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Unser Konzept in der Gesamtschau

Die nationale Gesundheitsplattform steht in unserer Vision für eine vertrauenswürdige Informationsarchitektur im Gesundheitswesen, die den Umgang mit gesundheitsrelevanten Informationen erleichtert und die Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger Informationen verbessert. Dieser Beitrag erfasst das von uns konzipierte digitale Ökosystem aus der Vogelperspektive und beschreibt die wichtigsten Akteure, Rollen und Prozesse.

Der Kernservice des Ökosystems ermöglicht eine personalisierte Zusammenstellung von qualitätsgesicherten Informationen und Services, die dem individuellen Informationsbedarf im Zeitverlauf folgen (vgl. Entdecken statt suchen: Prototyp für eine nationale Gesundheitsplattform). So erhalten Patientinnen und Patienten immer die passende Information zum richtigen Zeitpunkt. Durch die Zusammenführung von Inhalten zertifizierter Anbieter ermöglicht die Plattform eine gezielte Auswahl und Bereitstellung vertrauenswürdiger Informationen und Dienste. Basierend auf individuellen Kontextfaktoren der Nutzerinnen und Nutzer, wird diese Auswahl dann speziell auf den situativen Unterstützungsbedarf zugeschnitten (vgl. Informationsvermittlung als Prozess begreifen).

Diese prozesshafte Begleitung mit maßgeschneiderten Informationen und Serviceangeboten unterstützt informierte Entscheidungen, fördert die Gesundheitskompetenz und leistet so einen wichtigen Beitrag zum Umgang mit der eigenen Gesundheit (vgl. Gesundheitskompetenz: Herausforderung der Zukunft). Die Realisierung dieser Produktvision erfordert jedoch weit mehr, als lediglich eine technische Plattform mit algorithmischen Systemen bereitzustellen: Es braucht vor allem das konstruktive Zusammenspiel und die Interaktion zwischen einer Vielzahl von Akteuren und Playern. Diese bilden gemeinsam das digitale Ökosystem rund um die nationale Gesundheitsplattform, tragen zur Zielerreichung bei und profitieren von ihrer Teilnahme (vgl. Nutzenmodell für eine nationale Gesundheitsplattform).

Vermittlung vertrauenswürdiger Gesundheitsinformationen und -services

Ein Kernelement der Plattform bilden die qualitätsbasierte Auswahl von Informations- und Serviceanbietern sowie die Vermittlung vertrauenswürdiger Informations- und Serviceangebote im Gesundheitswesen. Die redaktionelle Erstellung eigener Informationen zählt ausdrücklich nicht dazu – im Kontext eines Ökosystems ist es entscheidend, dass der Initiator und Betreiber einer digitalen Plattform nicht alle Funktionalitäten und Services selbst entwickelt. Stattdessen sollte im Mittelpunkt stehen, Grundlagen zu schaffen, auf deren Basis Partner ihre Dienste und Applikationen in das Ökoystem einbringen können. Die Plattform produziert also keine eigenen Inhalte und Angebote, sondern nimmt eine Vermittlerfunktion für kontextspezifische Gesundheitsinformationen und -services ein.

Dieses sogenannte „Brokering-Prinzip“ beruht auf der Rolle des Vermittlers zwischen Angebot und Nachfrage. Der „Broker“ stellt die Infrastruktur zur Verfügung und bietet eine nutzerfreundliche Schnittstelle, um beide Seiten zusammenzubringen. In diesem Zusammenhang bieten Plattformen oft auch Bewertungssysteme an, sprechen Empfehlungen aus oder tragen zur Personalisierung von Angeboten bei. Wir haben diesen Ansatz auf unser Konzept für eine nationale Gesundheitsplattform übertragen. Die Plattform vermittelt also zwischen den Anbietern von Gesundheitsinformationen und digitalen Diensten auf der einen und Patientinnen und Patienten auf der anderen Seite. Dabei ergänzt sie die reine Vermittlungstätigkeit durch eine personalisierte Aufbereitung und bedarfsgerechte Zusammenstellung der verfügbaren Angebote.

