archive

Ohne Kontext ist alles nichts

Dr. Matthias Naab
Dr. Marcus Trapp

Wer ärztliche Hilfe in Anspruch nimmt, muss meist viele Fragen zur Krankengeschichte beantworten. Ärztinnen und Ärzte stellen diese Fragen, um die Zahl der möglichen Diagnosen einzugrenzen. Diese sogenannte Anamnese ist ein fester Bestandteil der ärztlichen Diagnostik und die darin enthaltenen Kontextinformationen helfen, im nächsten Schritt die passende Behandlung zu finden. So lassen Kontextinformationen in den unterschiedlichsten Bereichen unseres Lebens Nutzen entstehen. Dieser Gedanke bildet auch das Leitprinzip der hier vorgestellten Konzeption für eine nationale Gesundheitsplattform.

Nicht nur im medizinischen Umfeld, auch im Alltagsleben ist es sehr hilfreich, etwas über den Kontext zu wissen, um bestimmte Probleme lösen oder anderen Menschen Ratschläge geben zu können. Wenn uns jemand nach dem Weg zu einem bestimmten Ziel fragt, müssen wir zumindest wissen, wo sich die Person gerade befindet und welche Verkehrsmittel ihr zur Verfügung stehen. Fragt uns jemand nach Beziehungstipps, sollten wir ebenfalls etwas zur aktuellen Partnerkonstellation und Beziehungssituation wissen.

Der Blick auf die uns umgebende IT-Welt lässt dies noch deutlicher werden. Wenn wir mit Software-Systemen arbeiten, die keinerlei Kontext einbeziehen, erscheinen sie uns oft limitiert. So spucken etwa die Basisversionen von Suchmaschinen, denen kein Kontext zur Verfügung steht, riesige Mengen an Ergebnissen aus. Die Suche nach „Restaurant“ führt dann unter anderem zu Erklärungstexten, die den Begriff Restaurant definieren. Das mag für manche Suchintention sogar das richtige Ergebnis sein, doch die meisten Menschen suchen nach „Restaurant“, wenn sie wissen möchten, welche Restaurants sich in der Nähe befinden.

Bezieht die Suchmaschine den eigenen Kontext automatisch ein, so wird das Ergebnis plötzlich vielfach bedeutender: Die aktuelle Position führt dann zu Restaurantvorschlägen in der Nähe. Berücksichtigt die Software noch weitere Aspekte wie Uhrzeit oder persönliche Essenspräferenzen, so wird das Ergebnis immer hilfreicher und schränkt die Vorauswahl auf passende Restaurants ein, die gerade geöffnet sind und zu den individuellen Vorlieben passen. Alternativ bestünde immer die Möglichkeit, die gesammelten Kontextinformationen selbst einzugeben, etwa den Ort oder den Zeitpunkt des Besuchs. Solche Nutzerangaben würden dann ebenfalls gute Ergebnisse liefern, gleichzeitig aber auch den Bedienungsaufwand erhöhen.

Suchmaschinen sind nur ein Beispiel; es gibt zahlreiche weitere Softwareapplikationen, die durch die Einbeziehung von Kontextinformation gleichermaßen bessere Ergebnisse liefern: Seien es Navigationssysteme, die für eine zuverlässige Navigation kontinuierlich den aktuellen Standort benötigen, seien es Fitnesstracker, die Empfehlungen aus zahlreichen beobachteten Körperwerten ableiten, oder seien es Partnervermittlungsportale, die nur vielversprechende Vorschläge machen können, wenn Eigenschaften und Vorlieben geteilt werden.

Die Vielfalt von Softwareapplikationen, die mithilfe von Kontext arbeiten und auf diese Weise Nutzen bringen, hat dafür gesorgt, dass die überwältigende Mehrheit der Nutzerinnen und Nutzern damit grundsätzlich vertraut ist und entsprechende Kontextfaktoren mit den Softwaresystemen teilt, um in den Genuss individuell zugeschnittener Angebote zu kommen.

Als intelligent und besonders hilfreich wahrgenommene Features basieren so gut wie immer auf der Verwendung von Kontextinformationen und lassen die Ansprüche der Nutzerschaft immer weiter wachsen. Wer neue, erfolgreiche Dienste erschaffen möchte, setzt daher auf einen höheren Automatisierungsgrad sowie bessere Nutzungserfahrung und führt dazu vorhandene Informationen und Kontextinformationen zusammen.

