Gesundheitsinformationen erheblich erleichtern könnten. Um unsere Idee zu illustrieren, haben wir ein prototypisches Design entwickelt, das zeigt, wie die nationale Gesundheitsplattform einmal aussehen könnte. Patientinnen und Patienten nutzen immer häufiger das Internet, um sich jenseits des traditionellen Gesundheitssystems zu informieren. Dabei greifen sie bislang vor allem auf die großen Suchmaschinen zurück.

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      Gesundheitsökosysteme erfolgreich etablieren – Vorbilder aus dem Ausland

      Dr. Tobias Silberzahn

      Ein Gesundheitsökosystem, wie es im Projekt „Trusted Health Ecosystems“ angestrebt wird, muss vielfältige Anforderungen erfüllen, wenn es Mehrwert im Gesundheitsbereich stiften will. Internationale Vorbilder zeigen: Ein erfolgreiches Betriebsmodell kombiniert die aktive Einbindung und Orchestrierung teilnehmender Akteure mit gemeinsamen technischen Standards.

      Digitale Ökosysteme haben in verschiedenen Industrien traditionelle Geschäftsmodelle verändert und dabei Wert für Kunden und Marktteilnehmer geschaffen. So vernetzen z. B. E-Commerce-Plattformen Anbieter und Kaufinteressenten direkt miteinander und ermöglichen so effizienten Handel. Solche offenen Ökosysteme könnten künftig auch im digitalen Gesundheitswesen eine Rolle spielen. Zu ihren typischen Merkmalen zählen:

      Multi-Stakeholder-Netzwerk. Ein offenes Ökosystem vereint eine Vielzahl von Akteuren mit unterschiedlichen Interessen. Im Gesundheitswesen könnten dies zum Beispiel Patientinnen und Patienten, Leistungserbringer, Kostenträger und Anbieter von Produkten und Services sein.

      Co-Creation. Die Bereitstellung von Informationen und Services sowie die kontinuierliche Weiterentwicklung erfolgen nicht nur durch den Plattform-Betreiber, sondern auch durch Drittanbieter bzw. Stakeholder „auf der Plattform“. Auf diesem Prinzip basieren beispielsweise auch die „App Stores“ von Mobiltelefonanbietern, in denen Drittentwickler ihre Anwendungen zum Download anbieten.

      Selbstverstärkende Effekte. Der Mehrwert von Ökosystemen ist eng verknüpft mit einer hohen Adoptionsrate: Je mehr Akteure aktiv sind, desto mehr gewinnt das Ökosystem an Attraktivität und zieht so weitere Nutzende an. Bekannt ist dieser Mechanismus von sozialen Netzwerken, die teilweise rapide skalieren, sobald eine „kritische Masse“ an Nutzenden erreicht ist. Auch im digitalen Gesundheitsbereich könnten solche selbstverstärkenden Effekte auftreten: Je mehr Versicherte einen digitalen Service nutzen, desto relevanter wird die Anwendung für Leistungserbringer – und umgekehrt.

      Worauf es bei der Ausgestaltung von Gesundheitsökosystemen ankommt: Vier Erfolgsfaktoren für das Betriebsmodell

      Ein Kernelement erfolgreicher Ökosysteme ist die aktive Partizipation der Stakeholder. Ein weiteres ist die richtige organisatorische Ausgestaltung, damit das Ökosystem sein Potenzial vollständig entfalten kann. Vier Faktoren spielen dabei eine zentrale Rolle, wie die nachfolgenden Beispiele aus verschiedenen Ländern zeigen.

       1. Patientenpfade „end-to-end“

      Aus Nutzerperspektive ist die nahtlose Integration von Stakeholdern und Services ein wichtiger Mehrwert von Ökosystemen. Denn so entstehen Patientenpfade „end-to-end“, bei denen verschiedene Services ineinandergreifen und individuell zugeschnitten werden können, z. B. von der Terminbuchung zur (Tele-)Konsultation zur Verschreibung mittels E-Rezept und Medikamentenlieferung. Die Verknüpfung mit grundlegenden „Enabler-Anwendungen“ wie etwa der elektronischen Patientenakte ermöglicht dabei eine nahtlose Versorgung ohne „Systemwechsel“ und mit konsistenten Daten.

      Fallbeispiel: „Health Village“ in Finnland

      Das von finnischen Universitätskliniken entwickelte „Health Village“ umfasst virtuelle Einrichtungen („Hubs“) für verschiedene Versorgungszwecke (z. B. Notfälle, Reha, mentale Gesundheit), die über digitale Pfade („My Path“) je nach Patientendiagnose verknüpft werden. Nach ärztlicher Überweisung können Teilnehmende z. B. via Smartphone digitale Versorgungsleistungen wie Videosprechstunden oder Selbsthilfeprogramme abrufen. Mehr als 400 solcher Versorgungspfade ergänzen mittlerweile die Gesundheitsversorgung vor Ort.

       2. Konsequente Nutzerzentrierung

      Um eine möglichst hohe Adoptions- und Aktivitätsrate zu erzielen, sollten sich die Angebote des Ökosystems konsequent an den Bedürfnissen der Nutzenden ausrichten. Nutzerzentrierung bedeutet die Einbeziehung der am Ökosystem Beteiligten in die Weiterentwicklung der Services – was auch die Nutzerbindung vertieft.

      Fallbeispiel: „Sundhed.dk“ in Dänemark

      Über ein „User Panel“ beteiligt das dänische Gesundheitsportal „Sundhed.dk“ Patientinnen und Patienten aktiv an der Weiterentwicklung von E-Health-Anwendungen. So wird z. B. über Fokusgruppen, begleitete Nutzertests, Interviews oder Fragebögen gezielt Nutzerfeedback erhoben. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse (z. B. Feedback zu existierenden Lösungen, Wünsche zu neuen Funktionalitäten) fließen in die Weiterentwicklung des Portals und einzelner E-Health-Lösungen ein – was zu einer Verbesserung der Nutzererfahrung und somit letztendlich zu einem höheren Nutzen für Patientinnen und Patienten führen soll.

       3. Governance zur Einbindung der Stakeholder

      Damit die Angebote im Ökosystem sinnvoll ineinandergreifen können, braucht es geeignete Governance-Mechanismen. Dem Betreiber kommt dabei die Rolle des Orchestrators zu, die Stakeholder zusammenzubringen und die Rahmenbedingungen für ein bedarfs- und lösungsorientiertes Zusammenspiel zu schaffen. Eine klare Governance regelt dabei die Zuständigkeiten der am Ökosystem beteiligten Akteure.

      Fallbeispiel: Gesundheitsplattform „Well“ in der Schweiz

      Ursprünglich von Krankenkassen und Gesundheitsanbietern gegründet und entwickelt, sind inzwischen auch Ärztenetzwerke und andere Partner Teil von „Well“. Die Einbindung der verschiedenen Akteure wird von der Well AG orchestriert.

       4. Technische Interoperabilität

      Erfolgreiche Ökosysteme ermöglichen den reibungslosen Informationsaustausch zwischen Stakeholdern durch einheitliche Schnittstellen und Standards. Festgelegt werden sie typischerweise vom Betreiber des Ökosystems unter Berücksichtigung der internationalen Regelungen zur Interoperabilität. Der Standard „Fast Healthcare Interoperability Resource“ (FHIR) schafft im Gesundheitsbereich z. B. eine einheitliche Grundlage für nationalen und grenzüberschreitenden Datenaustausch.

      Fallbeispiel: FHIR in Israel

      Israel setzt bereits auf FHIR als Standard im Gesundheitsbereich. Mit einem Mix aus Anreizsystemen und regulatorischen Vorgaben will Israel Gesundheitsdaten mit diesem Standard besser nutzbar machen. Die israelischen Health Maintenance Organisations (die gleichzeitig Versicherer, Leistungserbringer und Krankenhausbetreiber sind), Forschungseinrichtungen, Start-ups und weitere Gesundheitsanbieter – sie alle sollen vom besseren Gesundheitsdatenaustausch profitieren.

      Die Zukunft offener Ökosysteme im Gesundheitsbereich

      Ein offenes Gesundheitsökosystem hätte das Potenzial, viele Stakeholder im deutschen Gesundheitswesen mit Bürgerinnen und Bürgern zu verknüpfen. Dabei könnte auf bestehenden Strukturen aufgesetzt werden: So existiert mit der TI bereits eine nationale Telematikinfrastruktur. Elektronische Patientenakte und E-Rezept wiederum könnten das „Fundament“ für den Austausch von Gesundheitsdaten in einem offenen Gesundheitsökosystem sein.

      Die beschriebenen Erfolgsfaktoren zeigen, dass die Anforderungen, erfolgreiche Ökosysteme aufzubauen, vielfältig sind: Es braucht nutzerzentrierte Konzepte und effektive Steuerungsstrukturen, um verschiedene Akteure zu orchestrieren und technische Standards zu etablieren.

      Um dies zu erreichen, kann z. B. eine Organisation etabliert werden, welche die strategischen Linien für das Gesundheitsökosystem vorgibt und das Ökosystem orchestriert – mit der Möglichkeit einer direkten Partizipation durch die Stakeholder und Drittanbieter im Ökosystem.

      Autor

      Tobias Silberzahn ist promovierter Biochemiker und arbeitet als Partner im Berliner Büro von McKinsey. In seiner Arbeit dreht sich alles um das Thema Gesundheitsinnovation und „Health Tech Business-Building“. Zusätzlich leitet Tobias Silberzahn das globale Health Tech Network, ein Netzwerk von über 1.800 CEOs/Gründern digitaler Gesundheitsfirmen, 250 Investoren und 300 Corporates, und ist Mitherausgeber des jährlichen „eHealth Monitors“, einem Buch zur Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems im MWV-Verlag. Innerhalb von McKinsey leitet Tobias Silberzahn ein präventives Gesundheitsprogramm, das die Themen Schlaf, Ernährung, Fitness und Stressmanagement abdeckt.