Plattformbetreiber

Der Plattformbetreiber übernimmt als zentrale Figur im digitalen Ökosystem eine Vielzahl von Aufgaben, um den reibungslosen Betrieb der Plattform sicherzustellen. Dazu zählt die Bereitstellung der technologischen Infrastruktur wie Software, Server, Datenbanken, Netzwerke, Schnittstellen und viele weitere technische Ressourcen. Zu den Aufgaben gehört aber auch, Plattformregeln zu etablieren, die teilnehmenden Akteure zu vernetzen, Interaktion zu fördern, einen vertrauenswürdigen Interaktionsraum zu schaffen und nicht zuletzt auch die Skalierung und das Wachstum von Plattform und Ökosystem.

Angesichts der vielfältigen Aufgaben und der angestrebten Größe des digitalen Ökosystems ergeben sich für den Plattformbetreiber hohe Anforderungen. Die Trägerorganisation muss unabhängig und bei allen teilnehmenden Akteuren akzeptiert sein. Zudem ist zu berücksichtigen, dass staatliche Institutionen nur bedingt in Frage kommen, denn staatliche Informationstätigkeit unterliegt besonderen rechtlichen Anforderungen (vgl. Staatliches Informationshandeln: Was darf der Staat?). Um hier ein hohes Maß an Rechtssicherheit zu schaffen, ist eine staatsferne, zivilgesellschaftlich verankerte Trägerschaft zu bevorzugen.

Im Fall der nationalen Gesundheitsplattform erscheint es ratsam, bestimmte Aufgaben innerhalb des Ökosystems von unterschiedlichen Gesellschaften bzw. Organen wahrnehmen zu lassen und das Ökosystem als eine Art Dachorganisation zu begreifen. Die Trägerschaft und der Betrieb des digitalen Ökosystems könnten auf unterschiedliche Organisationseinheiten verteilt werden, um der Komplexität und Diversität an Rollenmodellen, Funktionen und Aufgaben gerecht zu werden. Alle beteiligten Organisationen könnten dann in einer gemeinnützigen und unabhängig finanzierten Holdingstruktur zusammengeführt werden (vgl. Trägerschaft: Staatlich oder privat organisiert?).

Informations- und Serviceanbieter

Um ein möglichst breites und vielfältiges Angebot auf der Plattform zu bündeln und die Innovationskraft der unterschiedlichen Player zu konzentrieren, sollte das Ökosystem staatlichen, zivilgesellschaftlichen wie auch kommerziellen Informations- und Serviceanbietern offenstehen. Deren Rolle besteht darin, das jeweils eigene Angebot einzubringen und die Plattform so mit Leben zu füllen. Zu den relevanten Angeboten zählen klassische Informationsportale ebenso wie digitale Services, etwa die Buchung von Arztterminen oder die Suche nach Spezialistinnen und Spezialisten.

Grundvoraussetzung für die Teilnahme am Ökosystem ist die Erfüllung klar definierter Qualitätsanforderungen, die auf Anbieterebene nachgewiesen werden müssen. Hierzu sieht unser Konzept ein Zertifizierungsverfahren vor, das sich auf die Struktur- und Prozessqualität konzentriert (vgl. InfoCure: Qualität sichtbar machen). All jene Anbieter, die über ein gültiges Zertifikat verfügen, können ihre Informationen und Leistungen in das Ökosystem einbringen. Im Ergebnis entsteht ein vertrauenswürdiger Pool aus Informationen und Diensten, die ausschließlich von geprüften Anbietern stammen.

Pfadmodellentwickler

Die Recherche nach vertrauenswürdigen Gesundheitsinformationen gleicht häufig einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Die Herausforderung für Patientinnen und Patienten besteht darin, diejenigen Informationen herauszufiltern, die auch tatsächlich zu ihrer aktuellen Situation passen. Die nationale Gesundheitsplattform kann hier Hilfestellung leisten, indem sie personalisierte Informationen mit hoher Passgenauigkeit aktiv anbietet und in einen strukturierten Lern- und Interaktionsprozess, einen sogenannten Patienteninformationspfad (Patient Information Pathway), einbettet (vgl. Informationsvermittlung als Prozess begreifen).