Erst Kontext ermöglicht echten Patientennutzen

Ein zentrales Ziel der nationalen Gesundheitsplattform besteht darin, Patientinnen und Patienten vertrauenswürdige Gesundheitsinformationen und -services anzubieten, die optimal für deren aktuelle gesundheitliche Situation ausgewählt und aufbereitet sind.

Die Abbildung unten zeigt eine minimalistische Form der nationalen Gesundheitsplattform. Hier werden Informations- und Serviceangebote an Patientinnen und Patienten vermittelt, ohne dass explizit Kontextinformationen von außerhalb einfließen.

Die nationale Gesundheitsplattform soll einen möglichst hohen Nutzen für Patientinnen und Patienten erzeugen, indem verlässliche Gesundheitsinformationen und -services so passend wie möglich zur aktuellen gesundheitlichen Situation angeboten werden. Um dies leisten zu können, müssten notwendige Kontextinformationen manuell von der jeweilige Patientin oder dem Patienten eingegeben werden. Diese Lösung ist in der heutigen Zeit jedoch kaum noch akzeptabel, denn sie würde nutzerseitig hohe Aufwände erzeugen und daher keine nennenswerte Verbreitung finden. Allerdings ist es unerlässlich, den jeweiligen Kontext von Patientinnen und Patienten als Grundlage der Auswahl und des Angebots einzubeziehen.

Die Kernidee der hier entworfenen Plattform besteht darin, Kontextinformationen, die schon an unterschiedlichen Stellen in anderen IT-Systemen (z. B. in Praxisverwaltungssystemen, in der elektronischen Patientenakte oder in Health Trackern) verfügbar sind, für die Auswahl von Informationen und digitalen Services auf der nationalen Gesundheitsplattform nutzbar zu machen. Somit können Patientinnen und Patienten selbstbestimmt Kontextinformationen zu ihrer Person aus anderen IT-Quellen für ein besonders hilfreiches und einfaches Nutzungserlebnis einfließen lassen. Die so erzielbare Qualität in den Ergebnissen könnte künftig ein starkes Alleinstellungsmerkmal der Plattform bilden.

Wie aus Kontextinformation konkreter Patientennutzen entsteht

Nur wenn es gelingt, Services und Informationen automatisch und mit hoher Passung zum individuellen Kontext bereitzustellen, werden Nutzende sie akzeptieren. Deshalb soll die nationale Gesundheitsplattform Informationen in einen strukturierten Lern- und Interaktionsprozess einbetten und so eine Vielzahl personalisierter Patienteninformationspfade entstehen lassen (vgl. Entdecken statt suchen).

Als Patienteninformationspfad wird ein konkreter Interaktionsdurchlauf einer Patientin oder eines Patienten verstanden, bei dem immer passend zum Kontext geeignete Services und Informationen angeboten werden und somit zielgerichtet Unterstützung geleistet wird, die als nutzbringend wahrgenommen wird. Ausgehend von der Vielzahl möglicher Informationspfade, stellt sich die Frage, wie diese Art der Unterstützung automatisch erzeugt werden kann. Selbst für Fachleute ist es herausfordernd, aus einer riesigen Menge von Informations- und Serviceangeboten die richtige Auswahl zu treffen.

Die Lösung liegt in einer neu geschaffenen Modellierungssprache. Damit können Expertinnen und Experten ein Pfadmodell als Vorlage für den im Krankheitsverlauf auftretenden Informationsbedarf modellieren. Die so entstehenden Pfadmodelle berücksichtigen unterschiedliche Aspekte wie den Behandlungsverlauf im medizinischen Versorgungssystem, aber auch unterschiedliche Phasen der Krankheitsbewältigung oder leistungsrechtliche Fragen.

Pfadmodellentwickler

Die Entwicklung der Pfadmodelle erfordert noch eine weitere Rolle im digitalen Ökosystem: die der Pfadmodellentwickler. Dabei handelt es sich um Expertinnen und Experten, die den erwartbaren Informationsbedarf zu einer Indikation auf Basis typischer Krankheits-, Behandlungs- und Bewältigungsverläufe beschreiben. Der Community-Ansatz kann an dieser Stelle dazu beitragen, eine schnell wachsende und detaillierte Wissensbasis in der nationalen Gesundheitsplattform entstehen zu lassen.