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        InfoCure: Qualität sichtbar machen

        In unserer Vision einer nationalen Gesundheitsplattform geht es vor allem um Vertrauen. Das umfasst, dass die Nutzerinnen und Nutzer sich auf die Qualität der angebotenen Inhalte und Dienste absolut verlassen können. Aber wie kann diesem Anspruch in Zeiten von Desinformation und Verschwörungsmythen Rechnung getragen werden? In einem Teilprojekt mit dem Titel „InfoCure“ gehen wir der Frage nach, wie gute Informationsqualität sichtbar gemacht und Desinformation eingedämmt werden kann.

        Immer mehr Menschen informieren sich im Internet zu gesundheitsrelevanten Fragen und nutzen dabei die großen Social-Media-Pattformen wie YouTube, TikTok, Facebook oder Telegram. Fehl- und Falschinformationen können sich über diese Netzwerke schneller verbreiten als jemals zuvor. Gleichzeitig bieten die Algorithmen der Plattformbetreiber immer wieder Inhalte an, die auf früheren Suchmustern aufbauen und die Annahmen und Einstellungen der Nutzerinnen und Nutzer bestätigen. Verstärkt werden diese „Reinforcement Loops“ durch den sozialen Raum des digitalen Netzwerks, der nicht selten die eigene Meinung spiegelt und so einen Nährboden für Desinformation und Verschwörungsmythen liefert.

        “Die rasante Ausbreitung von Desinformation über digitale Plattformen hat sich weltweit zu einer ernsten Bedrohung für die öffentliche Gesundheit entwickelt.“

        Andy Pattison, WHO (2021)

        Informationsqualität als Markenkern

        Vertrauen entsteht in digitalen Welten zum Beispiel durch den verantwortungsvollen Umgang mit personenbezogenen Daten oder durch geeignete Maßnahmen zur Erhöhung der Datensicherheit. Daneben bilden aber die Qualität und Verlässlichkeit der angebotenen Informationen und Dienstleistungen eine Grundbedingung dafür, dass Vertrauen in digitale Infrastrukturen entsteht. Die sozialen Netzwerke liefern bislang praktisch keine Anhaltspunkte für die Vertrauenswürdigkeit und Seriosität einer Informationsquelle, sodass die methodische Güte der Informationen kaum nachzuvollziehen ist. Ähnliches gilt für digitale Dienstleistungen. Eine nationale Gesundheitsplattform müsste hier einen klaren Unterschied machen.

        Strategien zur Qualitätssicherung von Gesundheitsinformationen fokussieren bislang meist auf die Prüfung einzelner Informationselemente wie Texte oder Videos. Dieser Ansatz geht jedoch mit erheblichen personellen und finanziellen Aufwänden einher und kostet vor allem eins: Zeit. Digitale Ökosysteme und ihre Plattformansätze sind aber gerade deshalb so erfolgreich, weil sie ihre Leistungen weitgehend digital erbringen und so innerhalb sehr kurzer Zeit sehr schnell wachsen können.

        Zertifizierung von Anbietern

        Um mit dieser Geschwindigkeit  mithalten zu können, kommt für Plattformbetreiber nur ein Qualitätssicherungsansatz in Frage, der sich nicht auf einzelne Informationen konzentriert, sondern auf die Prüfung der Anbieter von Informationen. Zur Beurteilung könnten dabei strukturelle Aspekte (z. B. Expertise) und Kriterien der Prozessqualität (z. B. Einsatz bestimmter Methoden) herangezogen werden. Um ausreichend Sicherheit für die Nutzerinnen und Nutzer der Plattform zu schaffen, dürfte eine Selbstverpflichtung zur Qualitätssicherung jedoch nicht genügen. Stattdessen wäre eine externe Prüfung durch eine unabhängige Stelle im Sinne eines Zertifizierungsverfahrens erforderlich. Um dabei die Strukturen und Prozesse eines Anbieters belastbar erfassen zu können, bietet sich ein gestuftes, auditbasiertes Verfahren an.

        Über eine derart qualitätsorientierte Auswahl vertrauenswürdiger Informationsanbieter könnte das Risiko von Fehl- und Falschinformationen auf ein Minimum begrenzt werden. In Kombination mit anderen Instrumenten wie Nutzerrückmeldungen und digitalen Review-Verfahren ließe sich auch für die Informations- und Servicequalität der Plattform ein Vertrauensraum schaffen, der die Nutzerinnen und Nutzer bei der Suche nach vertrauenswürdigen Informationen unterstützt und spürbar entlastet.

        Vielseitige Einsatzmöglichkeiten

        Anbieter von Gesundheitsinformationen und Services könnten sich über eine Zertifizierung für die Teilnahme am digitalen Ökosystem der nationalen Gesundheitsplattform qualifizieren. Bei dieser Verwendung des Zertifikats im Sinne einer Zugangsvoraussetzung müsste es jedoch nicht bleiben: Ist eine Zertifizierung einmal erfolgt, ließe sich ein digitales Zertifikat für viele weitere Zwecke einsetzen.

        Betreiber großer Suchmaschinen könnten darüber erstmalig seriöse Anbieter erkennen und dieses neue Wissen in die Relevanzberechnungen der Trefferlisten einfließen lassen. Vertrauenswürdige Informationsanbieter könnten auf Plattformen und Suchmaschinen entsprechend gekennzeichnet werden, und Hintergrundinformationen zum Anbieter wären für Nutzerinnen und Nutzer einsehbar. So würden all jene Anbieter belohnt, die einen großen Aufwand betreiben, um die Qualität ihrer Angebote zu sichern.

        Natürlich gelten nicht für alle Informationstypen dieselben Regeln. So kann beispielsweise ein Erfahrungsbericht aus Patientensicht wertvolle Informationen transportieren, die eher psychosoziale Themen der Krankheitsbewältigung betreffen. Bei der Qualitätsbewertung solcher Angebote sind daher besondere Kriterien zu berücksichtigen. Ähnliches gilt für sozialrechtliche Informationen, die ganz andere Qualitätsanforderungen erfüllen müssen als medizinische Inhalte.

        Schließlich ist zu bedenken, dass neben den reinen Informationsangeboten auch digitale Dienste wie Online-Terminvereinbarungen, Datenbanken, Videosprechstunden oder Zweitmeinungsservices existieren, die wiederum einer gesonderten Betrachtung bedürfen. Mittel- bis langfristig kann und sollte das ursprüngliche Zertifikat für medizinische Patienteninformationen modular um zusätzliche Einsatzbereiche erweitert werden.

        Internationaler Ansatz

        Die Qualitätssicherung von Gesundheitsinformationen ist im digitalen Zeitalter eine Herausforderung, die sich nicht auf nationaler Ebene bewältigen lässt. Deshalb sind internationale Standards zu berücksichtigen und im Interesse der Interoperabilität strikt einzuhalten. Darüber hinaus sollte die Entwicklung neuer Qualitätsstandards in eine internationale Fachdiskussion eingebettet werden, um über nationale Grenzen hinaus Wirksamkeit zu entfalten.

        Bei der Suche nach einschlägigen Standards und Projekten sind wir auf eine Initiative der US-amerikanischen National Academy of Medicine (NAM) aufmerksam geworden: Diese hat im Jahr 2021 mit einer unabhängigen Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern grundlegende Prinzipien und Erkennungsmerkmale für glaubwürdige Quellen von Gesundheitsinformationen entwickelt und international publiziert. Das Ziel der Initiative bestand vor allem darin, sozialen Netzwerken und Plattformen Kriterien an die Hand zu geben, um Anbieter vertrauenswürdiger Gesundheitsinformationen zu erkennen.

        Die Prinzipien orientieren sich an Aspekten wie wissenschaftliche Fundierung, Objektivität, Transparenz oder Verantwortungsbewusstsein und liefern eine gute Basis für die Bewertung von Informationsanbietern. Um sie als Grundlage eines Zertifizierungsverfahrens heranziehen zu können, bedarf es jedoch einer weitergehenden Operationalisierung. Im Dialog mit internationalen Fachorganisationen und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Idee entstanden, die Prinzipien in ein konkretes Indikatorensystem zu überführen, das die Grundlage eines auditbasierten Zertifizierungsverfahrens für Anbieter von Gesundheitsinformationen liefern könnte. Die Idee folgt dabei einer klaren und keineswegs ungewöhnlichen Aufgabenteilung: Die Definition von Rahmenvorgaben und Standards wird auf internationaler Ebene konsentiert, während die eigentliche Zertifizierung durch nationale Institutionen oder Organisationen erfolgt.

        Arbeitsgruppe hat ihre Arbeit aufgenommen

        In der Vergangenheit haben sich bereits viele Initiativen formiert, die mit der Erfassung, Beschreibung und Entwicklung von Informationsqualität im Gesundheitswesen befasst sind und eine sehr gute Ausgangsbasis für die Entwicklung eines solchen Indikatorensets liefern. Der Unterschied zu diesen bestehenden Initiativen liegt in der klaren Fokussierung auf Anbieter, der internationalen Standardisierung und dem wachsenden Druck auf die großen Tech-Unternehmen beim Umgang mit Desinformation: Der geschilderte Ansatz eröffnet die große Chance, qualitativ hochwertige Informationen für Patientinnen und Patienten leichter zugänglich zu machen, gesunde Entscheidungen durch gute Informationen zu unterstützen und damit signifikant zur Förderung der Gesundheitskompetenz beizutragen.