Auf ihrem Informationspfad erhalten die Nutzerinnen und Nutzer der Plattform personalisierte Informationen und Serviceangebote, die der jeweiligen Krankheits-, Bewältigungs- und Versorgungsphase entsprechen (vgl. Entdecken statt suchen: Prototyp für eine nationale Gesundheitsplattform). Je nach Indikation folgen diese Pfade einem bestimmten Muster bzw. Pfadmodell: Während bei der Diagnosestellung zunächst grundlegende Informationen zur Erkrankung benötigt werden, geht es in der Folge meist um das Abwägen konkreter Behandlungsalternativen. Gerade bei chronischen Erkrankungen rückt dann im Zeitverlauf oft auch der Umgang mit der Erkrankung in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Derartigen Mustern folgend, lassen sich für einen großen Teil der Erkrankungen erwartbare Verläufe des Informationsbedarfs modellieren. Mit Hilfe solcher Modelle können automatisiert Informationen chronologisch angeordnet und auch solche Informationen angeboten werden, nach denen Patientinnen und Patienten gar nicht aktiv gesucht hätten. Dies könnten etwa Hinweise auf sozialrechtliche Themenstellungen sein, die in der jeweiligen Behandlungsphase relevant sind.

Für die Gestaltung solcher Pfadmodelle braucht es im Ökosystem neben den Anbietern eine weitere Rolle: die der Pfadmodellentwickler. Dabei handelt es sich um qualifizierte Expertinnen und Experten, die Vorlagen für Verläufe des Informations- und Unterstützungsbedarfs definieren. Diese Rolle könnten dezentral unterschiedliche Akteure, etwa Fachgesellschaften oder Selbsthilfeverbände übernehmen. Sie könnten dazu beitragen, dass innerhalb kurzer Zeit eine sehr große Zahl von Pfadmodellen entsteht.

Kontextanbieter

Durch die Modellierung von Vorlagen lassen sich Informationen in einer bestimmten Reihenfolge anordnen. Die Modelle liefern jedoch keine Informationen darüber, an welcher Position im Zeitverlauf sich die Patientinnen und Patienten gerade befinden, welche zusätzlichen Informationsbedarfe möglicherweise auftreten und welche Entscheidungen im Behandlungsverlauf getroffen werden. So variiert der Informationsbedarf erheblich, je nachdem, ob eine Erkrankung beispielsweise konservativ oder operativ behandelt wird.

Um das Angebot wirklich bedarfsgerecht zuschneiden zu können und einen individuellen Informationspfad entstehen zu lassen, ist eine Dynamisierung der Pfadmodelle notwendig. Diese könnte beispielsweise auf der Basis regelmäßiger Selbstangaben der Nutzerinnen und Nutzer erfolgen. Die umfangreiche Erfassung solcher Angaben ist aus Nutzersicht jedoch unkomfortabel, funktioniert in der Praxis nur selten und ist nicht zuletzt auch Teil des Dilemmas bei der Nutzung von Suchmaschinen. Wie aber kann die Plattform „wissen“, welche Informationen ihre Nutzerinnen und Nutzer gerade in diesem Moment benötigen?

Der Schlüssel zu einem passgenauen Angebot liegt darin, die unterschiedlichsten Kontextinformationen zu berücksichtigen, die mit Zustimmung der betreffenden Personen einfach und automatisiert erfasst werden können, um dann passgenaue Gesundheitsinformationen und -services anzubieten (vgl. Ohne Kontext ist alles nichts). Anbieter von Kontextinformationen bilden daher die dritte relevante Akteursgruppe innerhalb des digitalen Ökosystems.

Zu den möglichen Quellen relevanter Kontextinformationen zählt beispielsweise die elektronische Patientenakte, die dem System im Rahmen einer weiterentwickelten Telematikinfrastruktur 2.0 viele wichtige Hintergrundinformationen zum situativen Informationsbedarf der Patientinnen und Patienten liefern könnte. Ebenso könnten Krankenhaus- und Praxisverwaltungssysteme, aber auch Digitale Gesundheitsanwendungen oder Fitness-Tracker als Hinweisquelle herangezogen werden.