Bei der Modellierung spielt die Verarbeitung von Kontextinformationen eine zentrale Rolle: Der modellierte Verlauf wird mit den im Zeitverlauf erwartbaren Informationsbedarfen verknüpft. Zu bestimmten Kontexten (z. B. konservative versus operative Therapie) wird dann festgelegt, welche Gesundheitsinformationen und -services hier angeboten werden sollten. Auf diese Weise findet das Fach- und Erfahrungswissen ganz unterschiedlicher Akteure und wissenschaftlicher Disziplinen seinen Weg in die Informationspfade.

Dieser Einsatz einer Experten-Community bildet einen Grundpfeiler der Qualitätssicherung und lässt modelliertes Wissen entstehen, das nachprüfbar und erklärbar ist. Ausgehend von Informationen zum situativen Kontext, werden die modellierten Vorlagen dynamisiert und erweitert. Durch diese Kombination aus Mensch und Technologie dürfte im Gegensatz zu rein KI-basierten Lösungen das Vertrauen in eine nationale Gesundheitsplattform gestärkt werden.

Im Falle einer Umsetzung würden auf der nationalen Gesundheitsplattform millionenfach und automatisch personalisierte Patienteninformationspfade erzeugt und genutzt. Dabei werden durch die Pfadmodelle konkrete und patientenspezifische Kontextinformationen zur jeweils aktuellen Auswahl der angebotenen Gesundheitsinformationen und -services verwendet. Somit bilden die mit Fach- und Erfahrungswissen aufgeladenen Pfadmodelle das fehlende Puzzlestück, um Patientinnen und Patienten ein individuell zugeschnittenes Informationsangebot unterbreiten zu können.


Was ist Kontext eigentlich genau? Ordnung im Begriffswirrwarr

Bisher wurde der Begriff „Kontextinformationen“ in diesem Artikel abstrakt verwendet. Wenn über Daten und Informationen gesprochen wird, kommt es jedoch häufig zu Missverständnissen. Einerseits wird meist nicht unterschieden, um welche Daten und Informationen es sich genau handelt, und andererseits wird zu wenig über Einsatzzwecke, entstehende Nutzen und resultierende Schutzbedürfnisse gesprochen. Deshalb soll der Begriff „Kontext“ hier näher erläutert und abgegrenzt werden.

Wenn in diesem Text von „Kontext“ die Rede ist, so meint dies Informationen über den jeweiligen Kontext einer bestimmten Person, die in IT-Systemen zur Verfügung stehen, um Angebote zu personalisieren. Zu Kontextinformationen zählen beispielsweise

  • grundsätzliche Personeneigenschaften: z. B. Alter, Geschlecht, Gewicht
  • Präferenzen der Patientinnen und Patienten: z. B. Präferenzen zu Informationsanbietern, Präferenzen zu Eigenschaften von Informationen (Sprache, Verständlichkeit etc.)
  • Informationen zum Gesundheitsstatus: z. B. Indikationen, Einnahme von Medikamenten, Nutzung von Gesundheitsdienstleistungen
  • Aktuelle Informationen: z. B. zu „Ereignissen“ wie der Verordnung eines neuen Medikaments, der Einweisung in ein Krankenhaus oder zu situativen Stimmungen und dem aktuellen Befinden
  • Informationen über Nutzung in der nationalen Gesundheitsplattform: z. B. schon gelesene Artikel, Feedback zu Artikeln

Andere Informationen mit hoher Relevanz, die aber nicht zu den Kontextinformationen zählen, sind beispielsweise die verlässlichen Gesundheitsinformationen (z. B. erklärende Artikel zu einer bestimmten Krankheit). Diese werden von den Anbietern bereitgestellt und weisen keinerlei Personenbezug auf.

Kontextinformationen haben in der hier skizzierten nationalen Gesundheitsplattform immer nur den direkten Zweck, den Nutzen für Patientinnen und Patienten zu erhöhen. Darauf baut auch der Schutz dieser Daten auf.


Kontextinformationen in vertrauenswürdigen Händen

Grundsätzlich könnten unterschiedliche Akteure im Markt ein digitales Ökosystem etablieren und mit dem Einverständnis von Patientinnen und Patienten ihre spezifischen Kontextinformationen in einer Plattform zusammenführen und weiterverarbeiten. Jeder Plattformbetreiber wird jedoch seine eigenen Wertvorstellungen bei der Gestaltung seiner Plattform einbringen. Bei der Konzeption der nationalen Gesundheitsplattform wurde daher besonders viel Wert darauf gelegt, eine vertrauenswürdige Trägerstruktur zu etablieren, die für einen verantwortungsvollen Umgang mit den sensiblen Kontextinformationen steht (vgl. Gesundheitsökosysteme erfolgreich etablieren).