        „Digitale Plattformen haben die einzigartige Kraft, den Zugang zu hochwertigen Gesundheitsinformationen weltweit zu ermöglichen.“

        Victor J. Dzau, NAM (2021)

        Im Jahr 2023 hat die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit dem Deutschen Netzwerk evidenzbasierte Medizin e. V. und dem Deutschen Netzwerk Gesundheitskompetenz e. V. eine internationale Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die die Aufgabenstellung im Rahmen eines wissenschaftlichen Diskussionsbeitrags präzisieren und erste Vorschläge für die Entwicklung eines Indikatorensystems erarbeiten wird. Mittelfristig soll mit InfoCure ein internationales Zertifizierungssystem für glaubwürdige Anbieter von Gesundheitsinformationen und -services entstehen, das zunächst in Deutschland implementiert und im nächsten Schritt international skaliert werden soll.

        Patientenbeauftragter übernimmt Schirmherrschaft

        Im Sommer 2024 hat der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze, die Schirmherrschaft für InfoCure übernommen. Schwartze bedankt sich ausdrücklich „für die Initiative und das Engagement, gute und gesicherte gesundheitliche Informationen besser auffindbar und individuell anwendbar zu machen.“ Er ist überzeugt, dass InfoCure „das Potential hat, Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu gewinnen und dabei hilft, Fehl- und Falschinformationen zu bekämpfen.“

        Der Patientenbeauftragte Stefan Schwartze unterstützt InfoCure.

        Literatur

        Burstin H, Curry S, Ranney M L, Arora V, Boxer Wachler B, Chou W-Y S, Correa R, Cryer D, Dizon D, Flores E, Harmon G, Jain A, Johnson K, Laine C, Leininger L, McMahon G, Michaelis L, Minhas R, Mularski R, Oldham J, Padman R, Pinnock C, Rivera J, Southwell B, Villarruel A, Wallace K (2023). Identifying Credible Sources of Health Information in Social Media: Phase 2—Considerations for Non-accredited Nonprofit Organizations, For-profit Entities, and Individual Sources. NAM Perspectives. Discussion Paper, National Academy of Medicine, Washington, DC. https://doi.org/10.31478/202305b

        Kington R, Arnesen S, Chou W-Y S, Curry S, Lazer D, Villarruel A (2021). Identifying Credible Sources of Health Information in Social Media: Principles and Attributes. NAM Perspectives. Discussion Paper, National Academy of Medicine, Washington, DC. https://doi.org/10.31478/202107a

        Schaeffer D, Berens E-M, Gille S, Griese L, Klinger J, de Sombre S, Vogt D, Hurrelmann K (2021). Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland – vor und während der Corona Pandemie: Ergebnisse des HLS-GER 2. Interdisziplinäres Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung (IZGK), Universität Bielefeld. Bielefeld. DOI: https://doi.org/10.4119/unibi/2950305

        WHO (2021). WHO online consultation meeting to discuss global principles for identifying credible sources of health information on social media. Meeting Summary. Abrufbar unter: Summary-Global principles for identifying credible sources of health information on social media (who.int) (Zugriff am 25.07.2023).

        WHO (2022). WHO and NAM encourage digital platforms to apply global principles for identifying credible sources of health information. WHO Departmental News, 24. Februar 2022. Abrufbar unter: WHO and NAM encourage digital platforms to apply global principles for identifying credible sources of health information (Zugriff am 25.07.2023).

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          Ökosystemdesign: Nutzen für alle

          Dr. Matthias Naab
          Dr. Marcus Trapp

          Um sich erfolgreich auf dem Markt behaupten zu können, sollten Betreiber digitaler Plattformen die Interessen aller am Ökosystem beteiligten Akteure im Auge behalten. Nur wenn es gelingt, für alle Seiten Nutzen zu stiften und Vorteile zu erzeugen, können sich Netzwerk- und Skalierungseffekte entfalten. Das gilt auch für eine nationale Gesundheitsplattform, die keinen Gewinn zu erzielen beabsichtigt.

          Erfolgreiche Systeme zeichnen sich durch eine optimal gestaltete User Journey bzw. Customer Journey aus. Das bedeutet, dass jeder Kontakt, den Nutzerinnen und Nutzer mit dem System haben, explizit so gestaltet wird, dass deren Bedürfnisse am jeweiligen Kontaktpunkt möglichst optimal erfüllt werden. Erfolgreiche Anbieter gehen somit bei der Entwicklung eines neuen Systems oder Services in erster Linie nutzer- bzw. kundenorientiert vor.

          Bei der Betrachtung neuer, digitaler Geschäftsmodelle, die nach plattformökonomischen Prinzipien funktionieren, fällt es nicht immer leicht, „den Kunden“ im digitalen Ökosystem zu bestimmen. Digitale Ökosysteme wie etwa Airbnb, Uber oder Schüttflix bieten virtuelle Marktplätze, auf denen sogenannte „Assets“ (Übernachtungen, Transporte, Schüttgut) von Ökosystem-Betreibern vermittelt bzw. gebrokert werden. Es handelt sich hier somit in der Regel um mehrseitige Marktplätze, meistens mit zwei, selten mit drei oder noch mehr Seiten.

          Es gibt immer Ökosystem-Partner, die Produkte und Leistungen (Assets) im digitalen Ökosystem anbieten (Provider), und es gibt andere, die Assets im digitalen Ökosystem konsumieren (Consumer). So vermittelt Airbnb (Broker) Übernachtungsmöglichkeiten (Assets) von privaten Gastgeberinnen und Gastgebern (Provider) an Reisende (Consumer), und Uber (Broker) vermittelt Transporte (Assets) von privaten Fahrerinnen und Fahrern (Provider) an Fahrgäste (Consumer). Nach dem gleichen Prinzip soll auch die nationale Gesundheitsplattform digitale Informationen und Dienste von Anbietern an Patientinnen und Patienten vermitteln.

          Für Gestalter von Ökosystemen hat diese Situation der mehrseitigen Marktplätze und der Diversität der Beteiligten allerdings weitreichende Auswirkungen: Es besteht die Gefahr der reflexartigen Fokussierung auf die Consumer-Journey. Ökosystem-Gestalter sollten den Providern jedoch ebenso viel Aufmerksamkeit schenken und auch deren Bedürfnisse stets berücksichtigen. Denn durch eine große Zahl von Providern wird ein digitales Ökosystem für Consumer erst interessant – umgekehrt steigt die Attraktivität des Ökosystems für Provider mit steigender Zahl der Consumer.

          Alle Interessen im Blick

          Im Zentrum der hier vorgestellten Vision einer nationalen Gesundheitsplattform stehen die Patientinnen und Patienten, und folglich ist der patientenseitige Nutzen ebenso zentral: Über die Selektion und Bündelung von Informations- und Serviceangeboten soll die nationale Gesundheitsplattform die Gesundheitskompetenz fördern, den Umgang mit Informationen erleichtern sowie Patientinnen und Patienten dabei unterstützen, sich aktiv in das Behandlungsgeschehen einzubringen.

          Dieser Nutzen ist jedoch nur zu realisieren, wenn sich auch die Anbieter gesundheitsrelevanter Informationen und digitaler Dienstleistungen aktiv in das Ökosystem einbringen. Ökosystem-Betreiber sollten daher eine möglichst optimale und nutzenbringende Provider-Journey gestalten, um alle Partner gleichermaßen anzusprechen und Anreize für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Ökosystems zu schaffen.

          Freiwilligkeit statt Zwang

          Vorteile für alle Beteiligten sind deshalb so wichtig, weil die Teilnahme an einem Ökosystem freiwillig ist und niemand dazu gezwungen werden kann. Selbst wenn es in Einzelfällen möglich wäre, eine Teilnahme beispielsweise von staatlicher Seite zu erzwingen, zeigt die langjährige Erfahrung, dass dieser Weg in der Regel nicht zielführend ist. Die zur Teilnahme Gezwungenen finden dann oft Mittel und Wege, um Abläufe zu verzögern oder auf andere Weise zu behindern. Ziehen jedoch alle Beteiligten einen Vorteil aus ihrer Teilnahme, führt dies meistens auch zu guten Ergebnissen.

          Die Vorteile müssen sich nicht zwangsläufig monetär abbilden. Ein Zugang zu einem größeren Markt, erhöhte Sichtbarkeit des eigenen Angebots oder der Zugriff auf Daten oder Analysen können manchmal sogar mehr wert für die Beteiligten sein als kurzfristige finanzielle Gewinne. Im Optimalfall führen Vorteile für andere Beteiligte sogar zu weiteren Vorteilen für Patientinnen und Patienten. So können zum Beispiel Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen signifikant vom Zugriff auf Kontextinformationen profitieren und so ihre Leistungen noch besser auf die Bedürfnisse der Zielgruppen zuschneiden.

          Ganzheitliche Gestaltung digitaler Ökosysteme

          Neue digitale Ökosysteme bieten in der Regel keine Leistung an, die es so ähnlich nicht schon gibt oder gegeben hat. Doch sie bieten über ihren digitalen Ökosystem-Service eine Leistung an, die in vielerlei Hinsicht so viel besser ist, dass oft eine ganze Branche damit grundlegend verändert wird. Diese Verbesserung wird meist durch die geschickte Ausnutzung digitaler Möglichkeiten erreicht, wie sie in der jeweiligen Branche zuvor nicht genutzt wurden.

          Auch vor dem Launch von Airbnb wurden schon Übernachtungsmöglichkeiten digital vermittelt, und vor dem Markteintritt von Uber wurden auch bereits Personentransporte vermittelt. Aber beide bieten ihren Teilnehmerinnen und Teilnehmern so viele Vorteile und Mehrwerte, dass sie ihren Markt signifikant prägen und verändern konnten.