Die Kontextinformationen liegen bereits in digitalen Systemen vor und müssten nicht mehr gesondert erfasst werden. Durch ihre Verwertung im digitalen Ökosystem entsteht mit der Personalisierung von Gesundheitsinformationen und relevanten Diensten ein unübersehbarer Patientennutzen: Die Informationslast wird spürbar reduziert, während die Qualität der angebotenen Informationen steigt. Kontextinformationen können auch genutzt werden, um Patientinnen und Patienten proaktiv zu informieren, sie an etwas zu erinnern oder um auf Präferenzen der Informationsaufbereitung individuell eingehen zu können.

Zusammenspiel auf hohem Niveau

Erst das kollaborative Zusammenspiel der unterschiedlichen Teilnehmergruppen ermöglicht ein wirklich nutzerzentriertes Angebot, das in dieser Form einzigartig wäre. Informations- und Serviceanbieter, Pfadmodellentwickler und Kontextanbieter liefern jeweils einen essenziellen Beitrag zum Funktionieren des Ökosystems. Vergleichbar mit einem Puzzle fügen sich ihre Beiträge harmonisch zusammen und ergeben erst in der Summe den eigentlichen Mehrwert.

Um das Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer in die Plattform wachsen zu lassen, muss sie hohen Qualitätsansprüchen gerecht werden. Angesichts der Offenheit für eine große Zahl teilnehmender Akteure ist die Erfüllung dieser Ansprüche jedoch keineswegs trivial. Eine wichtige Säule des Qualitätsmanagements liegt in der bereits erwähnten Zertifizierung von Informations- und Serviceanbietern (InfoCure: Qualität sichtbar machen). Dies allein reicht aber nicht aus, denn die Qualitätssicherung muss alle Prozesse im Ökosystem berücksichtigen. Deshalb müssen auch die Pfadmodellentwickler und die Anbieter von Kontextinformationen klare Qualitäts- bzw. Qualifizierungsstandards erfüllen, die sich je nach Rolle unterscheiden.

LIV – Die leichte, individuelle und vertrauenswürdige Benutzeroberfläche

Die Synergie der teilnehmenden Akteure soll auf der nationalen Gesundheitsplattform einen signifikanten und erlebbaren Mehrwert für Patientinnen und Patienten schaffen. Auf der Produktebene gibt es vermutlich sehr viele unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen. Um ein gemeinsames Bild in den Köpfen entstehen zu lassen, haben wir entschieden, einen dieser Wege weiterzudenken und auszuformulieren: Zur Illustration unserer Produktvision haben wir ein prototypisches Design entwickelt, das zeigt, wie die nationale Gesundheitsplattform aus Sicht der Patientinnen und Patienten aussehen könnte (vgl. Entdecken statt suchen: Prototyp für eine nationale Gesundheitsplattform).

Unserer Vorstellung folgend, bietet die Plattform ein exakt auf die Zielgruppe der Patientinnen und Patienten zugeschnittenes User Interface an, das als App wie auch als Webvariante angeboten werden könnte. In unserem prototypischen Entwurf haben wir dem Interface den Namen LIV gegeben – die drei Buchstaben stehen für die Begriffe „leicht“, „individuell“ und „vertrauenswürdig“. LIV ist darauf ausgerichtet, Patientinnen und Patienten bestmöglich zu unterstützen, sowohl proaktiv als auch bei einer gezielten Suche. Das zentrale Gestaltungsprinzip besteht darin, die Informationslast zu reduzieren und gleichzeitig nur Beiträge und Dienstleistungen hoher Qualität anzubieten. Die Inhalte werden daher in hohem Maße personalisiert und in Abhängigkeit von verfügbaren Kontextinformationen eingespielt.