Kontextinformationen sollen immer nur mit dem Ziel verarbeitet werden, bessere Nutzungserfahrungen und bessere Informations- und Serviceangebote zu liefern. Genau darauf liegt der Fokus und deshalb werden diese Informationen nicht für ewige Zeit oder für andere Verwendungszwecke vorgehalten. Sofern die Datennutzung zu anderen Zwecken nicht explizit freigegeben wurde, werden die Daten nur so lange gespeichert, wie es für die Erfüllung des Zwecks notwendig ist.

Die Patientin oder der Patient sollte über ein differenziertes Einwilligungssystem jederzeit die volle Kontrolle über die Verwendung personenbezogener Kontextinformationen behalten. Hierzu sollte es zu jeder Zeit möglich sein, die unterschiedlichen Anbieter und Quellen von Kontextinformationen zu steuern.

Die gesamte Konstruktion zielt darauf ab, wertvollen Patientennutzen zu stiften und diesen auch klar in Richtung aller Akteure im Gesundheitswesen zu kommunizieren. Maßgeblich ist, dass durch den verantwortungsbewussten und transparenten Einsatz von Gesundheitsdaten Wohlfahrtseffekte und individuelle Nutzen entstehen können. Natürlich ist der Schutz personenbezogener Daten dabei stets zu gewährleisten.

Kontext macht den Unterschied

Kontext ist ein entscheidender Faktor, um Softwarelösungen nützlich und angenehm zu gestalten. Das gilt grundsätzlich für alle Bereiche und natürlich auch für das Gesundheitswesen. Während die Menschen diese Vorteile in vielen anderen Bereichen schon länger genießen, stoßen sie im Gesundheitswesen immer wieder auf fraktionierte Systeme, die den Kontext nicht oder nur unzureichend berücksichtigen.

Mit den Patienteninformationspfaden könnte ein unmittelbar einleuchtender Nutzen für Patientinnen und Patienten geschaffen werden, denn der auf Kontextinformationen basierende, personalisierte Ansatz ermöglicht individuelle Nutzungserfahrungen und spart viel Zeit durch eine Angebotsauswahl mit hoher Passgenauigkeit.

Autoren

Dr. Matthias Naab und Dr. Marcus Trapp sind Co-Founder von Full Flamingo. Sie helfen Unternehmen pragmatisch, die wichtigen Entscheidungen in der digitalen Transformation abzusichern. Sie waren bis 2022 am Fraunhofer IESE als Führungskräfte tätig und haben das Thema „Digitale Ökosysteme und Plattformökonomie“ mit aufgebaut und verantwortet.

 

 

Treten Sie mit uns in Kontakt


    Entdecken statt suchen: Prototyp für eine nationale Gesundheitsplattform

    Der Kernservice der hier skizzierten nationalen Gesundheitsplattform besteht darin, personalisierte Informationspfade bereitzustellen, die dem sich wandelnden Informationsbedarf folgen und den Umgang mit Gesundheitsinformationen erheblich erleichtern könnten. Um unsere Idee zu illustrieren, haben wir ein prototypisches Design entwickelt, das zeigt, wie die nationale Gesundheitsplattform einmal aussehen könnte.

    Patientinnen und Patienten nutzen immer häufiger das Internet, um sich jenseits des traditionellen Gesundheitssystems zu informieren. Dabei greifen sie bislang vor allem auf die großen Suchmaschinen zurück. Je nach Begriff zeigen Google & Co. Hunderttausende oder mehr Ergebnisse und es liegt in der Verantwortung der Informationssuchenden, in dieser Flut von Treffern die richtigen auszuwählen. Ohne sich dessen bewusst zu sein, werden sie in diesem Auswahlprozess nicht nur von objektiven Kriterien geleitet, sondern vor allem von intransparenten algorithmischen Systemen und der eigenen Gefühlswelt.

    Die Logik unserer Produktvision ist eine andere: Patientinnen und Patienten entdecken Informationen, statt danach zu suchen. Das sogenannte Pull-Prinzip der Suchmaschinen weicht dem Push-Prinzip der Messengerdienste und relevante Informationen werden zum passenden Zeitpunkt angeboten. Die Information und Aufklärung im Gesundheitswesen sind kein punktuelles Ereignis mehr, sondern folgen einem strukturierten Prozess und berücksichtigen individuelle Präferenzen sowie Kontextbedingungen der Patientinnen und Patienten (vgl. Informationsvermittlung als Prozess begreifen).