          Die Kunst bei der Etablierung eines digitalen Ökosystems besteht in einer ganzheitlichen Gestaltung, die den Interessen aller Beteiligten gerecht wird. Da man meistens in etablierte Märkte der jeweiligen Geschäftsdomänen eintritt, ist genau zu überlegen, welche Vorteile sich für alle Beteiligten schaffen lassen, sodass diese hinreichend motiviert sind, am Ökosystem teilzunehmen. Bei der Gestaltung einer nationalen Gesundheitsplattform erscheint dies angesichts des teilregulierten Gesundheitsmarktes mit vielen starken und etablierten Akteuren besonders wichtig.

          Das neue Ökosystem würde Strukturen und Prozesse im Gesundheitswesen verändern. Klar ist, dass jede Veränderung nicht nur Vorteile für die Beteiligten bringt. Allein diesen Umstand nehmen manche Markbeteiligten schon als Nachteil wahr. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die Trägerorganisation ihre Machtstellung nutzt, um von den Vorteilen der Plattform allein zu profitieren. Dies würde die Motivation aller anderen Akteure schwächen und so den Erfolg der Plattform gefährden.

          Ökosystem-Gestaltung in der Praxis

          Die Entwicklung der hier vorgestellten Vision eines digitalen Ökosystems war in einen methodischen Rahmen eingebettet, der eine ganzheitliche Gestaltung gewährleistet und die Interessen und Bedürfnisse aller Beteiligten im Auge behält. Um eine Übersicht über den Status quo zu erhalten, wurden zunächst die für das Ökosystem relevanten Akteure zusammengetragen und priorisiert. Anschließend wurden anonyme Interviews mit Repräsentantinnen und Repräsentanten dieser Akteure geführt, Veröffentlichungen und Analysen gesichtet und Experteneinschätzungen eingeholt, um die Bedürfnis- und Problemlagen der einzelnen Akteure besser kennenzulernen.

          Um sicherzustellen, dass das hier skizzierte Ökosystem genügend Nutzen für mögliche Beteiligte erzeugt, um diese zu einer aktiven Teilnahme zu motivieren, wurde eine Motivation Matrix erstellt (Nass, Trapp, Villela 2018). Hierfür wurde zunächst untersucht, welche Vorteile jeder einzelne Akteur von der Einführung der nationalen Gesundheitsplattform hätte, was er beitragen bzw. welche Rolle er im Ökosystem übernehmen könnte. Neben Vorteilen und Anreizen wurden auch mögliche Nachteile diskutiert, die einzelne Akteure durch das Ökosystem mit seiner Plattform erfahren oder zumindest befürchten könnten.

          Wie erwähnt, geht es bei der Nutzenanalyse nicht nur um monetäre Vorteile, denn Nutzen kann vielfältig ausgeprägt sein. Mithilfe der Motivation Matrix ließ sich im Verlauf der Konzeptentwicklung überprüfen, inwiefern die antizipierten Erwartungen der Akteure bezüglich einer Teilnahme am Ökosystem erfüllt werden können. Wurden Erwartungen wichtiger Akteure nicht erfüllt, wurde das Ökosystem in einem iterativen Prozess entsprechend umgestaltet. Im Ergebnis ist ein Nutzenmodell für die hier entworfene nationale Gesundheitsplattform entstanden, das vor allem eins deutlich macht: Auch in dem von Instanzenvielfalt, Diversität und Partikularinteressen geprägten Gesundheitssystem lässt sich eine Vision schaffen, die für alle Beteiligten einen Mehrwert stiftet, spürbar Nutzen erzeugt und Wohlfahrtseffekte freisetzt.

          Tangible Ecosystem Design (TED) Methode

          Digitale Ökosysteme sind ungleich komplexer als Softwaresysteme, die unter der alleinigen Kontrolle eines einzelnen Unternehmens stehen. Die technologischen (Technology), geschäftlichen (Business) und rechtlichen (Legal) Auswirkungen sind erheblich schwerer zu verstehen, wenn Produkte und Dienstleistungen unternehmens- und branchenübergreifend gestaltet werden sollen.

          Eine große Anzahl und verschiedenste Rollentypen führen zu unübersichtlichen Beziehungen, und die Auswirkungen selbst kleinster Veränderungen auf das gesamte Ökosystem sind schwierig einzuschätzen. Das macht es gerade in der Gestaltungsphase sehr herausfordernd, den Überblick (das „Big Picture“) über das Ökosystem zu erlangen. Das Big Picture ist jedoch das wichtigste Kommunikationsmittel, um mit möglichen Beteiligten über unterschiedlichste Aspekte (Business, Technology, Legal) sprechen zu können und schnell zu einem gemeinsamen Verständnis zu kommen.

          Die Methode „Tangible Ecosystem Design“ nimmt sich genau dieser Herausforderungen an. Die Methode fördert die Zusammenarbeit bei der Definition, Gestaltung und Analyse eines digitalen Ökosystems – und das mithilfe von Playmobil®-Spielzeug, wodurch die Konzeption für die Teilnehmenden konkretisiert wird. Diese können in Workshops mit Playmobil und geeigneten Templates ein digitales Ökosystem modellieren und es damit im wahrsten Sinne des Wortes „greifbar“ machen.

          Literatur

          Nass, C, Trapp, M, Villela, K (2018). Tangible design for software ecosystem with Playmobil®. NordiCHI ’18: Proceedings of the 10th Nordic Conference on Human-Computer Interaction. September 2018. 856–861.

          Koch, M, Krohmer, D, Naab, M, Rost, D, Trapp, M (2022). A matter of definition: Criteria for digital ecosystems. Digital Business 2, 100027.

          Autoren

          Dr. Matthias Naab und Dr. Marcus Trapp sind Co-Founder von Full Flamingo. Sie helfen Unternehmen pragmatisch, die wichtigen Entscheidungen in der digitalen Transformation abzusichern. Sie waren bis 2022 am Fraunhofer IESE als Führungskräfte tätig und haben das Thema „Digitale Ökosysteme und Plattformökonomie“ mit aufgebaut und verantwortet.

           

           

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            Redaktionelle Erstellung vs. Brokering: Woher kommen die Inhalte?

            Prof. Dr. Laura Schulte

            Die im Projekt „Trusted Health Ecosystems“ skizzierte Vision einer nationalen Gesundheitsplattform wirft die Frage nach der Herkunft der dort angebotenen Inhalte und Dienste auf. Ein bedarfsgerechtes Angebot stellt hohe Anforderungen an die Vielfalt und den Umfang der Informationen und Dienste, denen ein Anbieter allein kaum gerecht werden kann. Die Inhalte müssen jedoch nicht zwangsläufig vom Plattformbetreiber selbst bereitgestellt werden. Die folgenden Überlegungen gehen der Frage nach, ob der Plattformbetreiber eigene Informationen erstellen oder sich eher auf die Vermittlung von Fremdinformationen beschränken sollte.

            Herausforderung

            Mit der Verbreitung von Informationen gehen bestimmte rechtliche Anforderungen einher, die sich ganz grundsätzlich danach unterscheiden, wem die Inhalte zuzuordnen sind. Die Frage der Zuordnung beurteilt sich im Wesentlichen danach, welcher Eindruck hinsichtlich der Urheberschaft bzw. der Verantwortung für Inhalte bei den Nutzerinnen und Nutzern eines Informationsangebots erweckt wird. Die in diesem Kontext relevanten rechtlichen Anforderungen können von präventiven Prüfpflichten hinsichtlich der Richtigkeit der Inhalte, der Erlaubniseinholung bei fremden Inhalten, der Anbieterkennzeichnungspflichten bis hin zur Löschung von rechtswidrigen Inhalten reichen.

            Für die Mehrheit aller Informationsangebote wird davon ausgegangen, dass bei Bereitstellung fremder Informationen eine Prüfpflicht hinsichtlich deren Richtigkeit und Rechtmäßigkeit im Vorfeld nicht besteht, dann aber bei Hinweisen auf mögliche Rechtsverletzungen eine Prüfpflicht ausgelöst wird. Anders ist die Situation zu bewerten, wenn der Anbieter sich fremde Inhalte zu eigen macht. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der Eindruck erweckt wird, der Anbieter habe die Informationen selbst überprüft oder sehe sie selbst auf anderer Grundlage als richtig an.

            Neben diesen haftungsrechtlichen Überlegungen hat die Abwägung zwischen der Erstellung eigener Informationen und dem Rückgriff auf die Informations- und Serviceangebote Dritter auch Implikationen für die rechtssichere Positionierung der angedachten nationalen Gesundheitsplattform. So ist zu bedenken, dass die Entscheidung für die Erstellung eigener Inhalte durch einen überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanzierten Betreiber Auswirkungen auf die Handlungsspielräume privatwirtschaftlicher Akteure haben und die am Markt tätigen Unternehmen benachteiligen könnte. Staatliches Informationshandeln steht immer unter der einschränkenden Voraussetzung, dass – neben weiteren Bedingungen – insoweit eine staatliche Aufgabe erfüllt werden muss (s. a. Staatliches Informationshandeln).

            Die Verteilung von qualitätsgeprüften, gesundheitsrelevanten Informationen liegt zwar im Interesse gesundheitlicher Aufklärung und damit auch im Interesse staatlicher Gesundheitspolitik. Ein allgemeiner staatlicher Auftrag bzw. eine gesetzliche oder gar verfassungsrechtliche Aufgabenzuweisung, aus der sich explizit der Betrieb einer nationalen Drehscheibe für Informationen ergibt, besteht allerdings (noch) nicht.