LIV ist der Teil der nationalen Gesundheitsplattform mit der höchsten Sichtbarkeit, weil er im Fall einer Umsetzung Millionen von Menschen zur Verfügung stünde. Darüber hinaus bedarf es noch weiterer Bestandteile, um ein reibungsloses Zusammenspiel der Akteursgruppen zu ermöglichen. So müssen weitere Benutzeroberflächen für die Ökosystempartner geschaffen werden, etwa um neue Gesundheitsinformationen und -services zu registrieren oder auch um Vorlagen für Patienteninformationspfade zu erzeugen. Zudem braucht es Integrationsschnittstellen, um andere IT-Systeme zum Beispiel der Kontextanbieter anzubinden (vgl. Erste Gedanken zur technischen Struktur der nationalen Gesundheitsplattform).

Finden, verstehen, beurteilen und anwenden

Das Produktkonzept für die nationale Gesundheitsplattform verfolgt vor allem ein Ziel: Die Plattform soll den Umgang mit Gesundheitsinformationen erleichtern und die Gesundheitskompetenz fördern. Gesundheitskompetenz bildet die Summe der Fähigkeiten, die wir benötigen, um Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden. In ganz Europa deutet die Studienlage darauf hin, dass die digitale Informationsflut für etwa die Hälfte der Bevölkerung eine Herausforderung darstellt. Der Kernservice der von uns konzipierten nationalen Gesundheitsplattform greift diesen Befund auf und wirkt auf allen vier Ebenen der Gesundheitskompetenz.

Finden: Nutzerinnen und Nutzer müssen nicht mehr nach passenden Informationen suchen. Stattdessen werden relevante Inhalte und Services proaktiv angeboten. Durch eine personalisierte Filterung des Informationsangebots und die Umkehr des Vermittlungsprinzips von „Push“ zu „Pull“ werden Suchbewegungen spürbar erleichtert und Irrwege im Netz erspart.

Verstehen: Das Ökosystem definiert Mindestanforderungen an die Verständlichkeit von Inhalten oder auch die Bedienbarkeit digitaler Anwendungen. Zudem lässt sich das Schwierigkeitsniveau von Texten automatisiert bestimmen. Auf der Basis von Angaben zu ihrer individuellen Gesundheitskompetenz können die Nutzerinnen und Nutzer Informationen mit einem passenden Schwierigkeitsgrad auswählen.

Beurteilen: Ein Grundsatz des Ökosystems besteht in einer qualitätsorientierten Auswahl der Anbieter von Informationen und digitalen Services. Durch die vorgesehene Zertifizierung auf nationaler Ebene werden Anbieter in regelmäßigen Abständen überprüft. Im Ergebnis entsteht ein „Vertrauensraum“ für Patientinnen und Patienten, in dem das Risiko von Fehlinformationen und Datenmissbrauch minimiert wird.

Anwenden: Informationen können nur handlungs- oder entscheidungsrelevant werden, wenn im Anschluss an den Wissenserwerb ein konkretes Planungs- oder Handlungsangebot steht. Die individuelle Zusammenstellung von Informationen und digitalen Services erleichtert es den Nutzerinnen und Nutzern, das eigene Verhalten anzupassen, gesunde Entscheidungen zu treffen und diese in die Tat umzusetzen.

Weitere Nutzungsmöglichkeiten der nationalen Gesundheitsplattform

Neben dem eigentlichen Kernservice bietet die Idee einer nationalen Gesundheitsplattform noch viele Möglichkeiten, zusätzlichen Nutzen zu erzeugen und weitere Akteure ins digitale Ökosystem einzubinden:

Distributionspartner: Die Gesundheitsinformationen und -services, die qualitätsgesichert auf der nationalen Gesundheitsplattform bereitgestellt werden, können auch über weitere Vertriebskanäle verbreitet und ausgespielt werden. Distributionspartner könnten beispielsweise andere Plattformen sein, die Gesundheitsinformationen und -services weiterverteilen. In Frage kämen auch Digitale Gesundheitsanwendungen, die kuratierte Informationen benötigen und diese dann direkt in ihre Lösungen integrieren.