    Vertrauen als Ausgangspunkt

    Anders als die Suche über eine Suchmaschine beginnt der Informationspfad nicht jenseits des Versorgungssystems, sondern in den Sprech- und Behandlungszimmern und überall dort, wo Patientinnen und Patienten personale Unterstützung erfahren. Denn möglicherweise entsteht das Vertrauen in die Plattform gerade nicht online, sondern wo Menschen sich von Angesicht zu Angesicht begegnen. Daher sieht unser Konzept vor, dass die Angehörigen der Gesundheitsberufe einen Informationspfad per SMS-Link oder auch über die elektronische Patientenakte „verordnen“ bzw. empfehlen können.

    Persönlicher Informationsfeed

    Bei der Nutzerauthentifizierung sieht unser Konzept vor, die digitale Gesundheits-ID zu verwenden, die die Krankenkassen ihren Versicherten zur Verfügung stellen. Auf diese Weise werden aufwändige Registrierungsprozesse und unnötige Zugangsschwellen vermieden. Nach erfolgtem Login auf der Plattform öffnet sich eine Benutzeroberfläche, die an die großen sozialen Netzwerke erinnert. Das hat den Vorteil, dass Nutzerinnen und Nutzer sich schnell und unkompliziert zurechtfinden.

    Unseren Prototyp haben wir LIV getauft. Das Akronym steht für „leicht“, „individuell“ und „vertrauenswürdig“. Wir haben eine Variante für mobile Endgeräte und eine Desktop-Variante entworfen. Perspektivisch sind auch eine akustische Schnittstelle und eine Sprachsteuerung des Informationssystems denkbar.

    Wie bei Facebook, LinkedIn und vielen anderen sozialen Netzwerken steht im Mittelpunkt der Oberfläche ein sogenannter „Feed“ mit kachelähnlichen Posts, der sich im Zeitverlauf mit Informationen füllt. Ein großer Unterschied zu den sozialen Netzwerken: Es gehen deutlich weniger Informationen ein, denn Ziel der Plattform ist, die Informationslast zu reduzieren und gleichzeitig die Qualität der Beiträge zu erhöhen. Die Inhalte werden daher in hohem Maße personalisiert und in Abhängigkeit von verfügbaren Kontextinformationen eingespielt.

    Wenn beispielsweise ein neues Medikament verordnet wurde, wird diese Kontextinformation bei vorliegender Nutzerfreigabe zum Beispiel über die elektronische Patientenakte an die Plattform weitergeleitet. Der Informationspfad zeigt dann in Echtzeit und vollautomatisch die passende Information zu dem Arzneimittel an. Kontextinformationen können aber auch aus vielen anderen Quellen, etwa von der Smartwatch, einem Sprachsystem oder über mobile Sensorik, in das Informationssystem einfließen und Anhaltspunkte für den situativen Informationsbedarf liefern.

    Integrierte Patienteninformation

    Die Informationspfade beziehen sich immer auf eine Erkrankung, werden also indikationsspezifisch angelegt. Der individuelle Zuschnitt des Informationsangebots ermöglicht grundsätzlich auch, unterschiedliche Indikationen zusammenzuführen, um ein integriertes und homogenes Angebot für Menschen mit mehreren Erkrankungen unterbreiten zu können.

    In unserer Produktvision haben wir einen Verlauf am Beispiel der Diagnose „Kniearthrose“ umgesetzt: Die fiktive Nutzerin Katharina Funke erhält zunächst eine Verdachtsdiagnose. Das ist der Beginn eines Weges durch unterschiedliche Instanzen des Gesundheitssystems von der fachärztlichen Diagnostik über die Entscheidung für eine Operation im Krankenhaus sowie die medizinische Rehabilitation bis hin zur beruflichen Wiedereingliederung: Der Informationspfad startet zunächst mit Basisinformationen zur Erkrankung, gefolgt von Informationen zum Versorgungssystem, zu Behandlungsalternativen und sozialrechtlichen Fragestellungen sowie Informationen zur Rehabilitation.

    Präventionspfade

    Das Prinzip der Informationspfade wird in unserer Produktvision am Beispiel der Erkrankung „Kniearthrose“ veranschaulicht. Das Grundprinzip der prozesshaften Informationsvermittlung ließe sich aber problemlos auch auf den Bereich der Prävention übertragen und sogar zielgruppenspezifisch und kultursensibel ausrichten. Auf diese Weise könnten gesunde Verhaltensweisen schrittweise eingeübt und verstärkt werden. Insbesondere vulnerable Gruppen ließen sich ohne Streuverluste zielgenau erreichen.