            Hintergrund

            Unabhängig von einer urheberrechtlichen Zuordnung von Informationen stellt sich zunächst die Frage, wer im Außenverhältnis als verantwortlicher Anbieter eines Informationsangebots anzusehen ist. Dies kann auch eine juristische Person sein, die sich die Informationen beschafft hat, beispielsweise über eine Lizenzvereinbarung oder eine sonstige Bereitstellung durch Dritte.

            Rechtlich sind online verfügbare Informationsangebote als Telemediendienste zu qualifizieren und fallen damit unter die Regulierung nach dem Telemediengesetz (TMG). Für alle Telemedien ist vorgegeben, dass ein Anbieter im Rahmen der Impressumspflicht gem. § 5 TMG zu benennen ist. Soweit ein Telemediendienst darüber hinaus journalistische oder redaktionelle Inhalte bereitstellt, muss zugleich auch eine rechtlich für den Inhalt – im Gegensatz zu der Informationsplattform an sich – verantwortliche Person benannt werden.

            Diese Transparenzpflichten dienen dazu, im Falle rechtlicher Auseinandersetzungen eine Einrichtung bzw. eine Person zu nennen, gegenüber der die Ansprüche geltend gemacht werden können. Die Anbietereigenschaft besagt dabei aber nicht zwingend, dass alle Informationen oder sonstigen Inhalte wirklich von diesem Anbieter stammen müssen. Sie ist zunächst nur eine formale Zuordnung, damit für jedes Telemedienangebot immer eine klare Festlegung der Verantwortlichkeit erfolgt. Es ist also zu differenzieren nach der Verantwortung für eine technische Plattform einerseits und die auf der Plattform verbreiteten Inhalte andererseits. Zwar kann für beides ein und dieselbe Stelle im rechtlichen Sinne verantwortlich sein, doch dies muss nicht zwingend der Fall sein.

            Anbieter im Sinne des Telemediengesetzes können damit auch solche Einrichtungen bzw. Personen sein, die selbst keinen inhaltlichen Einfluss auf die Informationen genommen haben und diese nur als fremde Informationen bereitstellen. Der Anbieter ist also erster Ansprechpartner für eigene und für fremde Inhalte, allerdings ergeben sich im Weiteren Unterschiede bei der Verantwortlichkeit, etwa der Geltendmachung von Beseitigungs- und/oder Schadensersatzansprüchen im Falle der Veröffentlichung rechtswidriger oder falscher Inhalte.

            Im Grundsatz muss primär die Stelle, von der die Inhalte stammen, Verantwortung für diese übernehmen, etwa der Autor oder die Autorin eines Textes bzw. die Stelle, die eine Studie oder Grafik entwickelt und verbreitet. Der Betreiber eines Informationsangebots muss aus juristischer Perspektive selbst unmittelbar keine Verantwortung für fremde Inhalte übernehmen. Vielmehr findet im ersten Schritt lediglich eine Haftung für eigene, aber nicht für fremde Inhalte statt.

            In rechtlicher Hinsicht kommt es für die Abgrenzung von eigenen und fremden Inhalten darauf an, von wem die Inhalte jeweils erkennbar stammen. Hierbei ist allerdings nicht die Urheberschaft relevant; maßgeblich ist vielmehr die Wahrnehmung der Nutzerinnen und Nutzer. Folgt keine oder keine eindeutige Abgrenzung bei einem Informationsangebot, geht der Nutzer im Regelfall davon aus, dass alle Informationen entweder von dem Anbieter der Plattform stammen oder der Anbieter sich zumindest fremde Inhalte zu eigen macht.

            Nur wenn für Nutzer erkennbar ist, dass die abrufbaren Inhalte nicht von dem Anbieter stammen und dieser sich auch nicht mit den Inhalten in dem Sinne identifiziert, dass er erkennbar Verantwortung für diese übernehmen möchte, handelt es sich um fremde Angebote. Ein Verweis auf die Fremdheit ist dabei etwa in der Form möglich, dass für die einzelnen Inhalte transparent auf einen anderen Ansprechpartner oder eine externe Quelle verwiesen wird.

            Bisherige Erfahrungen zeigen, dass privat- bzw. zivilgesellschaftliche Akteure durchaus in der Lage sind, entsprechende Informationen selbst zu generieren und zu verteilen. Vor diesem Hintergrund erscheint es empfehlenswert, im Rahmen der nationalen Gesundheitsplattform unter Berücksichtigung sowohl staatlicher wie auch privatwirtschaftlicher bzw. zivilgesellschaftlicher Potenziale gesundheitsrelevante Informationen, die grundsätzlich von Fremdanbietern bereitgestellt werden, einer möglichst breiten Öffentlichkeit niederschwellig zugänglich zu machen. Im Ergebnis sollten von dem Betreiber der Plattform keine eigenen Inhalte erstellt und verteilt werden.

            „Die nationale Gesundheitsplattform sollte sich auf die Bündelung und Komposition von Fremdinhalten beschränken.“

            Prof. Dr. Laura Schulte

            Unter praktischen Gesichtspunkten ist zu überlegen, wie Dritte motiviert werden können, ihre Inhalte der Plattform zur weiteren Verteilung zur Verfügung zu stellen. Es ist davon auszugehen, dass die Bereitstellung von Informationen durch Dritte für diese vor allem dann attraktiv ist, wenn ein hochwertiges Umfeld geboten wird und die Zulieferer von Informationen als Quelle angegeben werden.

            Wichtig erscheint zudem eine klare Definition von Vorgaben, welche Inhalte aufgenommen werden und wie mit diesen generell verfahren wird, etwa wie die Darstellung der Informationen erfolgen soll und in welchen Abständen diese ggf. zu aktualisieren sind. In einem solchen Umfeld ist es dann auch denkbar, dass mehrere gleichwertige Angebote bzw. Informationen angeboten werden, um den Nutzerinnen und Nutzern eine möglichst umfangreiche und neutrale Auswahl zu bieten.

            Fazit

            Unabhängig von den rechtlichen Aspekten ist es vor allem eine strategische Entscheidung, ob Informationen als eigene Informationen übernommen und angeboten werden sollen. Die Bereitstellung eigener Informationen ist in der Regel mit größerem Aufwand verbunden, sei es für die Erstellung entsprechender Inhalte oder deren Beschaffung. Bei Fremdinhalten ist der Aufwand geringer, dafür entsteht ein Koordinierungs- und Abstimmungsaufwand. Hier muss außerdem sichergestellt werden, dass das gewünschte Qualitätsniveau erreicht wird.

            Im Hinblick auf wettbewerbsrechtliche Aspekte wäre ein marktoffenes Angebot von Fremdinhalten gegenüber dem Zu-eigen-Machen oder der Erstellung eigener Inhalte vorzuziehen, um einen möglichen Eingriff in die Grundrechte von Informationsanbietern zu vermeiden (vgl. Staatliches Informationshandeln). Die nationale Gesundheitsplattform sollte sich insofern auf die Bündelung und Komposition von Fremdinhalten beschränken und von einer routinemäßigen Prüfung einzelner Inhalte ebenso absehen wie von einer inhaltlich-redaktionellen Bearbeitung sowie der Einräumung umfassender Nutzungs- und Verwertungsrechte zugunsten des Plattformbetreibers.

            Tatsacheninformation oder Werturteil?

            Die Verantwortlichkeit für redaktionelle Inhalte hängt unter anderem von deren Einordnung als Tatsacheninformation oder Werturteil ab – wobei beide Kategorien für die nationale Gesundheitsplattform grundsätzlich denkbar sind. Eine Tatsacheninformation ist objektiv richtig oder falsch, daher trägt der Anbieter das Risiko der Verbreitung von Informationen, die sachlich unrichtig sind. An der Verbreitung falscher Informationen besteht kein schutzwürdiges Interesse, sodass diese spätestens nach Beanstandung immer zu löschen bzw. zu korrigieren sind. Bei Werturteilen scheidet eine objektive Bewertung aus: Eine Meinung kann zwar mehr oder weniger gut nachvollziehbar sein, aber nicht in Dimensionen wie „wahr“ oder „falsch“ bewertet werden. Vor diesem Hintergrund gibt es einen größeren Ermessensspielraum des Anbieters einer Informationsplattform.

            Schwierig wird die Abgrenzung bei Mischformen, insbesondere bei Meinungsäußerungen mit Tatsachenkern. In dieser Gestaltung liegt an sich eine Meinung vor, die aber auf einer überprüfbaren Tatsachengrundlage basiert. Stellt sich die Tatsachengrundlage als falsch heraus, wirkt sich dies auch auf das abgeleitete Werturteil ab. Jeder Anbieter von Informationsangeboten muss daher sorgsam überwachen, welche Arten von Informationen über seine Plattform veröffentlicht werden und wie diese geprüft werden müssen bzw. was bei Beanstandungen zu veranlassen ist (Hofmann, 2022: 780ff.)).

            Bei der Bereitstellung von Informationen für die Öffentlichkeit besteht generell das Risiko, dass einzelne Informationen sich später als falsch bzw. irreführend herausstellen. Diese Situation kann sich sowohl bei solchen Informationen ergeben, die selbst erarbeitet wurden, als auch bei Informationen, die von dritter Seite stammen und von dem Anbieter übernommen wurden. Sowohl für eigene als auch für fremde Angebote lassen sich Vorkehrungen treffen, um das verbleibende Restrisiko zu reduzieren und möglichst beherrschbar zu gestalten.

            (Beitrag veröffentlicht am 27.09.2023. Die hier getroffenen Aussagen beziehen sich ausschließlich auf die Rechtslage in Deutschland. Sie stellen einen Leitfaden und keine individuelle Rechtsberatung dar, die über das Projekt “Trusted Health Ecosystems” hinausgeht.)