Whitelabel-Lösungen: Es wäre grundsätzlich möglich, LIV als User Interface für Patientinnen und Patienten auch als sogenannte Whitelabel-Lösung zur Verfügung zu stellen. Interessierte Partner könnten die Anwendung auf diese Weise in eigene Lösungen einbinden und ihr eigenes Branding integrieren. Dies würde die Reichweite von LIV zusätzlich erhöhen.

Anonymisierte Daten für die Forschung: Auf der nationalen Gesundheitsplattform werden Daten verarbeitet, die direkten Patientennutzen erzeugen – und darüber hinaus noch weiteren Nutzen stiften könnten. Über aggregierte Auswertungen, die Bereitstellung vollständig anonymisierter Daten oder die Erzeugung synthetischer Datensätze könnte die Plattform einen wertvollen Beitrag für die Versorgungsforschung leisten.

Internationalisierung: Auch wenn die hier skizzierte Gesundheitspattform in einem nationalen Rahmen konzipiert wurde, ließe sich die Idee sehr gut international skalieren. Trotz aller Besonderheiten der einzelnen Gesundheitssysteme wären Grundsätze und Prinzipien, die unterschiedlichen Rollen und sogar die Software auf andere Länder übertragbar. Mittel- bis langfristig könnte so ein internationales Netz aus national verankerten Plattformen entstehen, die gemeinsamen Standards folgen, Erfahrungen und Daten austauschen und eine globale Infrastruktur des Vertrauens entstehen lassen.

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    Zur Begrifflichkeit digitaler Ökosysteme und Plattformen

    Dr. Matthias Naab
    Dr. Marcus Trapp

    Die Begriffe „Plattform“ und „digitales Ökosystem“ sind in aller Munde und werden in den unterschiedlichsten Kontexten verwendet. Aber was verbirgt sich eigentlich dahinter? Was macht ein digitales Ökosystem aus und in welchem Verhältnis steht es zum Plattformbegriff? Die folgenden Ausführungen bringen Licht ins Dunkel der Begrifflichkeiten.

    Marken wie Amazon, Airbnb oder Uber sind allseits bekannt. Diese Unternehmen haben große und einflussreiche digitale Ökosysteme etabliert, die das tägliche Leben vieler Menschen signifikant beeinflussen. Sie vermitteln zum Beispiel Waren, Übernachtungsmöglichkeiten oder Personentransporte zwischen Anbietern und Konsumenten. Die genannten stammen aus den USA und sind mittlerweile weltweit aktiv. In China sind ebenfalls große digitale Ökosysteme wie Alibaba oder Tencent entstanden.

    Auch in Deutschland gibt es sehr erfolgreiche digitale Ökosysteme, wenn auch oft noch nicht so bekannt: So hat beispielsweise Schüttflix die Baubranche durch schnelle, zuverlässige Schüttgutlieferungen revolutioniert. Über MyHammer finden Kunden und Handwerker zueinander, und Urban Sports Club ermöglicht Sportbegeisterten den Zugang zu einem breiten Sportangebot.

    Schüttgutlieferanten, Handwerker oder Fitnessstudios profitieren als Anbieter dabei vom Zugang zu einer großen Kundengruppe, effizienterer Abwicklung und weiteren Vereinfachungen. Konsumenten und Konsumentinnen genießen ein breiteres Angebot, das kein Anbieter allein je bieten könnte.

    Digitale Ökosysteme können also eine Win-win-Situation bieten und sogar eine dreifache Win-Situation erzeugen, wenn der Benefit der Plattformbetreiber ebenfalls berücksichtigt wird. Gleichzeitig werden digitale Ökosysteme aber auch als Bedrohung wahrgenommen, weil ein Unternehmen über die Zeit eine große Dominanz aufbauen, Abhängigkeiten erzeugen und für seine Geschäftspraktiken nutzen kann. Viele Menschen können sich ihren Alltag ohne sie jedoch nicht mehr vorstellen. So ist zu fragen, wie digitale Ökosysteme aufgebaut und betrieben werden können, dass es für alle Beteiligten erstrebenswert ist.