    Für die Gestaltung des individuellen Angebots greift das System auf die Informationen und Services einer Vielzahl zertifizierter Anbieter zurück und eröffnet den Nutzerinnen und Nutzern auf diese Weise eine breite Auswahl passender Angebote. Insofern ist es wahrscheinlich, dass zu einem Informationsanlass mehrere Angebote in Frage kommen. In einem solchen Fall wird das Angebot angezeigt, das die beste Bewertung von der Nutzercommunity erhalten hat. Über eine Schubladenfunktion lassen sich die übrigen Angebote einsehen und auswählen.

    Neues Wissen anwenden

    Unter den Informationen bietet der Pfad immer auch passende digitale Services an: Wer Informationen zu einem neuen Arzneimittel erhält, kann im nächsten Schritt das digitale Rezept einlösen. Nutzerinnen und Nutzern, die Informationen zu unterschiedlichen Behandlungsoptionen erhalten, wird anschließend ein Zweitmeinungsservice angeboten. Und den Informationen zu gesunder Ernährung folgen digitale Anwendungen mit Kochrezepten und Ernährungsplänen. Diese Verknüpfung von Informationen und Services hilft, neu erworbenes Wissen praktisch umzusetzen oder in Entscheidungen einfließen zu lassen.

    Verknüpfung von Informationen und relevanten Services

    Kein Informationspfad gleicht dem anderen: Die Inhalte folgen dynamisch dem individuellen Bedarf und berücksichtigen neben medizinischen Themen auch rechtliche und psychosoziale Fragestellungen. Das System bietet zudem Informationen an, nach denen Nutzerinnen und Nutzer möglicherweise gar nicht gesucht hätten. So kann beispielsweise noch vor Eintreten des Anspruchs auf Krankengeld proaktiv über die damit verbundenen Rechte und Pflichten informiert werden.

    Die Benutzeroberfläche könnte auch ganz anders aussehen und auch der Kernservice könnte ein anderer sein. Die Produktvision illustriert aber, dass eine nationale Gesundheitsplattform etliche Mehrwerte schaffen könnte, ohne selbst redaktionelle Inhalte zu erstellen. Sie zeigt, dass es möglich wäre, gute Informationen zu bündeln sowie Patientinnen und Patienten im Umgang mit Informationen zu entlasten. Die Qualitätsprüfung der Anbieterseite, die Umkehr des Suchmaschinenprinzips, die Personalisierung von Informationen und die prozessorientierte Vermittlung – all das lässt ein neues Format entstehen, das die Informationsverarbeitung erleichtert, informierte Entscheidungen unterstützt und Vertrauen in digitale Lösungen möglich macht.

    Literatur

    Bol N, Smit ES, Lustria MLA (2020): Tailored health communication: Opportunities and challenges in the digital era. Digital Health, 6, 1-3. (Quelle)

    Kynoch K, Ramis MA, Crowe L, Cabilan CJ, McArdle A. (2019): Information needs and information seeking behaviors of patients and families in acute healthcare settings: a scoping review. JBI Database System Rev Implement Rep, 17(6): 1130-1153. (Quelle)

    Empfohlene Beiträge

    Ohne Kontext ist alles nichts

    Wer ärztliche Hilfe in Anspruch nimmt, muss meist viele Fragen zur Krankengeschichte beantworten. Ärztinnen und Ärzte stellen diese Fragen, um die Zahl der möglichen Diagnosen einzugrenzen. Diese sogenannte Anamnese ist ein fester Bestandteil der ärztlichen Diagnostik und die darin enthaltenen Kontextinformationen helfen, im nächsten Schritt die passende Behandlung zu finden. So lassen Kontextinformationen in den unterschiedlichsten Bereichen unseres Lebens Nutzen entstehen.

    Zum Beitrag

    Informationsvermittlung als Prozess begreifen

    Viele Anbieter von Gesundheitsinformationen verfolgen gute Absichten. Sie möchten das Gesundheitsverhalten ihrer Adressaten positiv beeinflussen, Hilfestellung bei der Krankheitsbewältigung leisten oder Behandlungsentscheidungen unterstützen. Im digitalen Zeitalter verfehlen viele dieser Informationen jedoch das Nadelöhr der Aufmerksamkeit und verhallen wirkungslos in der ständig wachsenden Informationsflut.

    Zum Beitrag

    Treten Sie mit uns in Kontakt