            Literatur

            Hofmann F (2022). Lauterkeitsrechtliche Haftung von Online-Plattformen. Die neuen Transparenzvorgaben im UWG 2022 im Kontext lauterkeitsrechtlicher Plattformregulierung. in: GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 124. Jahrgang, 2. Juni 2022 (11/2022), S. 780 ff.

            Autorin

            Laura Schulte arbeitete während ihrer Promotion an einem Lehrstuhl für Verfassungsrecht als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Sie promovierte zu einem datenschutzrechtlichen Thema und forschte hierzu unter anderem auch an der Queen Mary School of Law in London. Von 2020 bis 2023 war sie als Rechtsanwältin in der Kanzlei BRANDI-Rechtsanwälte am Standort Bielefeld und dort im Fachbereich IT- und Datenschutzrecht tätig. Seit August 2023 ist sie Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Bielefeld.

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              Trägerschaft: Staatlich oder privat organisiert?

              Prof. Dr. Laura Schulte

              Für eine nationale Gesundheitsplattform ist es essenziell, eine rechtliche Struktur zu finden, die den daran geknüpften Anforderungen gerecht wird und die Zwecke des umgebenden Ökosystems bestmöglich unterstützt. Hinsichtlich der Trägerschaft des Ökosystems stehen grundsätzlich unterschiedliche Optionen zur Verfügung, die wiederum verschiedene Vor- und Nachteile bergen. So stellt sich zunächst die Frage, ob es sich beim Plattformbetreiber um eine staatliche Institution oder einen privatwirtschaftlichen Akteur handeln sollte. 

              Herausforderung

              Die Aufgaben und Angebote einer nationalen Gesundheitsplattform sind vielgestaltig angelegt und das dahinterstehende Ökosystem soll künftig in der Lage sein, derzeit noch nicht identifizierte Aufgaben flexibel zu adressieren. Daher stellt die Beantwortung der Frage nach der optimalen rechtlichen Organisationsform für das Ökosystem eine komplexe Herausforderung dar. Folgende Aspekte sind dabei zu berücksichtigen:

              Anforderungen

              Gemeinwohlorientiertheit

              Das Ökosystem soll grundsätzlich nicht gewinnwirtschaftlich, sondern gemeinnützig orientiert sein. Etwaige Einnahmen, die im Rahmen des Ökosystems erwirtschaftet werden, sollen zu dessen Aus- bzw. Aufbau genutzt werden.

              Flexibilität

              Das Ökosystem soll in der Lage sein, derzeit noch nicht definierte Aufgaben wahrnehmen zu können, und sollte daher entwicklungsoffen sein. Außerdem sollen sowohl staatliche als auch nicht staatliche Stellen im Ökosystem zusammenwirken können.

               

              Transparenz

              Vor allem soweit das Ökosystem einen gesetzlichen bzw. öffentlichen Auftrag erfüllt, müssen seine Handlungen und Entscheidungen sowie seine Finanzierung für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sein

              Hinsichtlich der passenden Organisationsform für das Ökosystem lassen sich unter Berücksichtigung der genannten Zielsetzungen mindestens zwei zentrale Fragen stellen:

              1. Soll für das Ökosystem auf eine bereits vorhandene rechtliche Struktur zurückgegriffen oder sollte eine völlig neue rechtliche Struktur geschaffen werden?
              2. Soll die rechtliche Struktur des Ökosystems öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich geprägt sein?

              Prinzipiell besteht zwar die Möglichkeit, eine bereits existierende rechtliche Struktur für den Aufbau und den Betrieb sowie die Weiterentwicklung des Ökosystems zu nutzen. Aufgrund des innovativen Charakters und der vielgestaltigen Funktionen, die das Ökosystem künftig abbilden soll, bietet es sich jedoch eher an, eine bzw. mehrere völlig neue rechtliche Strukturen zu schaffen.

              Grundsätzlich kommen hierfür sowohl privatrechtliche als auch öffentlich-rechtliche Rechtsformen in Betracht. Öffentlich-rechtliche Rechtsformen, wie z. B. die Anstalt des Öffentlichen Rechts, sind zwar einerseits in bestimmter Weise privilegiert, etwa was ihre Finanzierung betrifft, andererseits unterliegen sie – etwa hinsichtlich der Transparenz ihrer Entscheidungsfindung – partiell strengeren rechtlichen Verpflichtungen als Unternehmen mit privatrechtlichen Rechtsformen. Auch die Integration privater Akteure ist in öffentlich-rechtlich geprägten Strukturen nur ausnahmsweise möglich, und damit ist das Ziel eines möglichst inklusiven Ökosystems ggf. schwieriger umsetzbar. Bei Einrichtungen mit einer öffentlich-rechtlichen Rechtsform steht in der Regel die Verwirklichung eines öffentlichen und ggf. sogar eines gemeinwohlorientierten Zwecks im Fokus – im Gegensatz zu primären gewinnwirtschaftlich orientierten Unternehmungen.

              Ganz grundsätzlich lässt sich bei den zur Verfügung stehenden Rechtsformen – losgelöst von der Frage, ob die Struktur des Ökosystems privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich geprägt sein soll – zwischen solchen mit und solchen ohne eigener Rechtspersönlichkeit unterscheiden. Zu den Rechtsformen ohne eigene Rechtspersönlichkeit zählen etwa Personengesellschaften sowie sog. Regiebetriebe der öffentlichen Verwaltung. Aufgrund des Aufgabenzuschnitts ist die Möglichkeit, selbstständig rechtlich relevante Handlungen vorzunehmen, etwa Verträge mit Dienstleistern abzuschließen, derart wichtig, dass unselbstständige Rechtsformen von vornherein für das Ökosystem ausscheiden dürften. Körperschaften sind demgegenüber selbstständige juristische Personen und können entsprechend selbst Trägerinnen von Rechten und Pflichten sein. Diese sog. Rechtsfähigkeit dürfte für das Ökosystem zur unabdingbaren Voraussetzung gehören.

              Hintergrund

              Ganz grundsätzlich lassen sich zwei Formen rechtlicher Zusammenschlüsse unterscheiden: einerseits Personengesellschaften – z. B. die Gesellschaft bürgerlichen Rechts – und andererseits Körperschaften – z. B. der rechtsfähige Verein, die Aktiengesellschaft oder die Gesellschaften mit beschränkter Haftung.

              Personengesellschaften sind regelmäßig nicht in vollem Umfang rechtsfähig, können also nur eingeschränkt Rechte und Pflichten erwerben und ausüben. Außerdem sind sie im Kern auf die hinter der jeweiligen Gesellschaft stehenden natürlichen Personen ausgerichtet. Letzteres erschwert tendenziell den Ein- und Austritt von Akteuren. Angesichts der übergeordneten Zielrichtung der nationalen Gesundheitsplattform kann davon ausgegangen werden, dass Personengesellschaften als Organisationsform grundsätzlich nicht geeignet sind.

              Körperschaften sind auf Dauer angelegte Zusammenschlüsse von Personen zur Erreichung eines überindividuellen Zwecks. Diese sind – im Gegensatz zu Personengesellschaften – in ihrem Bestand unabhängig vom Wechsel einzelner Mitglieder. Die meisten Körperschaften sind juristische Personen, dies bedeutet, sie können selbst Trägerinnen von Rechten und Pflichten sein, also beispielsweise Verträge abschließen. Körperschaften existieren sowohl auf privatrechtlicher als auch auf öffentlich-rechtlicher Grundlage.

              Körperschaften des öffentlichen Rechts sind durch staatliche Hoheitsakte geschaffene Vereinigungen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Träger der Körperschaften sind deren Mitglieder, die wesentlichen Einfluss auf die Willensbildung haben. Die Mitgliedschaft kann freiwillig begründet, teilweise aber auch gesetzlich verpflichtend sein.

              Die Organisationsformen des öffentlichen Rechts stehen allerdings nicht allen Menschen zur Verfügung – sie dienen vielmehr exklusiv der Erfüllung öffentlicher Aufgaben bzw. gesetzlicher Aufträge. Entsprechend verfügen Körperschaften des öffentlichen Rechts über gewisse Sonderbefugnisse und Privilegien; insbesondere können sie im Rahmen ihres jeweiligen gesetzlichen Auftrags selbst öffentliche Gewalt ausüben.

              Die Kehrseite dieser Privilegierung ist in praktischer Hinsicht ein relativ geringes Maß an Flexibilität. Als staatliche bzw. staatsnahe Einrichtungen besteht etwa eine unmittelbare Bindung an Grundrechte. Körperschaften des öffentlichen Rechts haben regelmäßig eine gesetzliche Grundlage. Änderungen in ihrer Ausrichtung bzw. in ihren Kompetenzen und Aufgaben bedürfen entsprechend ggf. einer Anpassung ihrer gesetzlichen Grundlage.

              Anstalten des öffentlichen Rechts stellen Zusammenfassungen sachlicher (z. B. Gebäude, Ausstattung) und persönlicher Mittel (Personal) dar, mit dem Zweck, eine öffentliche Einrichtung zu betreiben. Sie sind juristische Personen, denen Aufgaben per Gesetz oder Satzung zugewiesen wurden und die mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben betraut sind. In der Regel werden die Anstalten bzw. deren Leistungen den Bürgerinnen und Bürgern zur Benutzung zur Verfügung gestellt. Beispiele für Anstalten des öffentlichen Rechts sind öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, Universitäten und Sparkassen. Anstalten des öffentlichen Rechts besitzen eine eigene Rechtspersönlichkeit, welche ihnen eine unabhängige Erfüllung ihrer Tätigkeiten ermöglicht.