    Definition: Digitales Ökosystem

    “Ein digitales Ökosystem ist ein sozio-technisches System, dessen Betrachtung sowohl alle beteiligten Menschen und Unternehmen in ihrer Rolle als Anbieter oder Konsumenten umfasst als auch die verbindenden IT-Systeme. Die zentrale Gemeinsamkeit digitaler Ökosysteme ist, dass etwas digital zwischen verschiedenen Parteien vermittelt wird und alle Beteiligten davon profitieren, dass eine möglichst große Zahl von Anbietern und Konsumenten Teil des Ökosystems ist.”

    (angelehnt an Koch 2022)

    Die Anbieter und Konsumenten sind in der Regel unabhängig voneinander und versprechen sich von der Teilnahme einen gegenseitigen Nutzen (Koch 2022a, Koch 2022b).

    Die Vermittlung der sogenannten Assets ist ein Service des Ökosystembetreibers bzw. -vermittlers und wird über eine digitale Plattform abgewickelt. Dies ermöglicht eine einfache Skalierung, sodass positive Netzwerkeffekte entstehen und sich nutzen lassen. Assets sind die zentralen Dinge in einem digitalen Ökosystem; sie werden zwischen Anbietern und Konsumenten ausgetauscht und können sehr unterschiedlich sein, von Übernachtungsmöglichkeiten über Schüttgut bis zu digitalen Informationen.

    Digitale Ökosysteme bieten für den Betreiber meist im Kern ein Geschäftsmodell, das auf einer Beteiligung am Vermittlungserfolg basiert. Daher hat der Betreiber das Ziel, die Menge der vermittelten Transaktionen zu erhöhen, und steckt viel Energie in einen möglichst reibungslosen Austausch der Assets und das möglichst einfache Onboarding der Teilnehmenden. Wegen der Abwicklung der Vermittlung über eine digitale Plattform hat sich der Begriff „Plattformökonomie“ etabliert. Dort gilt: Je attraktiver die Angebotsseite ist, desto mehr Konsumenten konsumieren mehr. Wird mehr konsumiert, führt dies zu einer weiteren Verbesserung der Angebotsseite. Dieses Verhalten wird durch die Begriffe „Netzwerkeffekte“ und „Flywheel“ beschrieben.

    Definition: Digitale Plattform

    Der Begriff „Plattform“ existiert schon sehr lange. Er wird extrem vielfältig und – aufgrund des Erfolgs von Plattformunternehmen und der Verheißungen der Plattformökonomie – inflationär gebraucht. Dadurch entsteht Verwirrung und selbst Fachleute in der IT-Industrie reden kontinuierlich aneinander vorbei. Das führt dazu, dass teilweise Geschäftsmodelle komplett misinterpretiert werden, und dass Unternehmen eine Plattform etablieren wollen, aber selbst innerhalb des Unternehmens keine gemeinsame Vorstellung davon existiert, was eine Plattform für den eigenen Betrieb eigentlich ist.

    “Im Kontext digitaler Ökosysteme verstehen wir unter einer digitalen Plattform ein Softwaresystem, das den technischen Kern eines digitalen Ökosystems bildet und typischerweise vom Ökosystembetreiber entwickelt und betrieben wird.”

    (angelehnt an Koch 2022)

    Anbieter sowie Konsumentinnen und Konsumenten nutzen es direkt über APIs oder Benutzungsoberflächen – z. B. einen digitalen Marktplatz – und wickeln so den Austausch der Assets ab. Die vermittelnde Leistung des Brokers wird so rein digital und damit skalierbar und effizient realisiert (Naab 2023).

    Klar abzugrenzen sind digitale Plattformen für Ökosysteme von den sogenannten Technologieplattformen: Diese werden verwendet, um Software (Dienste, Applikationen, weitere Technologieplattformen) darauf zu bauen und zu betreiben. Technologieplattformen bündeln wiederkehrende technologische und infrastrukturelle Aspekte von Software-Systemen und machen diese möglichst einfach durch klar definierte Schnittstellen verwendbar. Beispiele solcher Plattformen sind Cloud-Dienste wie Amazon Web Services oder Microsoft Azure. Diese führen nicht zu Netzwerkeffekten und bilden selbst kein Zentrum digitaler Ökosysteme, werden aber trotzdem in der Betrachtung oft vermischt.