              Stiftungen können sowohl privatrechtlich als auch öffentlich-rechtlich organisiert sein. Insgesamt ermöglichen sie eine Verwaltung von Vermögen zugunsten bestimmter Zwecke. Öffentlich-rechtliche Stiftungen werden in der Regel vom Staat durch Gesetz oder Rechtsverordnung errichtet. Dies macht ihre Entstehung und anschließende Entwicklung verhältnismäßig bürokratisch. Auch die Integration privatwirtschaftlicher Akteure ist relativ schwierig. Diese können zwar durch eine Stiftung finanziert, aber nur bedingt in deren Entscheidungsprozesse integriert werden. Eine öffentlich-rechtliche Stiftung ist in finanzieller Hinsicht von öffentlichen Haushalten bzw. Zuwendungen abhängig. Dies bedeutet praktisch, dass eine dauerhafte Finanzierung und damit Arbeit einer öffentlich-rechtlichen Stiftung nur schwer gesichert werden kann und sich im Ergebnis an der jeweiligen Haushaltslage orientieren dürfte.

              „Eine juristische Person des Privatrechts bietet für die Betreiberrolle Flexibilität und ermöglicht das Zusammenwirken privater und staatlicher Akteure.“

              Prof. Dr. Laura Schulte

              Öffentlich-rechtliche Organisationsformen sind damit im Ergebnis oft wenig wandlungsfähig und kommen daher als Betreiber einer nationalen Gesundheitsplattform nur bedingt in Frage. Ihre Grundlage findet sich regelmäßig in einem Gesetz, sodass ein Aufgaben- bzw. Kompetenzzuwachs ggf. mit einer (zeitaufwendigen) Gesetzesänderung verbunden sein dürfte. Weiterhin sind sämtliche öffentlich-rechtlichen Organisationsformen unmittelbar an Grundrechte gebunden.

              Aus der Grundrechtsbindung lassen sich partiell auch Teilhaberechte Dritter ableiten, etwa von Dienstleistern aus dem Gesundheitssektor. Weiterhin bestehen für wettbewerbsrelevantes Handeln staatlicher Stellen bestimmte Vorgaben, die in Teilen strenger sein können als die Vorgaben, die für nicht staatliche Akteure gelten (s. a. Staatliches Informationshandeln). Schließlich können auch privatrechtliche Akteure nicht ohne Weiteres in öffentlich-rechtliche Organisationsformen integriert werden.

              Staatliche Akteure – also Bund, Länder und Kommunen sowie deren einzelne Untergliederungen – haben allerdings auch die Möglichkeit, sich der Organisationsformen des Privatrechts zu bedienen. Dies bedeutet im Ergebnis, dass aus der Beteiligung staatlicher Stellen an dem Ökosystem nicht zwingend die Wahl einer öffentlich-rechtlichen Organisationsform folgt. Zu den privatrechtlichen Organisationsformen, die als Trägermodell für das Ökosystem in Frage kommen, zählen vor allem der Verein, die GmbH sowie die AG.

              Übersicht – Rechtsformen des Privatrechts

              Der Verein

              Unter Verein versteht man einen freiwilligen und auf Dauer angelegten Zusammenschluss mehrerer Personen zur Verfolgung eines Zwecks. In einem Verein können grundsätzlich sowohl staatliche als auch private bzw. privatwirtschaftliche Akteure zusammenwirken.

              Bei Vereinen lässt sich die Haftung gegenüber Dritten nur bedingt beschränken; insbesondere ist in diesem Kontext die grundsätzlich persönliche Haftung des Vorstandes (mit seinem gesamten Privatvermögen) gegenüber Dritten zu berücksichtigen, wenn und soweit der Verein für Schäden bei Dritten verantwortlich sein sollte. Die Frage der Finanzierung des Ökosystems in Form eines Vereins wirft außerdem gewisse Herausforderungen auf; vor allem dürften Mitgliedsbeiträge in der Regel nicht ausreichen, um das Projekt – vor allem in seiner Anfangsphase – kontinuierlich mit hinreichenden finanziellen Mitteln zu versorgen.

              Die GmbH

              Eine GmbH ist eine rechtsfähige, durch Organe handelnde Gesellschaft, bei der den Gläubigern im Grundsatz nur das Vermögen der Gesellschaft haftet. Gesellschafter einer GmbH können natürliche wie auch juristische Personen sein. Die jeweiligen Gesellschafter sind durch einen Geschäftsanteil an diesem Vermögen beteiligt, übernehmen durch ihre Beteiligung an der Gesellschaft allerdings keine persönliche Haftung.

              Die gemeinnützige GmbH

              Die gemeinnützige GmbH ist eine Sonderform der GmbH. Die gemeinnützige GmbH kombiniert die wirtschaftlichen Vorteile und Rahmenbedingungen der GmbH mit den steuerlichen Vorteilen des Gemeinnützigkeitsrechts. Das macht die Rechtsform für den sozialen Bereich attraktiv. Allerdings dürfen die Erträge, die das Unternehmen erwirtschaftet, nur für die Verwirklichung des gemeinnützigen Zwecks verwendet werden.

              Die AG

              Die Aktiengesellschaft vereint typischerweise eine große Anzahl Aktionären, die ihr Kapital in die Unternehmung investiert haben, um aus den von der Gesellschaft erwirtschafteten Erträgen Dividenden zu erhalten. Diese gewinnwirtschaftliche Orientierung der AG entspricht allerdings wohl nicht dem gemeinnützigen Leitbild des Ökosystems.

              Die gemeinnützige AG

              Allerdings kennt das deutsche Gesellschaftsrecht auch eine gemeinnützige AG – kurz gAG – die gerade nicht auf die Erzielung von Gewinnen ausgerichtet ist, sondern eine gemeinnützige Ausrichtung aufweist. Die Ausrichtung an gemeinnützigen Zielen – etwa der Förderung der Wissenschaft und Forschung, des öffentlichen Gesundheitswesens und der Verbraucherberatung sowie des Verbraucherschutzes – wird durch steuerliche Vergünstigungen zugunsten der gAG belohnt. Kehrseite des steuerlichen Sonderstatus der gAG sind allerdings die verhältnismäßig strengen Vorgaben des Gemeinnützigkeitsrechts. Zu beachten ist vor diesem Hintergrund insbesondere, dass der Status der Gemeinnützigkeit gefährdet wird, wenn mehr als die Hälfte des Kapitals der gAG zur Finanzierung der Verwaltung und Spendenwerbung genutzt wird oder wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb einer gAG mit nicht begünstigten Betrieben derselben bzw. ähnlicher Art in größerem Umfang in Wettbewerb tritt, als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist.

              Die gesetzlichen Vorgaben für die Organisation der gAG entsprechen ansonsten den für die AG geltenden Bestimmungen; insbesondere verfügt auch die gAG über einen Vorstand, einen Aufsichtsrat und eine Hauptversammlung. Der Vorstand ist für die Geschäftsführung der gAG verantwortlich, die wiederum auf die ausschließliche und unmittelbare Erfüllung der satzungsmäßigen Zwecke der gAG gerichtet sein muss.

              Die Holding

              Es ist möglich, die einzelnen Angebote des Ökosystems von unterschiedlichen Gesellschaften mit jeweils unterschiedlichen Rechtsformen zu betreiben, die allerdings unter dem gemeinsamen Dach einer Holding zusammengeführt werden. Eine Holding ist eine Strukturform, deren Hauptzweck in einer auf Dauer angelegten Beteiligung an einem oder mehreren rechtlich selbstständigen Unternehmen liegt.

              Ganz grundsätzlich sind zwei Arten von Holdinggesellschaften zu unterscheiden, die für das Ökosystem als „Dachorganisationen“ in Betracht kommen: die operative Holding und die Management-Holding. Die sog. operative Holding ist mit einem Mutterkonzern vergleichbar, von dem weitere Tochtergesellschaften strategisch und personell abhängig sind. Die Management-Holding hat dagegen kein eigenes operatives Geschäft, legt allerdings die strategischen Ziele der Tochtergesellschaften fest.

              Größter Vorteil dieser Holdingvariante ist ihre Flexibilität, da jedes Tochterunternehmen Strategien für sein Geschäftsfeld entwickelt. Die Holding ist nicht im deutschen Recht geregelt und entsprechend auch nicht an eine bestimmte Rechtsform gebunden. Regelmäßig werden Holdings in der Rechtsform der GmbH oder Aktiengesellschaft betrieben.

              Fazit

              Das Ökosystem muss selbst Träger von Rechten und Pflichten sein können, um handlungsfähig seine Zielrichtung verfolgen zu können. Damit scheiden sämtliche rechtliche Strukturen aus, die nicht rechtsfähig sind. Personengesellschaften werden den Anforderungen an eine partizipative Infrastruktur für das Gesundheitswesen nicht gerecht und können für eine Trägerschaft des digitalen Ökosystems ausgeschlossen werden.

              Eine öffentlich-rechtliche Struktur wäre zwar möglich, würde aber die Mitwirkung privatwirtschaftlich organisierter Akteure an dem Projekt insgesamt erschweren. Für eine möglichst breite Partizipation und eine hohe Flexibilität sollte daher eine juristische Person des Privatrechts als Organisationsrahmen angestrebt werden. Diese bietet relativ große Flexibilität im Hinblick auf strukturelle Anpassungen sowie das Zusammenwirken privater wie staatlicher Akteure an dem Projekt.

              Mit Blick auf die unterschiedlichen Funktionen, die durch das Ökosystem abgebildet werden können, bietet sich zudem die Wahl einer Holdingstruktur an, bei der eine übergeordnete Gesellschaft die Steuerung weiterer Tochtergesellschaften übernimmt, die jeweils wiederum ganz unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen könnten.

              (Beitrag veröffentlicht am 27.09.2023. Die hier getroffenen Aussagen beziehen sich ausschließlich auf die Rechtslage in Deutschland. Sie stellen einen Leitfaden und keine individuelle Rechtsberatung dar, die über das Projekt Trusted Health Ecosystems” hinausgeht.)

              Autorin

              Laura Schulte arbeitete während ihrer Promotion an einem Lehrstuhl für Verfassungsrecht als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Sie promovierte zu einem datenschutzrechtlichen Thema und forschte hierzu unter anderem auch an der Queen Mary School of Law in London. Von 2020 bis 2023 war sie als Rechtsanwältin in der Kanzlei BRANDI-Rechtsanwälte am Standort Bielefeld und dort im Fachbereich IT- und Datenschutzrecht tätig. Seit August 2023 ist sie Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Bielefeld.

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                Staatliches Informationshandeln: Was darf der Staat?

                Prof. Dr. Laura Schulte

                Bei der Entwicklung eines Trägermodells für eine nationale Gesundheitsplattform liegt es zunächst nahe, den Aufbau und Betrieb in einem öffentlich-rechtlichen Kontext zu verorten. Staatliches Informationshandeln – verstanden als jede Form der Kommunikation von Informationen, Warnungen oder Empfehlungen – unterliegt jedoch besonderen rechtlichen Anforderungen. Im Folgenden gehen wir der Frage nach, inwieweit überhaupt von staatlicher Seite Informationen zur Verfügung gestellt werden können und unter welchen Bedingungen es möglich bzw. ratsam ist, eine nationale Gesundheitsplattform als staatliches Informationsangebot zu betreiben.

                Herausforderung

                Staatliches Handeln basiert auf der Ausgangsannahme, dass insbesondere grundrechtsrelevante Aktivitäten einer rechtlichen Grundlage bedürfen, die nachträglich von den Gerichten überprüft werden kann. Verankert ist diese Annahme im Rechtsstaatsprinzip einem zentralen Element unserer Verfassung. Durch Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz wird insoweit unter anderem bestimmt, dass „die vollziehende Gewalt … an Gesetz und Recht gebunden“ ist. Für jede staatliche Aktivität, die sich auf die Grundrechtspositionen Dritter auswirken kann, ist daher zu prüfen, auf welcher Rechtsgrundlage sie sich entfaltet.

                Die Bereitstellung von Informationen durch eine staatliche Stelle ist als eine Form „staatlichen Handelns“ zu bewerten, da die Aktivität auf die Information der Bevölkerung gerichtet ist. Als Mindestvoraussetzung ist daher aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleiten, dass die staatliche Stelle zumindest im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgaben handelt. Die Information der Öffentlichkeit kann insoweit grundsätzlich als Annex der Aufgabenwahrnehmung legitimiert werden (Schoch, NVwZ 2011). Eine allgemeine Aufgabenzuweisung zum Aufbau und Betrieb eines staatlichen Informationsangebots genügt jedoch nicht, um die geplante Plattform rechtlich abzusichern.

                Hintergrund

                Offensichtlich legitimationsbedürftig sind Eingriffe durch staatliches Informationshandeln beispielsweise bei staatlichen Warnungen im Kontext von Verbraucherinformationen (Voßkuhle und Kaiser, JuS 2018): Sie sind meist gegen ein bestimmtes Produkt bzw. einen bestimmten Anbieter gerichtet, sodass ein Eingriff in die jeweilige unternehmerische Tätigkeit der Hersteller bzw. Anbieter der betroffenen Produkte oder Leistungen erfolgt. Betroffene Unternehmen können sich in diesem Fall auf ihre Berufsausübungsfreiheit gem. Art. 12 GG und den Schutz ihres Unternehmerpersönlichkeitsrechts berufen.

                Dogmatisch liegt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts beim staatlichen Informationshandeln zwar kein Eingriff im klassischen Sinne vor, der durch einen Rechtsakt erfolgt; die Wirkung des Informationshandelns kommt einem klassischen Eingriff allerdings sehr nahe, sodass von einer eingriffsgleichen Maßnahme auszugehen ist (Voßkuhle und Kaiser, JuS 2018).

                Nach den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts ist für staatliches Informationshandeln zu prüfen, ob hierdurch der Wettbewerb verzerrt wird.

                „Bei umfangreicheren Informationssammlungen staatlicher Stellen ist auch zu berücksichtigen, inwieweit der staatliche Anbieter mit privatwirtschaftlichen Angeboten in einen Wettbewerb tritt.“

                Prof. Dr. Laura Schulte

                Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang Voraussetzungen herausgearbeitet, die für die Rechtmäßigkeit staatlichen Informationshandelns mindestens erfüllt sein müssen: Demnach muss (1) eine staatliche Aufgabe vorliegen und (2) die Zuständigkeitsordnung bei Erfüllung dieser Aufgabe eingehalten werden; außerdem müssten die Informationen (3) sachlich gehalten und inhaltlich richtig sowie die Informationstätigkeit insgesamt verhältnismäßig (4) sein.

                Eine Betroffenheit im Sinne eines Grundrechtseingriffs kann jedoch nicht nur vorliegen, wenn eine Warnung vor Produkten oder Leistungen erfolgt. Bei umfangreicheren Informationssammlungen staatlicher Stellen ist auch zu berücksichtigen, inwieweit der staatliche Anbieter mit privatwirtschaftlichen Angeboten in einen Wettbewerb tritt: Betätigt sich der Staat wie ein privatwirtschaftliches Unternehmen, so sind auch alle für privatwirtschaftliche Anbieter geltenden Vorgaben einzuhalten. Das gilt insbesondere für wettbewerbs- und kartellrechtliche Regelungen.

                Doch auch wenn staatliche Stellen all diese Anforderungen erfüllen, können sich dennoch Verzerrungen am Markt ergeben, weil der Staat häufig über ganz andere Möglichkeiten zur öffentlichen Positionierung verfügt und bei der Finanzierung auf öffentliche Mittel zurückgreifen kann. So werden den Informationen von staatlicher Stelle oft eine höhere Relevanz und Glaubwürdigkeit zugeschrieben, als dies bei Informationsangeboten Dritter der Fall ist. Insofern ist bei einer privatwirtschaftlichen Betätigung staatlicher Stellen generell zu prüfen, inwieweit hierfür eine Rechtfertigung vorliegt und Wettbewerbsverzerrungen ausgeschlossen werden können. Hier ist auch von Bedeutung, ob Fremdinhalte verwendet oder eigene Inhalte vermittelt werden (vgl. hierzu auch Redaktionelle Erstellung vs. Brokering).

                Fazit

                In Abwägung der bisherigen Ausführungen und unter Berücksichtigung der Zielsetzung einer möglichst rechtssicheren Trägerschaft wäre der Betrieb einer nationalen Gesundheitsplattform in staatlicher Hand insgesamt kritisch zu bewerten. Zwar stehen Produktwarnungen oder andere direkte Benachteiligungen von Akteuren nicht im Fokus des Vorhabens, doch sonstige Anbieter digitaler Gesundheitsinformationen und -services könnten zumindest mittelbar beeinflusst werden.

                Vorzugswürdig erscheint daher ein Strukturansatz, bei dem Informationen nicht unmittelbar von einer staatlichen Stelle bereitgestellt werden. Allerdings bedeutet eine (Teil-)Finanzierung aus öffentlichen Mitteln nicht zwangsläufig, dass auch die Trägerschaft einer nationalen Gesundheitsplattform in staatlicher Hand liegen muss. Stattdessen könnte ein offenes Struktur- und Trägermodell in zivilgesellschaftlicher Hand als „Drehscheibe“ für Informationen dienen und Ausgangspunkt weiterer Angebote sein.

                Um eine unangemessene Einschränkung der Handlungsspielräume privatwirtschaftlicher Akteure zu vermeiden, ist eine staatsferne Trägerschaft zu präferieren. Gleichzeitig ist darauf hinzuwirken, die am Markt tätigen Unternehmen nicht auszuschließen oder zu benachteiligen.

                (Beitrag veröffentlicht am 27.09.2023. Die hier getroffenen Aussagen beziehen sich ausschließlich auf die Rechtslage in Deutschland. Sie stellen einen Leitfaden und keine individuelle Rechtsberatung dar, die über das Projekt “Trusted Health Ecosystems” hinausgeht.)

                Literatur

                Schoch, NVwZ 2011, 193 (196) unter Verweis auf OVG Hamburg, NVwZ-RR 2008, 241.

                Voßkuhle und Kaiser, JuS 2018, 343 (344) unter Verweis auf BVerfG, NJW 2002, 2621 – Glykolwein

                Autorin

                Prof. Dr. Laura Schulte arbeitete während ihrer Promotion an einem Lehrstuhl für Verfassungsrecht als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Sie promovierte zu einem datenschutzrechtlichen Thema und forschte hierzu unter anderem auch an der Queen Mary School of Law in London. Von 2020 bis 2023 war sie als Rechtsanwältin in der Kanzlei BRANDI-Rechtsanwälte am Standort Bielefeld und dort im Fachbereich IT- und Datenschutzrecht tätig. Seit August 2023 ist sie Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Bielefeld.

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                Trägerschaft: Staatlich oder privat organisiert?

                Für eine nationale Gesundheitsplattform ist es essenziell, eine rechtliche Struktur zu finden, die den daran geknüpften Anforderungen gerecht wird und die Zwecke des umgebenden Ökosystems bestmöglich unterstützt. Hinsichtlich der Trägerschaft des Ökosystems stehen grundsätzlich unterschiedliche Optionen zur Verfügung, die wiederum verschiedene Vor- und Nachteile bergen. So stellt sich zunächst die Frage, ob es sich beim Plattformbetreiber um eine staatliche Institution oder einen privatwirtschaftlichen Akteur handeln sollte. 

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