    Digitale Ökosysteme entstehen nicht von selbst und folgen keinem evolutionären Instinkt, wie der Begriff in Anlehnung an die Biologie vermuten lassen könnte. Vielmehr entstehen sie dadurch, dass Organisationen aktiv und sehr gezielt an identifizierten Defiziten arbeiten und durch eine passend ausgestaltete Vermittlerrolle sowie eine unterstützende digitale Plattform Mehrwerte in einer Branche schaffen. Dies passiert nicht plötzlich, sondern erstreckt sich typischerweise über längere Zeiträume des Aufbaus.

    Um Ungleichgewichte und Interessenskonflikte zu vermeiden, muss ein Plattformbetreiber sich seiner Verantwortung bewusst sein und diese gezielt wahrnehmen. Von Anfang an sollten dabei geschäftliche, technische und rechtliche Aspekte beachtet und aufeinander abgestimmt werden. Es müssen Anreize und Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen eine verantwortungsbewusste Gestaltung besonders erfolgversprechend erscheint. Darüber hinaus braucht es ein Wertegerüst sowie klare Verhaltensregeln für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die faire und respektvolle Interaktionen entstehen lassen. (Lewrick 2021, Kawohl 2022)

    Es gibt nicht das eine Ökosystem im Gesundheitswesen

    Wie in allen Branchen gibt es auch im Gesundheitswesen zahlreiche Ansatzpunkte und Möglichkeiten für digitale Ökosysteme. Nie sollte das gesamte künftige Gesundheitswesen als „ein großes digitales Ökosystem“ betrachtet werden. Das passiert aber oft in undifferenzierten Diskussionen. Damit wird der Begriff jedoch unscharf und es bleibt unklar, wer was gestaltet und verantwortet. Stattdessen sollte man die einzelnen digitalen Ökosysteme nach der hier verwendeten Definition klar fokussieren und dann überlegen, wie alles im Domänen-Ökosystem „Gesundheitswesen“ zusammenwirkt und wie auf der Gesamtebene die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden können.

    Literatur

    Choudary S (2017). Die Plattform-Revolution im E-Commerce: Von Airbnb, Uber, PayPal und Co. lernen: Wie neue Plattform-Geschäftsmodelle die Wirtschaft verändern.

    Kawohl J (2022). ECOSYSTEMIZE YOUR BUSINESS: How to succeed in the new economy of collaboration.

    Koch M (2022a). Digitale Ökosysteme in Deutschland – Inspirierende Beispiele zur Stärkung der deutschen Wirtschaft. https://www.iese.fraunhofer.de/content/dam/iese/dokumente/media/studien/studie-digitale-oekosysteme-in-deutschland-fraunhofer-iese.pdf

    Koch M (2022b). A matter of definition: Criteria for digital ecosystems. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2666954422000072

    Lewrick M (2021). Business Ökosystem Design.

    Naab M (2023). Der Begriff “Plattform” ist hoffnungslos überstrapaziert! DIE Landkarte für den digitalen Plattform-Dschungel. https://www.informatik-aktuell.de/entwicklung/methoden/die-landkarte-fuer-den-digitalen-plattform-dschungel.html

    Trapp M (2020). Digitale Ökosysteme und Plattformökonomie: Was ist das und was sind die Chancen? https://www.informatik-aktuell.de/management-und-recht/digitalisierung/digitale-oekosysteme-und-plattformoekonomie.html

    Autoren

    Dr. Matthias Naab und Dr. Marcus Trapp sind Co-Founder von Full Flamingo. Sie helfen Unternehmen pragmatisch, die wichtigen Entscheidungen in der digitalen Transformation abzusichern. Sie waren bis 2022 am Fraunhofer IESE als Führungskräfte tätig und haben das Thema „Digitale Ökosysteme und Plattformökonomie“ mit aufgebaut und verantwortet.

     

     

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